Die erstarrte Demokratie. Robert Kiauka
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Название: Die erstarrte Demokratie

Автор: Robert Kiauka

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

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isbn: 9783742782137

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СКАЧАТЬ dagegen gestimmt, vermutlich, weil die Eingabe aus der „falschen“ politischen Ecke kam. Konsequent gegen Volksentscheide wandte sich bislang die CDU. Argumente gegen die Einführung von Volksentscheiden laufen zum großen Teil darauf hinaus, das Volk habe zu wenig Sachverstand und sei zu leicht zu beeinflussen, um über konkrete Sachfragen zu entscheiden. Beispielsweise könne das Volk die Steuern übermäßig senken oder es befürworte nach aufpeitschenden Sendungen über schwere Verbrechen die Todesstrafe. Tatsächlich kann man so etwas nicht ausschließen. Man kann es aber noch weniger ausschließen im Rahmen der repräsentativen Demokratie. Es gibt z. B. keine Anhaltspunkte dafür, dass das Volk etwa die Einführung von privaten Schiedsgerichten befürwortet hätte, mit allen Nachteilen und trotz der Verfassungswidrigkeit. Auch wiesen in Deutschland die gewählten Volksvertreter immer wieder erschreckende Unkenntnisse auf, gerade auch im Zusammenhang mit zeitnah durchgeführten oder anstehenden Abstimmungen. Sicher kann bei der Fülle der etwa im Bundestag behandelten Themen nicht jeder Abgeordnete überall Experte sein. Aber bei Abstimmungen, wo es „ums Eingemachte geht“, wie etwa der Einführung des ESM, sollte man wissen, was der Vertrag eigentlich vorsieht. Ich erinnere mich an die Ausstrahlung diverser Interviews mit Abgeordneten, die eine erschreckende Unkenntnis offenbarten. Und es ist mit Sicherheit einfacher, einige Abgeordnete zu bestechen als ein ganzes Volk. Und Abgeordnete können genauso populistisch oder extrem eingestellt sein wie Teile des Volkes. Tatsächlich werden extremere Kandidaten über innerparteiliche Auswahl und die Medien wohl unter Umständen noch befördert1. Gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe wird im Übrigen auch das Grundgesetz angeführt. Mehr zu der damit zusammenhängenden Problematik im Abschnitt Rechtsprechung. Das Grundgesetz zu umgehen scheint jedenfalls für die Repräsentanten des Volkes einfacher zu sein als über direkte Demokratie, da hier ggf. schon mit einem Stopp auf unterster Ebene, der Volksinitiative, zu rechnen wäre. Ein Wort zu Quoren. Grundsätzlich wohl sinnvoll, damit nicht jede Woche eine neue Sau durch das Dorf gepeitscht wird und nicht irgendwann diejenigen, die am meisten Zeit haben, Vorschläge durchbringen, die die anderen nur deshalb nicht abgelehnt haben, weil sie sich aus Zeitgründen nicht damit auseinandersetzen konnten. Aber wenn es Quoren bei Volksentscheiden gibt, so kann man auch fragen, ob eine geringe Wahlbeteiligung und mehr noch wegen der 5 %-Hürde unberücksichtigte Stimmen nicht auch im Sinne eines Quorums die Kompetenzen eines Parlamentes einschränken müsste. Damit würde aber eine politische Handlungsunfähigkeit drohen. Will man das nicht, so gebieten demokratische Fairness und Interesse an einer positiven Entwicklung der Demokratie aber auch, Quoren bei Volksentscheiden so zu gestalten, dass die direkte Demokratie nicht übermäßig erschwert wird.

