Название: Chinesische Lebensweisheit
Автор: Richard Wilhelm
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783742734181
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Ohne hin und her gereist zu sein.“
Das ist die tatsächliche Auswirkung der Vorstellung des Namenlosen. Diese Lehren würden alle Verkehrserleichterungsmittel, alle militärischen Rüstungen, alle arbeit- und zeitsparenden Maschinen, alles weithin wirkende und lange aufzubewahrende Schrifttum und dergleichen Kulturprodukte vollständig vernichten und die Menschheit in das uralte, wissensfreie, wunschlose, verkehrsfreie Utopien zurückführen.
Lautse hat in seinen Anschauungen manches Kommunistische, ja Anarchistische. Aber das alles ruht bei ihm auf der Überzeugung, daß menschliches Machen überflüssig ist, weil der SINN als allgemeines Weltgesetz wirkt und schafft und schon von selber für Ordnung sorgt. Was wider die Natur ist, wird durch den Naturlauf selbst beseitigt. Die ewig wandelnde Natur duldet kein Starres, im Egoismus sich Verfestigendes, alle Einseitigkeiten müssen immer wieder ausgeglichen werden. Das liegt ganz selbstverständlich im Lauf der Welt:
„Der SINN des Himmels streitet nicht
Und weiß doch zu siegen.
Er redet nicht
Und weiß doch Antwort zu finden.
Er wirkt nicht,
Und doch kommt alles von selbst.
Er ist gelassen
Und weiß doch zu planen.
Das Netz des Himmels ist so groß, so groß,
Weitmaschig und verliert doch nichts.“
Alle Einseitigkeiten werden im Lauf der Zeit von der Natur selbst immer wieder ausgeglichen:
„Was halb ist, wird ganz werden,
Was krumm ist, wird gerade werden,
Was leer ist, wird voll werden,
Was alt ist, wird neu werden,
Was wenig ist, wird erreichen,
Was viel ist, wird verlieren.“
Die Natur duldet nichts Widernatürliches. Der Mensch braucht sich mit seinen Strafen und Belohnungen gar nicht einzumischen. Er verdirbt dabei mehr, als er gutmacht:
„Es gibt stets einen Töter, der tötet.
Wollte man an Stelle des Töters töten,
So wäre das, wie wenn man statt des Zimmermeisters
hacken wollte. Wer statt des Zimmermeisters hacken will,
Kommt selten davon, ohne daß er sich die Hand verletzt.“
Auf diese Macht, die dafür sorgt, daß das Rechte mit gesetzmäßiger Notwendigkeit geschieht, ist nun auch die persönliche Ethik des Lautse eingestellt: Zufriedenheit, Genügsamkeit und Friedsamkeit, Nichtstreiten sind die beiden Pole der persönlichen Ethik des Lautse, deren Grundsätze für ihn allerdings beim Individuum nicht ihre Grenze finden, sondern sich selbstverständlich auch ausdehnen auf kleinere und größere Gemeinschaften; denn die zweifelhafte Logik, daß für den Einzelnen etwas Pflicht sein könne, worüber die Gemeinschaft als solche sich hinwegzusetzen das Recht habe, wäre dem alten Manne mit seinem scharfen Denken unverständlich gewesen. So sagt Lautse mit Beziehung auf die Genügsamkeit:
„Es gibt keine größere Sünde als viele Wünsche,
Es gibt kein größeres Übel als kein Genügen kennen,
Es gibt keinen größeren Fehler als haben wollen.
Darum: Das Genügen des Genügenkennens ist dauerndes Genügen.“
Über die Friedfertigkeit hat er ebenso bestimmte Ansichten. Man wird nicht umhin können, ihn der vielgeschmähten Sekte der Pazifisten zuteilen zu müssen, und zwar der Pazifisten aus Religion.
„Daß Ströme und Meere aller Täler Könige sein können,
Kommt daher, daß sie es verstehen, unten zu sein.
Darum können sie aller Täler Könige sein.“
„Wer nicht streitet, mit dem kann niemand auf der Welt streiten.“
„Höchste Güte ist wie das Wasser.
Das Wasser nützt allen Wesen und streitet nicht.
Es weilt an Orten, die alle Menschen verabscheuen,
Darum kommt es nahe dem SINN.“
„Von allem Weichen und Schwachen auf Erden ist nichts mehr so als das Wasser,
Und doch ist ihm nichts überlegen im siegreichen Angriff auf das Harte:
Durch nichts kann es verwandelt werden.
Daß das Schwache das Starke besiegt,
Daß das Weiche das Harte besiegt:
Niemand auf Erden weiß das nicht,
Niemand auf Erden versteht danach zu tun.“
Daß es sich bei diesem Nichtstreiten um keine Schwäche handelt, sondern um die souveräne, unbehinderte Betätigung der eignen Art, die sich auch durch Verkennung und Abweisung nicht beeinflussen läßt, erhellt aus dem schönen Spruch:
„Gegen die Guten bin ich gut,
Gegen die Nichtguten bin ich gleichfalls gut;
Denn das Leben ist ja Güte.
Gegen die Treuen bin ich treu,
Gegen die Untreuen bin ich gleichfalls treu;
Denn das Leben ist ja Treue.“
Hierdurch ist auch der bekannte Satz des Lautse erklärt, den Kungtse ablehnte:
„Vergeltet Haß mit Leben!“
Der chinesische Gelehrte Hu Schї, Dschї,, einer der bedeutendsten Köpfe der modernen Pekinger Philosophenschule, sagt dazu:
„Diese Lehren sind ebenfalls eine Reaktion auf die Zeitumstände. Jene Zeit war eine Zeit jahrelanger Kriegsnöte. Die Kleinstaaten konnten sich nicht schützen, die Großstaaten ihrerseits stritten um die Vorherrschaft und waren nicht gewillt, einander sich unterzuordnen. Lautse lebte in dieser Zeit und wußte genau, daß der Machtkampf dadurch, daß man Gewalt durch Gewalt abwehrt, nur immer heftiger wird und keine Grenzen hat. Nur durch die Wirkung des äußerst Schwachen kann man der Stärke und Gewalt die Spitze bieten. Ein Sturmwind zerbricht nicht Weidenzweige. Die Zähne fallen wohl aus, aber die Zunge bleibt erhalten. Und das schwache und weiche Wasser vermag die Felsen zu öffnen und Flußbetten zu graben. Beim Verkehr der Menschen ist es ebenso ... So zeigte Lautse den Unterdrückten und Schwachen seiner Zeit, sowohl unter den Staaten als auch unter den Einzelmenschen, einen Ausweg. Er wollte, daß die Menschen nicht „auf Erden die Ersten zu sein begehrten“, er hieß die Menschen „Haß zu vergelten mit Leben“. Er wollte, daß die Kleinstaaten den Großstaaten sich unterwerfen СКАЧАТЬ