Fauchery sah ihn nicht gleich.
»Ach du lieber Gott, Labordette!« sagte er dann mit der nämlichen halb sorglosen, halb wegwerfenden Miene wie vorhin.
Die Dekoration des zweiten Aktes rief lebhaftes Erstaunen hervor. Man sah das Innere einer Winkelkneipe der Vorstadt, der »Schwarzen Kugel«, am Fastnachtsdienstag; unsaubere Masken tanzten ein Rondo, dessen Refrain sie mit Hackenklappern begleiteten, und dieser außer Rand und Band geratene Janhagel erheiterte das Auditorium dermaßen, daß das Rondo noch einmal begehrt wurde. Und hier herein trat eben die von Iris irregeleitete Götterschar, die sich törichterweise einbildete, die Erde zu kennen, in der Absicht, ihre Untersuchung abzuhalten. Sie waren maskiert, um ihr Inkognito zu wahren. Jupiter trat als König Dagobert ein, eine Eisenblechkrone auf dem Haupt und die Hosen verkehrt über die Beine gezogen. Phöbus kam als Postillion von Lonjumeau und Minerva als normannische Amme. Unbändige Heiterkeit empfing den Kriegsgott Mars, der eine extravagante Schweizer Admiralsuniform trug. Aber das Gelächter erreichte den Gipfelpunkt, als man Neptun erblickte, der mit einer blauen Leinwandbluse bekleidet war, auf dem Kopf eine hohe aufgeblähte Schirmmütze trug, unter welcher Schmachtlocken an den Schläfen hervorkamen, und der in mächtigen Pantoffeln einherschlurfte, während er mit einer speckigen Stimme die Worte lallte: »Wenn man ein sdlöner Mann ist, so muß man sich auch lieben lassen!« Lautes »Oho!« antwortete ihm, während die Damen ihre Fächer ein wenig höher emporhoben. Lucy lachte in ihrer Proszeniumsloge so laut und geräuschvoll, daß Caroline Héquet sie mit einem leichten Schlag ihres Fächers zur Ruhe auffordern mußte.
Indessen nahm die Handlung ihren Fortgang. Vulkan lief als perfekter Dandy, ganz in Gelb gekleidet, mit gelben Handschuhen, ein Monokel in das rechte Auge geklemmt, beständig hinter Venus her, die endlich als Hökerweib auf der Bühne erschien, ein Tuch um den Kopf geschlungen, mit bloßen, von dickem Goldschmuck behangenen Brüsten. Nana war so weiß und so fett, so natürlich in dieser starke Hüften und ein kräftiges Mundwerk erheischenden Rolle, daß sie im Flug das ganze Auditorium gewann. Man vergaß über ihr völlig Rose Mignon, das reizende Püppchen mit dem weiten Hut und dem kurzen Musselinröckchen, die eben mit einer allerliebsten Stimme ihre Dianenklagen seufzte. Die andere, das große, dicke Frauenzimmer, das sich auf seine feisten Schenkel schlug und wie eine Henne gluckste, erschien in so überwiegend weiblichem Nimbus und war von so kräftigem Lebensodem umhaucht, daß sich das Publikum daran berauschte. Von diesem zweiten Akt an war Nana alles erlaubt; ihre Haltung mochte kläglich sein, sie brauchte keine einzige Note zu singen, sie konnte steckenbleiben; sobald sie sich umdrehte und lachte, war alles gut, ihr Lachen genügte, um die Bravorufe aus allen Winkeln des Saales einzuheimsen. Wenn sie ihren famosen Hüftenstoß inszenierte, geriet das Parkett in Feuer, und von den Logen bis zur Galerie, bis zur Wölbung hinauf stieg die Hitze der Begeisterung.
Zwei Stücke wurden zur Wiederholung verlangt. Der Ouvertürenwalzer, jener Walzer mit dem aufreizenden Rhythmus, ertönte jetzt wieder und führte die Götter hinweg. Juno, die als Pächtersfrau kostümiert war, erwischte ihren Jupiter bei einem zärtlichen Tete-a-Tete mit seiner Waschmamsell und bedachte ihn mit Ohrfeigen. Diana, die Venus dabei erwischte, als sie Mars ein Stelldichein geben wollte, beeilte sich, an Vulkan Ort und Stunde zu verraten, worauf dieser den Ruf ausstieß: »Ha, ich habe meinen Plan!« Das übrige erschien nicht ganz verständlich. Die Untersuchung der Götterschar fand ihr Ende in einem Galoppfinale, nach dem Jupiter, außer Atem, in Schweiß gebadet und ohne Krone, die Erklärung abgab, daß die kleinen Frauen der Erde köstliche Geschöpfe seien und daß die Ehemänner samt und sonders unrecht hätten.
