Название: Das Geheimnis des Bischofs
Автор: Stefan Sethe
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783847632931
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Lea Rose schaute nach Osten. In der Ferne war der Turm des Mahnmals Buchenwald zu sehen. Besonders die inzwischen kaum noch lesbare Inschrift auf der Rückseite der zweiten Stele hatte sie schon fasziniert als sie dreizehnjährig, damals noch oder schon schwärmerisch Hesse und Brecht verpflichtet, erstmals mit den Thälmann-Pionieren ihren obligatorischen Buchenwaldbesuch absolviert hatte:
Sagt, warum wurdet ihr hierher verschickt?
Verdächtig wurde, wer die Wahrheit sprach,
Verurteilt, wer den Volksbetrug durchblickt,
Verfemt, wer fragte: und was kommt danach.
Da hatte doch tatsächlich Johannes R. Becher in den fünfziger Jahren die perfide Stirn gehabt, eine solch verlogene Losung in Stein meißeln zu lassen, während gleichzeitig seine Landsleute und Schriftstellerkollegen Walter Kempowski und Erich Loest in Bautzen und anderswo wegen genau dieser missliebigen Zivilcourage eingebuchtet waren. Diesen Zusammenhang hatte sie allerdings erst später begriffen.
Lea Rose fröstelte. Es war zwar sonnig, aber ein kühler Wind kroch unter ihren Parka. Sie kehrte zurück. Rechts lagen die alten Kasernen, dahinter das Gebäude der Stasi-Unterlagenbehörde. Links ragte ein unglaublich hässlicher Betonklotz über die Zinnen der Zitadelle, das neuerbaute Cafe auf Stelzen. Hier hatte sich Oberbürgermeister Rüffel ein würdiges Denkmal geschaffen. Gegen den Bau des vergleichsweise ästhetischen Bundesarbeitsgerichts am Südrand des Petersberges hatte es Proteste ohne Ende gegeben. Dieser Schandfleck hingegen genoss ungestraft die Sanktion des OB. Es handelte sich dabei wohl auch um so einen typischen Patronagefall, vor denen man in Erfurt und Thüringen momentan nie sicher sein konnte.
Die Vorgänge in der Staatskanzlei zu Karneval beunruhigten die Kommissarin, wenngleich sie offenbar die Einzige war, die ein gesteigertes Interesse an der Aufklärung der Vorgänge hatte. Sollte sie nahezu im Einzelgang wider die diversen Stachel der geballten Staatsmacht löcken? Ihre Kollegen rekrutierten sich zum großen Teil noch aus dem Polizei-Altkader, und von der Staatsanwaltschaft war schon gar keine Unterstützung zu erwarten. Dort geschah offenbar nur, was zuvor auf politischer Ebene abgesegnet worden war. Während sie durch die Peterstorhalle die Zitadelle verließ, nahm sie die beiden drohend über ihr schwebenden Fallgitter als Omen: Nein, sie würde sich nicht weiter mit Tamara Edelmann beschäftigen. Vielleicht würde die Frau wieder auftauchen, vielleicht auch nicht. Sollten sich andere Menschen den Kopf zerbrechen. Sie würde sich lieber mit garantiert unpolitischen Morden aus Eifersucht beschäftigen oder besser noch mit einem handfesten Bankraub.
Aber heute Abend war zum Glück erst mal wieder Theater angesagt. Es zog sie in die alte Heimat nach Meiningen. Premiere von Wallenstein. Auch dabei würde sie von Machtmissbrauch und Leichen nicht verschont bleiben, aber von Schiller kunstvoll aus der profanen Banalität ihres Polizisten-Alltags gehoben, war es für sie wesentlich erfreulicher, mit Verbrechen und Intrigen umzugehen. Mit Wallenstein hatte vor gut 100 Jahren der geliebte und verehrte Theaterherzog Georg II. die Traditions-bühne nach einem Brand wieder eröffnen lassen. Es galt also für das Meininger Ensemble, mit diesem Stück einen Ruf und eine besondere Tradition zu verteidigen. Es würde bestimmt ein schöner Abend werden.
Theatertreffen
Pause im Wallenstein. Andreas Stefani saß im Foyer unter der Büste des Erzherzogs, der das Meininger Theater zur Blüte gebracht hatte. Nach wie vor lebte, litt und profitierte die ganze Stadt vom Theater, diesem größten Arbeitgeber der Stadt. Stefani hatte es kurzfristig übernommen, eine Kritik für die Thüringer Allgemeine zu schreiben. Die Kollegin, die sonst dafür eingeteilt war, hatte einen anderen Termin vorgezogen. Die Erfurter schauten immer ein wenig neidisch und missgünstig auf den Erfolg der Meininger Theatertruppe.
