Ein Fall von großer Redlichkeit. Peter Schmidt
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Ein Fall von großer Redlichkeit - Peter Schmidt страница 13

Название: Ein Fall von großer Redlichkeit

Автор: Peter Schmidt

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783847657316

isbn:

СКАЧАТЬ lästige Arbeit. Ein Trinkgeld nahm man aber gerne an. In Zukunft würde er einige Arbeitspapiere einstecken, damit die Zeit nicht so lang wurde.

      Felder hatte ihm einen Ausweis beschafft, der ihn zur Ausleihe sämtlicher Werke aus dem Magazin berechtigte, auch jener, für die man gewöhnlich eine Sondergenehmigung benötigte.

      „Es wird Ihre Arbeit erleichtern, aber machen Sie um Gottes willen keine Reklame damit. Und lassen sie ihn oder die Bücher nicht unbeobachtet auf den Tischen liegen“, hatte er ihm ans Herz gelegt.

      Als Papst die Stufen des Bibliothekseingangs nahm, warf er einen spöttischen Blick zu den goldenen Lettern über dem Portal hinauf, denn sie lauteten:

       Freie Statt

       Für freies Wort

       Freier Forschung

       Sichrer Port

       Reiner Wahrheit

       Schutz und Hort

      Es würde wohl noch eine Weile dauern, ehe sich dieser hohe Anspruch uneingeschränkt erfüllen ließ. Aber momentan brannten ihm solche Ungereimtheiten weniger auf den Nägel als früher, denn das Neue Deutschland hatte in einem Leitartikel „weitere Freiheiten beim Bezug ausländischer Buch- und Zeitschriftenpublikationen“ angekündigt.

      Schon das Eingeständnis, dass es diese Freiheiten bisher nicht gegeben hatte, musste als eine kleine Sensation bewertet werden. Es bestätigte nur den erstaunlichen Wandel in der Politik der letzten Monate.

      An der Pforte hatte er wie gewöhnlich seinen Leseausweis vorzuzeigen. Der ältere der beiden Hausmeister kannte ihn bereits und verzichtete jetzt manchmal darauf. Ein kleines Problem gab es im Garderobenraum, da die einzige Bedienung, eine resolute, magere Frau, den Leserandrang kaum bewältigen konnte und schimpfend verlangte, man solle nicht hintereinander stehen, sondern sich an der Theke verteilen.

      Dann befahl sie militärisch barsch jedem „Abholen“, seine Kleidermarke vor sich auf den Tisch zu legen.

      Sie sammelte sie ein, ordnete sie nach der Zahlenfolge und brachte so mit wenigen Schritten einen Arm voller Kleider, aus denen sich jeder sein Teil herausziehen musste ...

      Es war immer das gleiche entwürdigende Spiel; man ertrug ihre Unhöflichkeiten lächelnd und ohne Protest.

      Als Papst seine Unterlagen von der Magazinausgabe geholt und sich an seinen Platz nahe der Holztreppe gesetzt hatte, den er seit zwei Tagen belegte, entdeckte er plötzlich einige Tischreihen entfernt eine bekannte Gestalt.

      Kein Zweifel ... schließlich war er wochenlang Nacht für Nacht mit ihm unterwegs gewesen. Er beugte sich vor und fuhr sich ungläubig mit der Hand über die Augen – dieselbe farblose Haut eines Albinos, die wimpernlosen Augen, das strohblonde, glatt zurückgekämmte Haar – Alex Margott!

      Der andere saß in der entgegengesetzten Saalhälfte und kehrte ihm das Gesicht zu. Er las in einem Buch. Es sah so aus, als habe er Papst noch nicht bemerkt. Ein Stapel anderer Bücher und Unterlagen, in die er ab und zu etwas notierte, lag vor ihm.

      Papst erhob sich ungläubig; er ging eilig durch den Mittelgang auf ihn zu. Seine schnellen, lauten Schritte erregten Aufmerksamkeit. Einige Lesende hoben missbilligend die Köpfe, und er verlangsamte seinen Gang.

