Название: Streiten verbindet
Автор: Rudolf Hopmann
Издательство: Bookwire
Жанр: Социология
isbn: 9783738042870
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Berechtigterweise kann man aber auch fragen, was die Gesellschaft unterlassen hat, daß solche aggressiven Kräfte zum Ausbruch kommen. Tatsächlich sind in unseren Repräsentativdemokratien die Entscheidungsprozesse auf allen Ebenen langsam und undurchsichtig geworden und benachteiligen oftmals einzelne Interessengruppen, deren gutes Recht es ist, ihre Wünsche durch Demonstrationen und andere Aktionen zu artikulieren. Aber eines ist dabei nicht statthaft: die Anwendung von Gewalt. Jedoch wird wegen einer zu niedrigen Frustrationstoleranzschwelle und einer erhöhten Bereitschaft zur Instrumentalisierung der Gewalt zu oft die Grenze des Annehmbaren überschritten.
Eine andere Frage ist freilich, warum die Frustrationstoleranzschwelle gegenüber den täglichen Problemen häufig so niedrig ist. Man kann sich fragen, ob wirklich die Ansprüche an uns im modernen, technisierten Leben so enorm gestiegen sind, dass nur verdeckte oder offene Gewalt uns weiter helfen, wo doch von den Meisten von uns der eigentliche ökonomische Druck für die Befriedigung der grundlegenden Bedürfnisse des Lebens weggenommen ist.
Der Lärm und die allgegenwärtige, aufdringliche Werbung, die beträchtliche Unruhe in unsere Alltagswelt gebracht haben, sind ein unleugbarer und sehr ernst zu nehmender Stressor geworden. Die Werbung hat nur ein Ziel: Sie will Aufmerksamkeit für sich und in uns Wünsche und Begehrlichkeiten nach Dingen erzeugen, die wir im Grunde genommen nicht brauchen. Die Sexualisierung des öffentlichen und privaten Raumes – wozu Werbung in nicht unerheblichem Maß beiträgt – führt gerade in diesem so intimen Lebens- und Erfahrungsbereich zu fehlgeleitetem Verhalten. Der äußere Lärm läßt keine innere Stille zu.
Vielleicht ist das der Grund, warum so viele Menschen nicht mehr ohne den Hörerknopf im Ohr durchs Leben gehen können. Wir sind umtriebig, nervös. Die Angst, etwas zu verpassen, treibt uns hierhin und dorthin. Die zunehmende Unruhe steigert erneut unser Unbefinden. Kein Wunder dann, wie oft wir aggressiv werden, wir aus der Haut fahren und in uns die Geduld platzt, weil wir selbst bei Kleinigkeiten oder Nebensächlichkeiten mit unguten Gefühlen, die in uns aufsteigen, nicht mehr fertig werden und sie nicht mehr unter Kontrolle haben. Ohne daß wir es merken, fokussiert sich unsere Aggression gegen etwas, was vordergründig bedeutsam und änderbar erscheint, aber nicht die wirkliche Ursache ist. Nun fällt es uns schwer, zwischen den täglichen Problemchen und den wirklichen Problemen zu unterscheiden. Es fehlt uns eine gewisse Gelassenheit und wir wissen nicht mehr, wann wir das, an dem wir uns stoßen, hinnehmen müssen oder uns vor ihm wehren können. Deshalb bedarf es oft nur noch eines kleinen Anstoßes, daß wir unserer Aggression freien Lauf lassen.
Viele Konflikte in dieser Welt beruhen auf dieser Kadenz von Streß – Angst – Aggression, gleichviel, ob es sich um personale Konflikte oder um Intra- oder Intergruppenkonflikte handelt. Letztere werden oft mit Gewalt, unter Völkern oder ethnischen Gruppen meist mit Waffengewalt aufs brutalste ausgefochten. Häufig sind dies Konflikte der wertmäßig-kulturellen Dimension, die ursächlich sind, seltener Mittel- oder Zielkonflikte.
