Tag und Nacht. Helmut Lauschke
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Tag und Nacht - Helmut Lauschke страница 3

Название: Tag und Nacht

Автор: Helmut Lauschke

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783742785480

isbn:

СКАЧАТЬ ein, deren vorausgedachte Wortbündel irgendwo aus dem Fenster geworfen wurden, wo sie unbeachtet liegenblieben und mit den angehängten Hoffnungen und untergeschobenen Enttäuschungen vom Boden verschluckt oder unter den Schuhsohlen zertreten wurden. Da kann man mit Worten nur hinterherreden, was an Kraft, Absicht und Genauigkeit an das aus dem Fenster Geworfene und Verlorengegangene bei weitem nicht heranreicht.

      Irrläufer kommen überall vor. Dagegen sind Fensterstürze in Afrika selten. Diese Stürze beziehen sich mehr auf die höheren Stockwerksfenster der nördlichen Halbkugel. Sie sind in Europa häufiger als in Afrika, wo die Hütten mit den Strohdächern bodenständig geblieben sind. Die Hütten sind türlos, dass sie mit eingezogenem Kopf und leicht gebückt zu betreten sind. Ein oder zwei kleine Öffnungen gibt es zum Hinaussehen. Glasfenster im Kleinformat sind selten. Wie es mit den Kralen sonst bestellt ist, das afrikanische Denken ist anders als das europäische, wenn es ‘schwarz’ im Sinne der alten afrikanischen Sitten und Gebräuche gedacht wird, wo die Anbindung – wenn überhaupt – am toten Gegenstand entgegen der europäischen Gewichtung nur sehr locker ist.

      Die afrikanische Gewichtung der Dinge war schon bei der ersten Betrachtung des Bodens und seiner Menschen nicht von den Augen wegzuwischen. Angestrengt und geduldig standen sie in Warteschlangen und schweißumwölkten Trauben in ihrer Dürftigkeit, so die alten Menschen, die alt aussehenden jungen Menschen und die Mütter und Großmütter mit den mageren Kindern auf ihren Rücken oder den Babys auf den Armen oder vor den Brüsten. Die Warteschlangen bildeten sich kurz nach Sonnenaufgang vor der Rezeption und dann in der Wartehalle. Ihre Länge nahm mit den Stunden zu und hielt sich bis wenige Stunden vor Sonnenuntergang, wenn die Sperrstunde für die Menschen der schwarzen Haut begann, dass sie nicht mehr zu ihren Dörfern zurückkehren konnten. Sie legten Tücher, Pappen und Zeitungspapier auf dem Betonboden vor der Rezeption aus, um mit ihren Kindern und Babys und mit den gebrechlichen Alten dort zu übernachten. Die Betrachtung Afrikas und seiner Menschen aus der Perspektive des Kargen in der ganzen Erbärmlichkeit mit den extrem dünnen Armen und Beinen und den wuchtigen Wasserbäuchen bei Kindern mit den großen versinkenden Augen in ihren eingefallenen Gesichtern erschüttert sehr. Zur Beschreibung des Zustandes um den Menschen wirken die Worte eher oberflächlich und unglaubhaft, wenn sie aus einer Sprache kommen, die zu lange für belanglose Dinge oberhalb des Äquators beansprucht worden ist. Die Sicht mit der unverwischbaren Ein- und Durchsicht drückt den Denkstempel des Niedergangs durch die soziale Verformung mit der fortgeschrittenen Entartung und der völligen Hilflosigkeit bleibend ins Hirn, weil die Frage der Rückkehr in solche Gemeinschaftsstrukturen nicht zu beantworten ist, wo der Respekt vor dem Wert und der Würde des Menschen noch gilt.

      Der erschrockene Blick in die Tristesse gehört zum Bild der mageren Menschen auf dem arid-kargen Boden. Da verfliegt rasch, und das gleich nach dem ersten Hinsehen, jeder Zweifel an die Nichtzugehörigkeit oder Nichtzusammengehörigkeit. Sofort wird einem klar, dass das Eine zum Andern gehört, dass das Eine das Andere bedingt, beziehungsweise nicht aus seinen Klauen lässt. Nicht im Traum ließ sich zwischen beiden eine Trennungslinie von oben nach unten oder von links nach rechts ziehen. Im Gegenteil: Dürre Gestalten tragen auf den Köpfen große Körbe mit Sand und Steinen, und das nicht nur im Traum, davon. Sie kommen mit Plastikkannen und verbeulten Eimern zurück, in denen sie das Wasser vom weitab gelegenen Brunnen herbeischaffen, das zum Trinken, Kochen und Waschen gebraucht wird. Da gibt es bezüglich der Augenschatten kaum einen Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit. Nur dass es im Traum vom Gewicht her weniger schwer ist. Jedenfalls gab es nichts, was sich von der Haut und vom Hirn leichter abheben ließ.