      Weitere leicht umzusetzende Maßnahmen bestehen in Änderungen des Wahlrechts. Im Herbst 2013 stand für die Osnabrücker nicht nur die Abstimmung zum Bundestag an, sondern es musste auch ein neuer Bürgermeister gewählt werden. Wie es häufig der Fall ist, errang zunächst niemand die absolute Mehrheit und es kam zur Stichwahl. Dieses System kann man optimieren und auch auf Parlamentswahlen anwenden. Bleiben wir aber zunächst bei der Bürgermeisterwahl. Die Anzahl der Kandidaten war mit fünf überschaubar. Würde man von vorneherein Stimmzettel verwenden, auf denen die Kandidaten in eine Reihenfolge gebracht werden können, würde man sich den erneuten Wahlgang ersparen und hätte trotzdem ein genaueres Ergebnis. Man würde zunächst die Erststimmen auswerten, den Kandidaten mit den wenigsten Stimmen streichen, von allen entsprechenden Wahlzetteln die Stimmen auf dem 2. Platz zählen und wieder auswerten. Dann den nächsten Kandidaten streichen und so weiter. Mit EDV würde sich der Aufwand in Grenzen halten lassen. Genauso könnte man es auch bei Bundestagswahlen machen: Die Erststimme wird zur Direktstimme, die frühere Zweitstimme wird zu Stimmen in Reihenfolge. Bei der Auswertung werden sukzessive die Stimmen der Parteien, die die 5 %-Hürde nicht schaffen, durch die folgenden Stimmen ersetzt. Wie viele Stimmen man dabei zulässt, müsste man vereinbaren, aber schon eine mögliche Nennung von zwei Parteien würde den Wählerwillen erheblich besser abbilden. Schließlich wurden bei der Bundestagswahl 2013 etwa 15 % der Stimmen bei der Zusammensetzung des Bundestages aufgrund der 5 %-Hürde nicht berücksichtigt. Über diese Hürde kann man natürlich auch streiten, aber die oben beschriebene Regelung ließe sie unangetastet. Gleichwohl könnten die etablierten Parteien dadurch Stimmen und damit Sitze verlieren, denn die Wähler könnten damit auch für eine kleinere Partei stimmen, ohne Gefahr zu laufen, dass ihre Stimme gar nicht zählt. Daher greifen die etablierten Parteien diesen Vorschlag natürlich nicht auf, vergießen Krokodilstränen über die geringe Wahlbeteiligung und beschränken sich auf Vorschläge wie Wahlmöglichkeiten auch im Supermarkt. Von demokratischer Fairness halten diese Volksvertreter offensichtlich nicht so viel.

      Eine etwas weiterreichende Änderung bestünde in der stärkeren Personalisierung von Wahlen. Das Prinzip ist sehr einfach und erprobt. Ich habe es während meiner Studienzeit kennengelernt. Während der 90er Jahre standen an der Uni Münster immer mal wieder die Wahlen zum Studierenden-Ausschuss (ASTA) an. Es traten verschiedene Listen an, die teilweise die politischen Parteien widerspiegelten. Man hatte nur eine Stimme, konnte das Kreuzchen dafür aber auf dem recht großen Wahlzettel bei genau einem Kandidaten von allen der Liste machen. Die Stimme zählte gleichzeitig für die Liste wie die Zweitstimme bei Bundestagswahlen und entschied innerhalb der Liste, wer die Plätze bekam. Mit so einem System ließe sich bei Bundestagswahlen viel stärker differenzieren. Man könnte seine Wahl von individuellen Vorstellungen der Kandidaten statt nur vom Parteiprogramm abhängig machen, auch könnte man innerhalb einer Partei nach Glaubwürdigkeit usw. differenzieren. Neben inhaltlichen Positionen wäre ja z. B. vielleicht noch interessant, wie der Kandidat es für sich selbst mit Nebeneinkünften und deren Veröffentlichung hält. Natürlich sind bei dem System auch viele Varianten möglich, wie die, dass man für mehrere Kandidaten stimmen kann. Trotz großer Listen ließen sich durch Eintragen der Namen o. Ä. auch ausufernd große Stimmzettel vermeiden. Personalisierte Wahlsysteme können natürlich auch schlecht konstruiert sein. In Niedersachsen etwa kann man bei den Kommunalwahlen seine Kreuzchen auf verschiedene Kandidaten verteilen und damit gleichzeitig für die jeweilige Liste stimmen. Man kann seine Stimmen auch nur einer oder mehreren Listen geben. So weit, so gut. Nur, die Kommune ist in Wahlbezirke eingeteilt, und in jedem müssen andere Kandidaten einer Liste aufgestellt sein. Schon, wie genau dann nachher die Mandate verteilt werden, versteht kaum jemand. Dieses System führt real eher zu mehr Intransparenz anstatt zu differenzierteren Wahlen. Sinnvoll angelegte personalisierte Wahlsysteme sollte aber eine Möglichkeit sein, weg von der Wahl des kleinsten Übels zu kommen. Personalisierte Wahlen gibt es teilweise auch schon auf Landesebene, z. B. in Hamburg, eingeführt über Volksentscheide.

      Die beschriebenen Maßnahmen stellen mögliche erste Schritte dar. Eine Lösung aller Probleme unseres demokratischen Systems ist so nicht gegeben, schon weil es Probleme gibt, die durch diese Maßnahmen gar nicht berührt werden. Aber über direkte Demokratie durch Volksentscheide und Parlamente, die den Willen des Volkes besser abbilden, könnten weitere Entwicklungen der Demokratie eingeleitet werden.

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