Beispielhaft für diese Gedanken sei auf Jugendliche hingewiesen, die nach Beendigung ihrer Ausbildung keine Arbeit finden können. In der heutigen Zeit keinesfalls ein Stigma für persönliches Unvermögen, aber trotzdem so in den Köpfen wirksam. Wer nämlich den Einstieg ins Berufsleben verpasst hat, oder auch anders gesagt, wem einmal der Einstieg ins Berufsleben verwehrt wurde, dem sind für die Gestaltung seines weiteren Lebens schwer überwindbare Hindernisse in den Weg gestellt. Kein Zweifel, das löst in vielen Jugendlichen Angst aus. Eine schwere soziale Auseinandersetzung steht uns in die Lande, wenn der Jugendarbeitslosigkeit nicht frühzeitig begegnet und den Jugendlichen Perspektiven für ihr Leben gegeben werden. Die Geschehnisse in den Pariser Banlieues gaben und geben warnende Signale.
Was uns Älteren so selbstverständlich war, Schulbildung – berufliche Ausbildung – berufliches Leben, ist ein schwerwiegendes Problem für die Jüngeren geworden. Bedenken wir, daß wir ihnen diese Kadenz als natürlich und selbstverständlich mit auf ihren Lebensweg gaben. Ein Lebensentwurf, wie früher gang und gäbe gewesen, ist heute nur noch selten möglich. Von den Jungen wird wie selbstverständlich verlangt, ihren Lebensentwurf umzuschreiben. Was wir Älteren nicht gekannt haben, ist für sie Realität. Wenn wir wegsehen, sollten wir uns nächstens nicht über sehr belastende Konflikte beklagen.
Persönliche Unzulänglichkeit
Wenn wir persönlich nur über unzulängliche Mittel verfügen, um die Tragweite, die Art und die Komplikationen der Situation und der mit ihnen verbundenen Konflikte zu erkennen, werden wir sicherlich eher dazu neigen, unseren Aggressionen freien Lauf zu lassen, als wenn wir Herr der Lage sind und in Kenntnis der Umstände handeln können. Persönliche Unzulänglichkeit kann im Charakter und/oder der Bildung begründet sein. Ein Mensch kann, es wurde schon erwähnt, immer nur so handeln, wie es seinem Wissensstand entspricht. Eine Verbesserung des Kenntnisstandes und Erkenntnisvermögens (auch das ist trainierbar) ist deshalb eine grundlegende Voraussetzung, der Angst und der resultierenden Aggression zu begegnen. Im Lernen besteht daher ganz sicher ein hervorragendes Mittel, Konflikten zu begegnen, indem die Kette zwischen Angst und Aggression unterbrochen sowie die persönliche Unzulänglichkeit abgebaut wird, wie es in Abbildung 6 angedeutet ist.
Es sind zwei Ebenen, wo angesetzt werden kann. Die eine Ebene liegt im emotionalen, die andere im kognitiven Bereich. Um noch einmal auf die arbeitslosen Jugendlichen zurückzukommen: Es ist offensichtlich wenig sinnvoll, durch Weiterbildung, oder gegebenenfalls durch Umschulung den betroffenen Jugendlichen noch weitere Kulturtechniken beizubringen. Daß sie dadurch weiterqualifiziert werden, ist zwar richtig, wie ebenso, daß Qualifizierte mehr gesucht werden als Unqualifizierte. Doch ist die Gefahr ebenso groß, daß die Betroffenen wegen Überqualifikation keine Stelle finden können. Denn die Qualifikation setzt in spezifischen und speziellen Kursen auf einer gegebenen Basis an, die Spezialisierung steigt sektoriell und die Einsatzmöglichkeiten verengen sich damit mehr und mehr.
Fatal wird eine (Über)Qualifikation, wenn der Jugendliche überfordert wird: Er gerät in eine sehr gefahrvolle, konfliktträchtige Situation. Persönlichkeitsbildende Angebote für sie würden wahrscheinlich oft hilfreicher sein, weil sie die Frustrationstoleranzschwelle des Jugendlichen erhöhen und, mit Galtung gesprochen, seine aktuelle geistige Potenz, seinen Leistungswillen und das Durchsetzungsvermögen zu stärken vermögen. Das Eine tun ohne das Andere zu lassen, müßte hier die Devise sein.
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