Название: Die erstarrte Demokratie
Автор: Robert Kiauka
Издательство: Bookwire
Жанр: Социология
isbn: 9783742782137
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Weitere leicht umzusetzende Maßnahmen bestehen in Änderungen des Wahlrechts. Im Herbst 2013 stand für die Osnabrücker nicht nur die Abstimmung zum Bundestag an, sondern es musste auch ein neuer Bürgermeister gewählt werden. Wie es häufig der Fall ist, errang zunächst niemand die absolute Mehrheit und es kam zur Stichwahl. Dieses System kann man optimieren und auch auf Parlamentswahlen anwenden. Bleiben wir aber zunächst bei der Bürgermeisterwahl. Die Anzahl der Kandidaten war mit fünf überschaubar. Würde man von vorneherein Stimmzettel verwenden, auf denen die Kandidaten in eine Reihenfolge gebracht werden können, würde man sich den erneuten Wahlgang ersparen und hätte trotzdem ein genaueres Ergebnis. Man würde zunächst die Erststimmen auswerten, den Kandidaten mit den wenigsten Stimmen streichen, von allen entsprechenden Wahlzetteln die Stimmen auf dem 2. Platz zählen und wieder auswerten. Dann den nächsten Kandidaten streichen und so weiter. Mit EDV würde sich der Aufwand in Grenzen halten lassen. Genauso könnte man es auch bei Bundestagswahlen machen: Die Erststimme wird zur Direktstimme, die frühere Zweitstimme wird zu Stimmen in Reihenfolge. Bei der Auswertung werden sukzessive die Stimmen der Parteien, die die 5 %-Hürde nicht schaffen, durch die folgenden Stimmen ersetzt. Wie viele Stimmen man dabei zulässt, müsste man vereinbaren, aber schon eine mögliche Nennung von zwei Parteien würde den Wählerwillen erheblich besser abbilden. Schließlich wurden bei der Bundestagswahl 2013 etwa 15 % der Stimmen bei der Zusammensetzung des Bundestages aufgrund der 5 %-Hürde nicht berücksichtigt. Über diese Hürde kann man natürlich auch streiten, aber die oben beschriebene Regelung ließe sie unangetastet. Gleichwohl könnten die etablierten Parteien dadurch Stimmen und damit Sitze verlieren, denn die Wähler könnten damit auch für eine kleinere Partei stimmen, ohne Gefahr zu laufen, dass ihre Stimme gar nicht zählt. Daher greifen die etablierten Parteien diesen Vorschlag natürlich nicht auf, vergießen Krokodilstränen über die geringe Wahlbeteiligung und beschränken sich auf Vorschläge wie Wahlmöglichkeiten auch im Supermarkt. Von demokratischer Fairness halten diese Volksvertreter offensichtlich nicht so viel.
Eine etwas weiterreichende Änderung bestünde in der stärkeren Personalisierung von Wahlen. Das Prinzip ist sehr einfach und erprobt. Ich habe es während meiner Studienzeit kennengelernt. Während der 90er Jahre standen an der Uni Münster immer mal wieder die Wahlen zum Studierenden-Ausschuss (ASTA) an. Es traten verschiedene Listen an, die teilweise die politischen Parteien widerspiegelten. Man hatte nur eine Stimme, konnte das Kreuzchen dafür aber auf dem recht großen Wahlzettel bei genau einem Kandidaten von allen der Liste machen. Die Stimme zählte gleichzeitig für die Liste wie die Zweitstimme bei Bundestagswahlen und entschied innerhalb der Liste, wer die Plätze bekam. Mit so einem System ließe sich bei Bundestagswahlen viel stärker differenzieren. Man könnte seine Wahl von individuellen Vorstellungen der Kandidaten statt nur vom Parteiprogramm abhängig machen, auch könnte man innerhalb einer Partei nach Glaubwürdigkeit usw. differenzieren. Neben inhaltlichen Positionen wäre ja z. B. vielleicht noch interessant, wie der Kandidat es für sich selbst mit Nebeneinkünften und deren Veröffentlichung hält. Natürlich sind bei dem System auch viele Varianten möglich, wie die, dass man für mehrere Kandidaten stimmen kann. Trotz großer Listen ließen sich durch Eintragen der Namen o. Ä. auch ausufernd große Stimmzettel vermeiden. Personalisierte Wahlsysteme können natürlich auch schlecht konstruiert sein. In Niedersachsen etwa kann man bei den Kommunalwahlen seine Kreuzchen auf verschiedene Kandidaten verteilen und damit gleichzeitig für die jeweilige Liste stimmen. Man kann seine Stimmen auch nur einer oder mehreren Listen geben. So weit, so gut. Nur, die Kommune ist in Wahlbezirke eingeteilt, und in jedem müssen andere Kandidaten einer Liste aufgestellt sein. Schon, wie genau dann nachher die Mandate verteilt werden, versteht kaum jemand. Dieses System führt real eher zu mehr Intransparenz anstatt zu differenzierteren Wahlen. Sinnvoll angelegte personalisierte Wahlsysteme sollte aber eine Möglichkeit sein, weg von der Wahl des kleinsten Übels zu kommen. Personalisierte Wahlen gibt es teilweise auch schon auf Landesebene, z. B. in Hamburg, eingeführt über Volksentscheide.
Die beschriebenen Maßnahmen stellen mögliche erste Schritte dar. Eine Lösung aller Probleme unseres demokratischen Systems ist so nicht gegeben, schon weil es Probleme gibt, die durch diese Maßnahmen gar nicht berührt werden. Aber über direkte Demokratie durch Volksentscheide und Parlamente, die den Willen des Volkes besser abbilden, könnten weitere Entwicklungen der Demokratie eingeleitet werden.
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