Der Vorhang fiel, als über die Bravos hinweg heftig geschrien wurde:
»Alle vor! Alle vor!«
Der Vorhang ging wieder in die Höhe; die Künstler, sich an den Händen haltend, traten vor, in ihrer Mitte machten Nana und Rose Mignon nebeneinander höfliche Knickse. Man klatschte, die Claque rief. Dann leerte sich der Saal langsam zur Hälfte.
»Ich muß jetzt die Gräfin Muffat begrüßen«, wandte sich Faloise zu Fauchery.
»Richtig, bei dieser Gelegenheit führst du mich dort ein«, erwiderte Fauchery; »wir wollen sogleich hinuntergehen.«
Aber es war durchaus nicht leicht, zu den Balkonlogen zu gelangen. In dem Verbindungsgang war es voll zum Erdrücken. Um sich mitten durch die Gruppen den Weg zu bahnen, mußte man bald zurücktreten, bald sich mit den Ellbogen weiterschieben.
Fauchery sah durch die runden, in den Türen befindlichen Guckfenster und überschaute rasch das Innere der Logen. Da trat der Graf Vandeuvres zu ihm und fragte ihn, wen er suche. Als er hörte, daß die beiden Vettern die Familie Muffat begrüßen wollten, zeigte er auf Loge Nummer 7, aus der er soeben herausgetreten war. Dann neigte er sich zum Ohr des Journalisten und flüsterte:
»Sagen Sie mal, mein Lieber, diese Nana ist doch sicher jenes Frauenzimmer, das wir eines Abends an der Ecke der Rue de Provence gesehen haben … «
»Wahrhaftig! Sie haben recht!« rief Fauchery aus. »Ich sagte es ja, daß ich sie schon gesehen haben müsse.«
Faloise stellte seinen Vetter dem Grafen Muffat de Beuville vor, der sich indessen äußerst kühl zeigte. Aber die Gräfin, als sie den Namen Fauchery hörte, war aufmerksam geworden und sagte jetzt dem Feuilletonisten in nicht mißzuverstehender Weise verschiedene Komplimente über seine Artikel im »Figaro«. Bisweilen schaute sie im Saal umher, hob einen ihrer Arme, die bis zum Ellenbogen hinauf in weißen Handschuhen steckten, und fächelte sich mit einer nonchalanten Bewegung Luft zu.
»Wir erwarten Sie am nächsten Dienstag«, sprach die Gräfin zu Faloise.
Dann lud sie Fauchery ein, der mit einer Verbeugung dankte. Vom Stück wurde nicht ein einziges Mal gesprochen, der Name Nana wurde nicht genannt. Der Graf bewahrte eine eisige Würde, als ob er sich in einer Sitzung der Gesetzgebenden Körperschaft befände. Um ihre Gegenwart hier zu erklären, sagte er nur, daß sein Schwiegervater sehr gern das Theater besuche. Die Tür der Loge war offengeblieben; der Marquis de Chouard, der hinausgegangen war, um den besuchenden Herren seinen Platz einzuräumen, reckte dort seine hohe Greisengestalt mit dem weichen, weißen Antlitz unter dem breitrandigen Hut und folgte den vorübergehenden Damen mit seinen trüben Augen.
Sobald die Gräfin ihre Einladung an die beiden Herren gerichtet hatte, empfahl sich Fauchery, da er fühlte, daß es unschicklich sein würde, vom Stück zu sprechen. Faloise folgte seinem Beispiel und ging ebenfalls hinaus. Er hatte soeben in der Loge des Grafen Vandeuvres die vierschrötige Gestalt des blonden Labordette gesehen, der in reger Unterhaltung mit Blanche de Sivry begriffen war.
»Nanu«, sagte er, als sein Vetter wieder zu ihm getreten war, »dieser Labordette kennt wohl alle Frauenzimmer? Sieh, jetzt hält er sich wieder bei Blanche auf.«
»Na, ohne Zweifel kennt er sie alle«, gab Fauchery nachlässig zur Antwort. »Du solltest doch wissen, daß er jede schon wenigstens einmal besucht hat.«
Auf dem Gang draußen war es ein wenig leer geworden. Fauchery wollte eben hinuntergehen, als Lucy Stewart ihn anrief. Sie stand ganz im Dunkel, neben der Tür ihrer Loge. Man brate drinnen, meinte sie und nahm jetzt in Gemeinschaft mit Caroline Héquet und ihrer Mutter, die Pralinés knabberten, die ganze Breite des Korridors ein. Eine Logenschließerin plauderte mit ihnen. Lucy schalt den Journalisten: er sei wirklich ein allerliebstes Herrchen, besuche alle möglichen anderen Frauen und kümmere sich nicht einmal darum, ob sie Durst hätten! Dann sprang sie gleich auf ein anderes Thema über und meinte:
»Höre, mein Lieber, ich muß dir sagen, ich finde Nana ganz charmant.«
Sie wollte haben, daß er während des Schlußaktes in ihre Loge komme, aber er entschlüpfte mit dem Versprechen, sie am Ausgang СКАЧАТЬ