      Als er nur noch wenige Meter von Margotts Tisch entfernt war, blieb er stehen, denn der andere blickte langsam auf. Papst wollte etwas sagen, doch Margotts ausdrucksloser Blick glitt über ihn hinweg, streifte die regungslose blau gekleidete Frauengestalt am Aufsichtspult – und kehrte zu seinen Unterlagen zurück.

      „Hallo.“

      Der andere schien nichts gehört zu haben. Er trug denselben ungepflegten, an den Taschen und Umschlägen speckig glänzenden Anzug, den sein Bruder bei der Beerdigung getragen hatte.

      Doch sein Gesicht wirkte um einige Jahre jünger … wenn Papst auch, je länger er es im Lichtkreis der rötlichen Leuchtstoffröhre betrachtete, Zweifel kamen. Immerhin war es nicht ganz so jung wie das seines verstorbenen Freundes – als sei es künstlich gealtert.

      „Alex ...?

      Der Mann vor ihm hob noch einmal den Blick. Er sah erst ihn, dann fragend seinen Nebenmann am Tisch an, der ohne etwas zu bemerken weiterlas, und erkundigte sich: „Sprechen Sie mit mir?“

      „Ich dachte, wir kennen uns.“

      „Oh, tatsächlich?“ Seine Aussprache hatte einen kaum merklichen sächsischen Akzent. „Nein, bedaure.“

      Es ist Alex‘ Bruder, dachte Papst enttäuscht. Offenbar hatte er sich in den wenigen Wochen seit dem Tode seines Bruders stark verändert.

      So etwas kam vor. Dass er Papst von der Beerdigung her nicht wiedererkannte, musste nichts zu besagen haben. Unter solchen Umständen war es verständlich, wenn man die Gesichter von Trauergästen vergaß.

      „Bitte, entschuldigen Sie“, flüsterte er und kehrte an seinen Tisch zurück.

      Während er in Lenins „Die Basis der sozialistischen Revolution“ blätterte, irrten seine Gedanken ah. Doch so oft er auch prüfend zu Margott hinübersah – ihre Blicke trafen sich nie …

      Papst versuchte sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, aber die Gestalt dort drüben hinter dem Bücherstapel ließ ihn nicht mehr los. Gewaltsam zwang er sich, eine Textpassage zu analysieren …

      Sie handelte davon, dass die Kommunistische Partei Arbeiter und Bauern an den entscheidenden revolutionären Kampf heranführte.

      Der ausschlaggebende Impuls ging von den Ideologen aus. Es kam darauf an, dass die Partei, nach Lenin, eine angemessene Form des Übergangs ausfindig machte.

      Das Mittel der Gewalt und des Krieges musste nach seiner Überzeugung die Revolution in den Augen der übrigen unterdrückten und ausgebeuteten Welt diskreditieren und war wenn möglich zu umgehen. Daher propagierte er eine Übernahme des Machtapparats mit anderen Mitteln …

      An dieser Stelle hielt Papst inne. Es war eine höchst unglaubwürdige Formulierung. Er wühlte in dem Stapel Bücher, die er sich nach Felders Liste aus dem Magazin besorgt hatte, und nahm die Arbeit Sozialismus und Krieg zur Hand, wo sich der Satz fand:

      „ …dass wir die Berechtigung, Fortschrittlichkeit und Notwendigkeit Von Bürgerkriegen voll und ganz anerkennen ...“

      Auch an anderen Stellen vertrat Lenin die Überzeugung, eine „gewaltsame Revolution“ sei unausweichlich, so schon in der Schrift „Eine rückläufige Richtung in der russischen Sozialdemokratie“ aus dem Jahre 1899. Nur in seltenen Fällen seien friedliche Veränderungen denkbar, beispielsweise „in einem kleinen Staat, nachdem im großen Nachbarstaat die soziale Revolution gesiegt hat“. Viel wahrscheinlicher sei es allerdings, „dass auch in den kleinen Staaten der Sozialismus nicht ohne Bürgerkrieg verwirklicht wird“.

      Das Mittel der gewaltlosen Übernahme war also eine Fälschung, wollte man nicht annehmen, Lenin habe seine Ansichten zunächst gegenüber früheren und dann wieder in den späteren Schriften geändert. Es war eine Auffassung, die sich der orthodoxen Lehre von Marx und Engels annäherte, wonach zumindest in England СКАЧАТЬ