      Mit dem Eintreffen der begrenzten Arbeitserlaubnis ging es ins Innere des Hospitals mit dem sandig-körnigen Reiben und Quietschen des ‘Räderwerks’ bei der Bewältigung der Tag- und Nachtarbeit. Getötet und verletzt wurden Erwachsene und Kinder in ihrer Unerfahrenheit vor den Gefahren der versteckten Minen. Es waren Kinder, die statt zur Schule zum Hüten der Ziegen geschickt wurden, wo die Vierbeiner das letzte Gras aus dem Boden rissen und die Büsche und erreichbaren Baumäste kahlfraßen. Dazu stellte ein Vierbeiner die Vorderfüße auf den Rücken des andern oder kletterte aufs Dach der Hütte oder auf die Ladefläche der Eselskarre.

      Mit dem Zugang ins Hospitalinnere wuchs das Erstaunen vor dem alten, verrosteten, verbogenen und anderswie für den chirurgischen Gebrauch minderwertigen oder unbrauchbaren Gerät und den Instrumenten. Die Türen in den Krankensälen klemmten. Viele Türen hatten keine Schlösser, und bei einigen fehlten auch die Klinken. Die Fenster hatten Risse oder waren zerbrochen. Die Scheiben waren verschmiert. Nicht anders sah es in den Sälen aus. Die Betten aus alten Rohrgestellen hatten ausgedehnte Rostflecken. Sie waren mit braunen Decken dürftig überzogen. Aus den alten, fleckigen, angerissenen Schaumgummimatratzen kam ein penetranter Uringeruch. Im Duschraum waren die Wandfliesen verschmiert und viele gerissen oder herausgebrochen. Die Asbestdecke hatte Regenflecken, und die Wasserhähne über den Waschbecken klemmten und tropften. Das Tropfen an der Brause war nicht abzustellen. Die Toiletten stanken, und der Gestank wurde ekelhaft, wenn sich die Exkremente in der Schüsseln bei Verstopfung häuften. Die erste Betrachtung verschlug wie mit dem Hammer die Sprache. Der Zustand der Überfüllung und der Verwahrlosung von Gebäuden und Geräten war für die Augenschatten ungewohnt und beispiellos. Es traf zu, dass es Dinge im Verband mit Menschen gibt, für deren Ausmaße die richtigen Worte nur mühsam zu finden, geschweige auszusprechen sind. Das ist dann der Fall, wenn sie die Nägel auf die Köpfe im Kern der angereihten Ursachen treffen sollen.

      Nichts erinnerte an Land und Leben der Herkunft, außer dass es auch dort Verletzte und kranke Menschen gibt, die behandelt, operiert und sonstwie ärztlich betreut werden. Die Gärten und Grünanlagen in der Umgebung sauberer und funktionstüchtiger Krankenhäuser, all das, was zur Stärkung des Lebens von draußen her beiträgt, musste in der Kargheit des afrikanischen Bodens abgeschrieben werden. So wie draußen, so entpuppte sich der Arbeitstag drinnen: heiß, steinig, mühsam, schwitzig, zehrend. Dazu der wenige und gestörte Schlaf, die Granateinschläge im Dorf und um das Hospital herum und die donnernden Abschüsse aus den schweren Haubitzen.

      Eine Granate schlug in den Wasserturm am Dorfausgang ein, eine andere schlug den Wasserturmkopf hinter dem Hospital leck. Der Wasserturm am Dorfausgang wurde in den Schiefstand geschlagen, dass der ‘Wasserkopf’ verrutschte. Auf dem Hospitalgelände entstand ein riesiger knöchelhoher See vor den Wohnbaracken fürs Personal und den drei Ärztehäusern, dass Schwestern und Ärzte mit dem klappernden Kleintransporter geholt und nach dem Dienst zurückgebracht wurden. Die Reparatur nahm vier bis fünf Tage in Anspruch. In dieser Zeit war das Hospital ohne Wasser. Hinzu kamen die unvorhergesehenen Stromausfälle. Von den beiden Dieselgeneratoren für den Notstrom war einer defekt und für den andern, der es tat, fehlte der Dieselkraftstoff.

      Gab es Heimweh? Ja, weil es Kinder gab. Nein, weil es die Wichttuerei mit einer Afghanenzucht und das Statusgetue mit der erhöhten Bequemlichkeit und dem überhöhten Geldverbrauch gab, was sich bei dem angehäuften Schuldenberg negativ auf das Leben der Familie und die Schulleistungen der Kinder auswirkte. Es kam zusammen, dass es im Kopf schwirrte und unter den Sandalen knirschte. Es war kein Wunder, dass der Gewichtsverlust einen rapiden Verlauf nahm, dass in Abständen von zwei bis drei Wochen der Gürtel enger geschnallt werden musste. Zu den vier originären Löchern kamen mit den Jahren vier weitere hinzu, die mit dem Pfriem in gleichen Abständen durch das Leder gestochen wurden.

      Das ist eine Notiz aus dem ersten Jahr:

      Du,

      in schwimmenden Gedanken,

      ob in Rückenlage,

      ob im Schmetterling.

      Weit greifen sie aus,

      mager gewordene Arme schlagen das Rad

      durchs Wasser,

      durch die Luft.

      Anderes ging, doch anderes kam,

      das СКАЧАТЬ