Название: Jochen Kleppers Roman "Der Vater" über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I - Teil 2
Автор: Jochen Klepper
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: gelbe Buchreihe
isbn: 9783753191485
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Um nicht gar zu unhöflich zu sein, hatte König Georg nur flüchtig gefragt: „Sie ist Ihr Liebling?“ Dieses Wort ging König Friedrich Wilhelm ein wenig im Kopfe herum. Hatte er Lieblinge unter seinen Kindern? Wie stand es um August Wilhelm, den zweiten Sohn, um seinen Hulla, den er besitzen durfte, wie auch andere Väter ihre Söhne besaßen? Denn der Älteste gehörte ‚Dem König von Preußen‘, jenem Herrn, den auch Friedrich Wilhelm von Hohenzollern als stetig streng Fordernden zu fürchten begann.
Wenn er Lieblinge hatte, so waren sie mit ihm um nichts besser daran als die übrigen Geschwister. Er unterschied keines von den anderen durch Wohltaten oder Überraschungen. Er lohnte und strafte sie nicht, um ihnen nicht zu früh als der König zu begegnen.
Freilich kam es vor, dass er sich mit seinem Hulla manchmal eine Viertelstunde lang, die kostbare Viertelstunde eines Königslebens, bespasste und ihn nach Herzenslust abküsste. Was war Hulla für ein munterer kleiner Kerl; wie war er stets für ihn bereit! Was fuhr er gern mit dem Vater aus; wie stand das winzige Mundwerk dann unterwegs nicht einen Augenblick still! Aber der Vater verschloss sich doch den Fehlern seines Kleinen nicht. Beim Exerziermeister ging er nicht auswärts genug, genau wie der Fritz. Ach, die Jungen waren beide nicht sehr kräftig, bei weitem nicht so stark und groß, wie er sich die beiden einzigen „Kerls“ ersehnte, die er nicht erst anzuwerben brauchte – die ihm gehörten! Benehmen und Haltung August Wilhelms schienen im Vergleich zu Fritz nicht so gewandt und sicher. Der Kleine war etwas ängstlich und vor Fremden leicht befangen. Selbst ihm gegenüber traute er sich mit Bitten manchmal nur schriftlich hervor. Da wurde dem König rasch so ein Kinderbriefchen zugesteckt: „Darf ich wohl wieder bisweilen mit Farben malen?“ Das Prinzlein steckte viel bei Pesne im Atelier. Die Hintergründe und Landschaften, die des großen Porträtisten schwache Seite waren, die gerade interessierten Hulla am meisten; an ihnen sah er sich gar nicht satt. Mag er, mag er, dachte der König, Bilder sehen hält die Augen offen! Bücher lesen macht zu leicht in sich gekehrt –. Soll er die geliebten, großen, sanften Augen offenhalten!
Nein, Lieblinge hatte König Friedrich Wilhelm nicht, nur acht geliebte Kinder; von denen war eines ein Sohn, den er wie andere Väter ihre Knaben zum Sohne haben durfte... Eines seiner Kinder gehörte ihm nicht, wie er sich selbst nicht gehörte. Friedrich und er, sie dienten ‚Dem König von Preußen‘.
* * *
Als alle Welt sich noch lebhaft mit dem Besuch des Königs von England am Berliner Hof befasste, als man namentlich im engen Kreis der Tabagie dies und jenes über die Hintergründe der Visite zu erfahren suchte, wusste Gundling seinen Herrn von gar nichts Besserem zu unterhalten als ausgerechnet von altrömischen Gebräuchen. Schlossen in Rom zwei Parteien einen Pakt, so wurde er durch eine Kinderverlobung im Hause der Führer bekräftigt; schlossen sie gar einen üblen Traktat, so musste möglichst eine Doppelheirat das schlechte Machwerk verbrämen. Wer den Antrag auf die festliche Vereinigung der Häuser am ehesten stellte, der hatte den anderen am meisten übervorteilt.
Und plötzlich sprach Gundling nun doch vom König von England, dem einzigen Thema, das die anderen interessierte.