Das Theater Meiningen war aufgrund seiner Atmosphäre allemal eine Reise wert, aber Intendant Burkardt Ulrich war halt nicht zu ersetzen. Ohne angemessene Gagen zahlen zu können, einzig mit seinem mitreißendem Engagement und Charme hatte Ulrich nach der Wende die fähigsten Leute nach Meiningen geholt: Klaus-Maria Brandauer wirkte ebenso in Meiningen wie Loriot, August Everding, Brigitte Fassbaender, Mikis Theodorakis, Ephraim Kishon, Gunther Emmerlich und Angelica Domröse. Leider auch Rolf Hochhuth, der sich mit dümmlichem Mist treu blieb. Die Berliner Philharmoniker mit Claudio Abbado spielten fast umsonst, wie auch das Gewandhausorchester unter Kurt Masur. Binnen kürzester Zeit hatte sich Meiningen wieder die Zuschauerkreise aus Nordbayern und Südhessen zurückerobert, die schon vor der deutschen Teilung regelmäßig ins Theater nach Meiningen gekommen waren.
Stefani schrieb schon an seiner Kritik. Zwar konnte er sich mit der Abgabe in der Redaktion Zeit lassen, da der Artikel ohnehin frühestens in der Montagsausgabe erscheinen würde, aber Stefani war ein schneller Arbeiter, der ungern Dinge vor sich herschob.
Während er sich überlegte, ob Hans-Joachim Rodewald den Herzog von Friedland nicht doch etwas zu exaltiert spielte, sprach ihn eine junge Dame an. „Sind Sie nicht Andreas Stefani?“
„Ja!“ Stefani klappte das Notizbuch zu und erhob sich. Er konnte sich nicht erinnern, der jungen Dame schon einmal begegnet zu sein. Hübsch war sie; dunkle glatte schulterlange Haare, fröhliche Augen, kaum geschminkt, ein dunkelblaues sportlich elegantes Kleid mit schwarzem Gürtel, buntes Seidentuch um den Hals. Altersmäßig hätte die junge Frau seine Tochter sein können. – „Leider“ - konstatierte er selbstkritisch und bedauernd.
„Lea Rose“ stellte sie sich vor und streckte ihm die Hand zur Begrüßung hin. „Wie gefällt Ihnen das Stück?“
Stefani reichte ihr ebenfalls die Hand, wusste aber immer noch nicht so genau, wo er sie einordnen sollte. „Gehören Sie zum Theater?“ tastete er sich heran.
„Nein, ich bin nur eine schlichte Zuschauerin. Ich wollte Sie nur mal ansprechen, weil ich Ihre unkonventionelle Art gut finde. Sie waren ja häufiger mal im Fernsehen, und ich habe auch manches über Sie gelesen.“
„Was meinen Sie speziell?“ Stefani fühlte sich geschmeichelt. „Meine Klage gegen die Staatskanzlei? Oder mein Parteiwechsel? Oder haben Sie in Erinnerung, dass ich in grauer Vorzeit als Königsmörder meines Parteivorsitzenden angesehen wurde, oder meinen Sie den banalen Umstand, dass ich auf meinen Beamtenstatus verzichtet habe? Oder spielen Sie etwa auf mein Liebesleben an?“ Stefani lächelte.
Lea Rose strahlte ihn an: „Keine Angst, Ihr Privatleben soll ruhig privat bleiben, und ich möchte auch kein Autogramm. Aber ich würde Sie gerne etwas fragen. Haben Sie vielleicht nach der Aufführung noch Zeit für einen Cafe oder ein Glas Wein im Theaterrestaurant?“
„Gerne!“ Eine Fanfare kündigte das Ende der Pause an. „Gleich wenn Sie hoch kommen, links neben der Bar, ist ein kleiner Tisch, dort kann man sich relativ ungestört unterhalten.“
Rodewald spielte den Wallenstein wohl wirklich etwas zu exaltiert. Gleichwohl spendete ihm das Publikum frenetisch Beifall. Stefani würde es sich wieder einmal mit einer Mehrheit verderben. Vielleicht meinte das die junge Dame mit seiner „unkonventionellen Art“? Stefani verabschiedete sich noch von der immer hilfsbereiten und fröhlichen Pressechefin Renate Lange, deutete an, dass die Inszenierung bei ihm diesmal keine fünf Sterne bekommen würde, versicherte ihr aber seine unverbrüchlichen Zuneigung für das Meininger Theater und nahm die Abkürzung durch die Garderobenräume und über den Brückengang ins Restaurant.
Frau Rose saß schon im „Herzog Georgs Inn“, einen Rotwein vor sich. Stefani liebte die Atmosphäre an diesem Ort. Die Bedienung СКАЧАТЬ