Das einfache Leben. Ernst Wiechert
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Название: Das einfache Leben

Автор: Ernst Wiechert

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783754180945

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СКАЧАТЬ Gesicht verzweifelter als das des grauen Bildes an der Wand.

      Aber dann ließ er die Hände sinken und lächelte wie zur Abbitte. »Es ist nur manchmal«, sagte er, »und geht gleich vorbei … ich sehe Ihnen schon lange zu, fast fünf Jahre, Herr von Orla. In dieser Gemeinde bleibt ja nichts verborgen. Wie Sie mit Ihrem Jungen gehen und wie Sie allein gehen, lange und viel allein. Aber ich war immer getrost, wenn ich an Sie dachte. Er trifft seinen Engel schon, habe ich gedacht. Wer so viel geht, trifft ihn schon einmal. Ich bin nicht zu Ihnen gekommen, das sind so neumodische Dinge. Wenn die Kirchen leer sind, wandern die Pfarrer in die Häuser, um Eintrittskarten zu verschenken. Nein, nein. Die Bauern warten auch, bis man kommt. Aber Sie wollen ja auch nicht das ›Wort Gottes‹, wie es so heißt. Sie wollten nur eine Bestätigung, daß es nicht recht ist mit Ihrem Leben. Und Sie haben gedacht, ein Pfarrer, wenn er um Mitternacht noch auf ist, vielleicht weiß er es …«

      »Ich war schon an meinem Hause«, sagte Thomas, »und erst als ich sah, daß die Fenster noch alle hell waren und die Wagen unten hielten, bin ich umgekehrt.«

      »Ja, sie leben wie Belsazar und seine Knechte … immer war das so in solchen Zeiten … man soll nicht schelten, man soll nur immer dasein, immer dasein …« Er legte den Kopf an die Lehne seines Stuhles und schloß die Augen. Jede Linie des Gesichtes erstarb in erschreckender Müdigkeit.

      Thomas stand leise auf. »Ich danke Ihnen, Herr Pfarrer«, sagte er.

      »Danken soll man erst, wenn man beim Morgenlicht nicht bereut, Herr von Orla. Und auch dann ist es meistens überflüssig. Es kommt uns nämlich nicht zu, verstehen Sie? Sehr wenigen kommt es zu, und ich bin nicht einer von den wenigen.«

      Er brachte ihn noch ans Gartentor, schloß hinter ihm zu und sah einmal zu den Sternen auf. »Ich war heute bei einem Mörder«, sagte er halb im Fortgehen. »Ja, Sie dürfen nicht erschrecken, das sind so meine Pflichten … Morgen wird er hingerichtet. Ich saß eine Stunde bei ihm und habe gebetet. Allein, denn er wollte nicht beten. Er wollte auch nicht sprechen, kein Wort. Aber ich dachte, vielleicht tut es ihm wohl, daß nun einer da sei außer den furchtbaren Wänden. Aber als ich fortging – der Wärter kam mich holen – und ich noch einmal zurücksah auf seine gekrümmte Gestalt, da richtete er sich auf und sagte: ›Ein Segen, daß es drüben keine Pfarrer geben wird!‹ Ganz freundlich sagte er es … was aber muß ein Stand gesündigt haben, Herr von Orla, daß so etwas gesagt werden kann? Verstehen Sie? Aber es ist nicht der einzige Stand, glauben Sie mir. Keiner von uns weiß, wie er schuldig ist an allem, was geschieht. An allem, hören Sie? Ja, an allem …«

      Dann ging er zu den hellen Fenstern zurück, und Thomas sah, wie gebeugt die schweren Schultern waren.

      Später müßte Joachim zu ihm, dachte er, langsam die Straße hinuntergehend. Wenn ich einmal arbeite – und es wird sicherlich nicht hier sein –, dann müßte er zu ihm und ab und zu in diesem großen Raum sitzen und ihm zusehen. Wie sein Gesicht lebt unter allen Toten, die um uns sind.

      Schwester Beate stand schon in der Wohnungstür, als er die Treppe heraufkam. »Die gnädige Frau ist krank«, flüsterte sie verstört, »ich weiß nicht, was es ist.«

      Er ging noch im Mantel hinein. Mit einem schnellen Blick umfing er den großen Raum, die Tische mit Gläsern und Aschenschalen, die Falten in den Teppichen, die geknüllten Kissen in den Sofas und Sesseln. Der abgestandene Zigarettenrauch machte ihm nach der reinen Nachtluft übel. »Öffnen Sie alle Fenster, Schwester«, sagte er leise. Dann ging er zum Kamin, in dem das Feuer noch brannte.

      Seine Frau kauerte in einem der tiefen Stühle. Sie hatte die Füße hochgezogen und den Kopf auf die Lehne zurückgelegt. Ihr Gesicht war weiß und erschöpft, mit kleinen Schweißtropfen auf der gefalteten Stirn. Als er die Hand ausstreckte, um sie auf ihr Haar zu legen, öffnete sie die Augen und lächelte. Ihr Blick war trübe und fast bewußtlos, ihr Lächeln wie das einer entstellten Maske. »Tho … mas«, flüsterte sie mühsam. Sie war betrunken.