„Der hohe Herr ist nur so sehr rasch abgereist, weil ich ihn nicht gebührlich empfing. Ich hatte keinen französischen Rock und keine Pariser Perücke, wie sie jetzt in Preußen wieder Mode sind. Ich hatte keinen Rang und Titel, wie sie heute in Preußen wieder Geltung haben. Ich hatte die feinen Manieren verlernt, mit denen man neuerdings in Preußens britischer Ära allein noch reüssieren kann! Ich will zum alten Adel! Ich will einen Titel! Ich will einen Tanzmeister, die alten Komplimente noch einmal zu lernen!“
Der Betrunkene weinte wirklich wie ein ungezogenes Kind. Der König, der schon im Aufbruch gewesen war, stand bereits eine ganze Weile an den Türpfosten gelehnt. Das waren Wahrheiten, die er da zu hören bekam! – Er hatte etwas übersehen. Er hatte sich etwas nicht eingestanden: Es hatte seine alten Widersacher berauscht, dass der König von England nach Preußen kam und dass die Königin von Preußen so in den Mittelpunkt rückte. Er, der Herr, schien plötzlich nicht mehr gar so wichtig. Alle kamen sie wieder hervor, die Unzufriedenen aus alten, anspruchsvollen Geschlechtern; sie kamen mit Versailler Prunk in seine Residenz, hielten in seinem Hause Hof im Stil des alten Königs, trieben Kult mit sich und der Königin, mit Wilhelmine und Friedrich, Er, der Herr, stand außerhalb. Die Gattin hatte es besser begriffen als er, was geschah. Sie führte die Zeiten des ersten Königs herauf, lud alle vom Gemahl Verschmähten an den Hof, holte die beiseite gestellten dünkelhaften Gelehrten hervor, nur damit Athen und Rom, die heiligen sieben Hügel, die Akropolis und der Olymp, zwischen der Spree und den rauen Bergen erstünden! Hätte ich nur, dachte der König, die Augen offengehalten die ganzen festlichen Tage hindurch, statt dass ich in den Stunden, die ich nicht dem Gaste widmen musste, weiter über meiner Arbeit saß! Solches erwog nun der Herr. Gundling ließ er weiter um Adel und Rang, Perücke und Pariser Roben winseln. Noch immer lehnte er in der Tür und blickte auf den Professor.
Mit einem Male versprach er ihm alles: den Adel, das erhabene Amt, die französischen Friseure und Schneider; denn der Herr gedachte sie alle zu treffen, die sich einer trägen, alten, lügnerischen Zeit verschrieben.
Als der König sich das nächste Mal wieder in Potsdam zur Tabaksgesellschaft einfand, hatte der Kreis der Tabaksrunde viel zu staunen. Teppiche waren an den weißgetünchten Wänden aufgehängt, die Zahl der Leuchter war verdoppelt, Pagen umdrängten die Flügeltür. Der König bat die Generale, Räte und Minister, sich zu erheben. Gundling trat ein. Die Pagen, einer nach dem andern sich verneigend, riefen meldend seine neuen Würden aus, dass keiner von den Gästen des Königs sich in Titel und Anrede irre oder vergesse. Jakob Paul Freiherr von Gundling erschien, Hof-, Kammer-, Kriegs-, Geheim-, Oberappellations- und Kammergerichtsrat! Mitglied des Landeskollegiums! Oberzeremonienmeister! Präsident der Akademie der Wissenschaften! Kammerherr Seiner Majestät! Kanzler der Halberstädtischen Regierung! Erbe und Eigentümer aller neuen Maulbeerplantagen für die künftigen königlich preußischen Seidenspinnereien!
Hoch erhobenen Hauptes schritt der Gewaltige in den Saal, klein und aufgedunsen, die Augen verglast, Antlitz und Hände gepudert und duftend. Der König selber hatte sein Amtskleid entworfen: einen roten, mit schwarzem Samt ausgeschlagenen, mit goldenen Knopflöchern gezierten und nach der neuesten Mode mit großen Aufschlägen besetzten Samtrock zu einer überreich gestickten Weste. Auf dem Kopf prangte eine auf beiden Seiten lang herabhängende Staatsperücke von weißem Ziegenhaar; ein großer Hut mit einem roten Federbusch bedeckte ihren Scheitel. Der Kammerherrenschlüssel hing ihm zur Seite. Die roten, seidenen Strümpfe waren mit goldenen Zwickeln, die Schuhe mit roten Absätzen geschmückt.
So rauschte er daher, der Freiherr, Oberzeremonienmeister, Präsident und vielfache Rat. Aber es war ersichtlich, dass er kein Wohlgefallen an der Staatstracht empfand. Er meinte wohl, dass sie ihm wieder Schleifchen in die Locken binden, ihm den Rücken mit allegorischen abscheulichen Tieren aus Papierschnitzeln bestecken würden. Er misstraute den Verneigungen der Herren; er wagte nicht, die Bestallungsurkunde entgegenzunehmen, die der König ihm hinhielt. Aber er musste auf Geheiß des Herrn einen Blick darauf werfen. Sie war in vollster Ordnung. Alles war wahr; auch dies, dass ihm der König die für Rang und Geltung vorgeschriebenen sechzehn Ahnen aus eigener Vollmacht verlieh! Der Pompöse mit den Ziegenhaarlocken schluchzte auf. Die erträumten Ziele des verkommenen, armen Pastorensohns waren erreicht. Einmal nur hatte er aufgeschluchzt; niemand konnte es wohl hören. Nur der König, der ihm gegenüberstand, nahm es wahr.
„Es ist gut, dass Sie kommen, mein Lustiger Rat“, sagte der König, und dieses war das wahre Amt und der wirkliche Titel, denn all die anderen Titulaturen und Auszeichnungen gab es ja im Lande Preußen ernstlich nicht mehr. СКАЧАТЬ