Название: Quitt
Автор: Theodor Fontane
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754179284
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Selbstverständlich nahm Siebenhaar, als er sein vorläufiges Ziel erreicht hatte, seinen Platz in Front der Halle, just an der Stelle, wo sonst Espes und Lieutenant Kowalski zu sitzen pflegten. Der Garten war, der frühen Stunde halber, noch leer, und nur in der Siebenhaar zunächst befindlichen Laube standen, angesichts einer über den Tisch hin ausgebreiteten Karte, drei Touristen von eleganter und beinah weltmännischer Haltung, die trotz ihres prononciert sächsischen Dialekts unschwer erkennen ließen, daß sie viel »drüben« gewesen sein mußten, in England oder vielleicht gar in Amerika. Siebenhaar, wenn er nach der Seite hin schärfer zu beobachten gewußt hätte, würde sofort auf Chemnitzer oder doch mindestens auf Meeraner Industrielle geraten haben. Aber dergleichen Beobachtungen lagen ihm fern. Er sah nur nach der Laube hinüber und horchte neugierig auf den Gang der von nur zu deutlichen Stimmen geführten Unterhaltung. Einer der drei, der der Kritischste zu sein schien, unterzog – ein großes gelbes Kursbuch in der Hand – die von dem über die Karte gebeugten Hauptsprecher in einem fort vorgebrachten Zeit- und Ortsangaben einer beständigen Kontrolle, was den Reisestrategen, den »Mann der Karte«, natürlich sehr verdroß. Überhaupt schien die Stimmung nicht die beste zu sein, denn zwei junge hübsche Frauen, die mit zur Partie gehörten, sahen sich entweder unter ironischem Lächeln an oder schlugen ungeduldig die fünf Finger ihrer Hände ineinander. Es half ihnen aber nichts.
»Ich denke also«, fuhr der Hauptsprecher und Kartenstratege fort, »wir gehen über das Gehänge. Führer brauchen wir nicht, denn wir haben eben die Karte. Hier läuft der Weg – ein bemerkenswert dicker Strich, alles klar und deutlich. Willst du so gut sein, Agnes, und dich durch den Augenschein überzeugen, daß er hier läuft. Bitte, Mathilde, tritt auch heran! Ich habe nicht Lust, mir nachher Vorwürfe machen zu lassen oder Anklagen zu hören über Nichtwegekenntnis und Verlaufen und Irrfahrten. Freilich, wenn die Schuhe drücken, so ist das eine Sache für sich, die mit dem Weg und der Führung nicht das geringste gemein hat. Auf Reisen sollten Eitelkeiten der Art aufhören. Denn enge Schuhe sind Eitelkeiten. Es ist jetzt elf Uhr fünf Minuten, wir müssen also spätestens drei Uhr fünfzehn Minuten oben sein. Schnitzel oder Koppen-Beefsteak, je nachdem. Ich rechne darauf vierzig Minuten. Aber sagen wir fünfundvierzig, was hoch gerechnet ist. Jedenfalls sind wir mit dem Glockenschlage vier auf der böhmischen Seite. Dann im Laufschritt bergab; Laufschritt, wenn die Terrainbeschaffenheit ihn irgendwie gestattet, ist bekanntlich bequemer und sicherer als ewige Vorsicht und Trippelei. Um sechs Uhr sind wir in Johannisbad und sieben Uhr fünf Minuten in Trautenau. Hier treffen wir den Zug und sind um Mitternacht in Prag.«
»Der Zug von Trautenau geht aber schon sechs Uhr fünfundfünfzig«, sagte der mit dem Kursbuch, der auf diesen abzugebenden Zwischenschuß mit einer Art Schadenfreude gewartet zu haben schien.
»Sieben Uhr fünf oder sechs Uhr fünfundfünfzig ist gleich. Eine Differenz von zehn Minuten ist keine Differenz; jedenfalls aber durch ein rascheres Tempo leicht einzubringen. Außerdem gehen von Johannisbad aus immer Retourwagen. Aber wenn auch nicht, mit Hilfe von...«
Er kam nicht weiter in seinen Auseinandersetzungen, denn beide junge Frauen, welche die »ewige Rennerei« längst satt hatten, faßten sich in diesem Augenblick unter und traten ziemlich demonstrativ vom Tisch fort an den plätschernden Springbrunnen.
»Ach, Mathilde«, sagte die eine, »wenn wir den doch mitnehmen könnten.« Und dabei stellte sie sich aufatmend in den Sprühregen. »Weißt du, daß ich hier bleiben möchte?«
Die andere nickte.
»Und was wohl die Kinder machen mögen?«
»Ach die! Aber wir!«
Siebentes Kapitel
Siebenhaar war entzückt, ebenso von dem feierlichen Ernste, mit dem die Fehde zwischen dem Karten- und dem Kursbuchmann geführt wurde, wie von den kleinen Verstimmungen des verbleibenden Restes der Gesellschaft. Er sah denn auch, um diese Verstimmungen besser verfolgen zu können, eben neugierig nach dem Springbrunnen hinüber, auf dessen Rand sich die beiden Damen und mit ihnen der dritte, jüngere Herr (welcher der Unverheiratete der Partie zu sein schien) gesetzt hatten, als er, einigermaßen verlegen – weil es mit dem Weiterbeobachten nun natürlich vorbei sein mußte –, die gute Frau Exner auf sich zukommen sah, seine liebe, alte Freundin, die vor vierzig Jahren oder, was dasselbe sagen will, bald nach seinem Amtsantritte von ihm eingesegnet und zehn Jahre später getraut worden war. Sie nickte schon von weitem und setzte sich zu ihm, um eine kleine Plauderei mit ihm zu haben. Die machte sich denn auch – nur noch von einzelnen Streifblicken nach dem Springbrunnen hin begleitet – ebenso rasch wie gemütlich, und erst als eine Viertelstunde später die Touristen, Männlein und Weiblein, aufgebrochen waren, entsann sich Siebenhaar, mitten im Gespräch über die glänzende Vermögenslage des alten Zölfel, auch seines Amtsbruders, um dessentwillen er eigentlich gekommen war, und las nun aus dem Briefe desselben die Stelle vor, die des kranken und kinderreichen Mannes Wünsche noch einmal kurz zusammenfaßte. »So handelt es sich denn, lieber Bruder«, so hieß es im Wortlaut, »vor allem um reine Luft und gesunde Lage, wenn es sein kann, an einem Hochwalde hin, selbstverständlich mit Ausschluß von Sumpf und Wiesengrund, zum zweiten aber um drei geräumige Zimmer mit sieben Betten, am liebsten über dem Kuhstall, wenigstens das meinige. Daß ich vor Hundebleff geschützt bin, darf ich wohl voraussetzen, ebenso daß das Haus oder die Baude nicht unmittelbar an der Lomnitz steht. Ich leide nämlich seit letztem Winter an einer Trommelfellaffektion oder vielleicht auch bloß an allgemeiner Nervenüberreizung und bedarf deshalb absoluter Stille. Was ich eingangs über den Preis geschrieben habe, brauche ich Dir nicht zu wiederholen.«
Siebenhaar, СКАЧАТЬ