      Seine Hand hielt in der Bewegung inne, und er starrte regungslos in ihr Gesicht. Er fühlte, wie seine Haut kalt wurde und sein Mund sich in einem bitteren Geschmack zusammenzog. »An allem«, ging es ihm durch den Sinn, »ja, an allem …«

      Sie trugen sie ins Schlafzimmer, und Thomas schickte die Schwester nach einem Glas aufgewärmter Milch. Er blieb am Fußende des Bettes stehen, bis sie zurückkam. »Eine leichte Vergiftung«, sagte er. »Nach diesem wird es besser werden, verstehen Sie? Wenn es schlechter wird, rufen Sie mich!« Er sah ihr befehlend in die Augen, bis sie verstanden hatte.

      »Ich mache es nun schon allein, Herr Kapitän«, sagte sie.

      In seinem Zimmer setzte er sich auf das schmale Ruhesofa und stützte den Kopf in die Hände. Er wußte, daß es ohne Hoffnung war. Die Nachernte des Krieges war so erbarmungslos wie seine blutige Zeit. Vor zehn Jahren noch würde er geglaubt haben, mit dem Schiff untergehen zu müssen. Nun glaubte er es nicht mehr. Sein Vater hatte es nie geglaubt. »Ein Mann, Thomas, der sich von einer Frau in den Strudel ziehen läßt, hat aufgehört, ein Mann zu sein!« Sie hatten an der Leiche eines Gespannknechtes gestanden, der sich ertränkt hatte, weil seine Frau ihn betrog. Thomas hatte noch seine Kadettenuniform getragen, aber der Vater hatte ihn mitgenommen, um es ihm zu zeigen. Er sah ihn dastehen, beide Hände auf den Stock gestützt, und über den Toten hinweg auf die grünen Felder blicken. Weiße Wolken zogen wie dunkle Schatten über die junge Saat, und in der Ferne hörte man eine Sense dengeln. »Du wirst dich erinnern, Thomas«, hatte der Vater gesagt. »Es wird eine Zeit kommen, wo euer Leben nicht euch oder den Frauen gehören wird, keinem von euch …«

      Nun erinnerte er sich. Es war nicht gut, daß der Vater so früh gestorben war.

      Er holte sich ein Kissen und eine Decke aus dem Gastzimmer. Bevor er das Licht löschte, trat er noch einmal an den Globus. Er legte einen Finger auf die Gipfel des Himalaja und schob sie mit leisem Schwung zur Seite. Die große Kugel begann sich leise surrend in ihrem Lager zu drehen, und Gebirge, Ebenen und Meere glitten mit einem flüsternden Ton an seinen Augen vorüber. Tauchten wieder auf und versanken wieder, Farbflecke und ein Netz von Linien, Licht, Dämmerung und Schatten, und er stand vorgebeugt, leise verwundert, als stehe er auf einem fremden Stern und sehe zu, wie die alte Heimat vorüberschwebte, ganz weit, durch den eisigen Weltenraum, und alles Schicksal auf ihr sei so fremd wie ein Märchen aus längst vergangenen Tagen.

      Dann wurde die Drehung langsamer und erstarb. Der heimische Erdteil breitete sich vor seinen Blicken aus, und seinem Abbild waren Brand und Verwüstung der letzten Jahre nicht anzusehen. Ruhig lagen die Festländer und Meere, die Ströme spannten sich blau und dünn über die gekrümmte Fläche, und das Bild der Stadt, in der er lebte, lag als ein kleiner dunkler Kreis zwischen Wasser und Wald. Nach Osten aber zogen die großen leeren Ebenen, immer leerer, je weiter seine Blicke ihnen folgten, bis zur verstümmelten Grenze des Reiches, und dort, im wieder gehäuften Blau und Grün der Seen und Wälder, ruhte das Auge noch einmal aus, ehe das Endlose der Krümmung der Kugel verschwand.

      Thomas war eine Nacht und einen halben Tag gefahren, als er an der kleinen Haltestelle ausstieg. Er holte sein Fahrrad aus dem Gepäckwagen, sah hinter dem Bahnhofsgebäude einmal in seine Karte, machte den Rucksack fest und fuhr die birkengesäumte Straße hinunter, den Wäldern zu, die blau und groß im Süden die Welt verschlossen.

      Obwohl das Land nicht unähnlich seiner märkischen Heimat war, schien es ihm doch, als sei er in der Nacht über fremde und riesige Ströme gefahren und als sei dies hier keiner Erde zu vergleichen, die er während seines Lebens betreten hatte.

      Indes er fast geräuschlos dahinglitt, von einem sanften seitlichen Winde je nach der Biegung der Straße gehindert oder getrieben, СКАЧАТЬ