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СКАЧАТЬ an die zahlreichen Wahrsagerinnen wenden. Mehrere Hundert bieten in Paris ihre Dienste an, lesen aus der Hand oder aus einem Glas Wasser. Sie verkaufen Heilmittel gegen Hühneraugen oder Zahnschmerzen, brauen Tränke aus getrockneten Maulwürfen und pressen Öl aus Fröschen, für einen weißen Teint.

      Die meisten Kunden, arme wie reiche, suchen Rat in Liebesdingen. Eine Frau, die unter ihrem Ehemann leidet, soll sein Hemd am Bild der heiligen Ursula reiben, damit er sie besser behandelt. Sie kann die Liebe auch fördern, indem sie der Weissagerin benutzte Leinentücher oder etwas Menstruationsblut bringt.

      Doch viele Frauen wollen ihre Ehe gar nicht retten: Sie fragen vielmehr hoffnungsvoll, ob in ihrer Hand nicht etwas auf das baldige Ableben ihres Gatten hindeute. Man muss keine Hellseherin sein, um da die richtige Antwort zu wissen - und zu ahnen, dass die Kundin für etwas Hilfe beim Töten bezahlen würde. Neben harmlosem Mummenschanz betreiben einige Wahrsagerinnen deshalb auch das Geschäft mit dem Tod.

      Für den Täter sind Giftmorde selten mit dem Risiko verbunden, erwischt zu werden. Zwar werden Verstorbene gelegentlich von Ärzten obduziert. Doch deren Diagnose ist unsicher. Die Absolventen der Pariser Universität lassen sich ihre Künste zwar teuer bezahlen, tatsächlich aber wissen sie kaum mehr als die Bader und die Apotheker, denen sich die Ärmeren anvertrauen.

      Die Pariser Ärzte verschreiben Medizin aus Nattern, geben giftigen Wein als Brechmittel und lassen mit Begeisterung zur Ader. Die Kunst, die Venen mit einer kleinen Lanzette zu öffnen, wird unter Ludwig zu einem Markenzeichen der Medizin in der Hauptstadt.

      Selbst der König muss darunter leiden: Nur knapp hat er als Neunjähriger einen mehrmaligen Aderlass überlebt, den die Doktoren während seiner Blatternerkrankung empfahlen. Und jetzt ist der Monarch seinem Leibarzt ausgeliefert, einmal im Monat muss er Abführmittel nehmen. Sie sollen gegen die giftigen „Dämpfe“ helfen, über die Ludwig klagt.

      Der Tod ist allgegenwärtig. Familien legen ihre Verstorbenen vor die Haustür, wo Passanten das Kreuz über sie schlagen. Malaria wütet jeden Herbst in der Stadt, im Flusswasser schwimmen Typhusbakterien. Die ärmsten Toten werden in Massengräbern auf dem Friedhof beigesetzt, und vor allem im Sommer zieht Leichengeruch durch die Straßen, wenn die Totengräber die Gruben wieder einmal nur mit einer dünnen Erdschicht bedeckt haben.

       Gelegentlich aber wird der alltägliche Tod zu einem Skandal, der die ganze Stadt beschäftigt. 1676 wird auf der Place de Greve Madame de Brinvilliers hingerichtet - die Tochter von La Reynies Vorgänger. Dessen Bauchschmerzen waren doch nicht auf die Gicht zurückzuführen, sondern auf Quecksilberchlorid: Die Marquise de Brinvilliers hat ihren Vater und ihre Brüder umgebracht.

      Ihre Taten sind ans Licht gekommen, als Gerichtsvollzieher den Besitz ihres verstorbenen, hoch verschuldeten Liebhabers und Komplizen durchsuchten: Dabei stießen sie auf eine Schatulle mit Gift sowie leidenschaftliche Briefe der Marquise und einen Schuldschein, der zum Todeszeitpunkt ihres Vaters ausgestellt war. Nach vierjähriger Flucht wird Madame de Brinvilliers gefasst, verurteilt, geköpft und verbrannt.

      Die Adeligen sind entsetzt: Offensichtlich schützen weder Geschlecht noch Rang davor, ein Verbrecher zu werden. Und die Gefährlichkeit des Erbschaftspulvers scheint gestiegen zu sein. Brinvilliers Morde fallen ja in die neue Zeit der Wissenschaft, da der König Akademien zur Forschung gründet, wo ständig Neues entdeckt wird und kluge Männer auch ohne Bibel erklären können, wie die Dinge zusammenhängen. Ist es nicht denkbar, dass diese neue Naturwissenschaft auch neue Gifte erschaffen kann, die keine Spuren hinterlassen oder vielleicht gar die Symptome normaler Krankheiten vortäuschen? Über Jahre wird die Pariser Gesellschaft nicht mehr zur Ruhe kommen. Bei jedem plötzlichen Tod denkt sie ans Toxikum, selbst über bereits vor Jahren Verstorbene spekuliert sie. Offensichtlich kommen Giftmorde viel häufiger vor, als man bisher angenommen hat. Und kaum jemand glaubt, dass Madame de Brinvilliers eine Einzeltäterin war. Möglicherweise sind noch Komplizen auf freiem Fuß, unerkannt, bereit, wieder zuzuschlagen - und nach außen genauso ehrbar wie die Marquise.

      Giftmorde

      Was als die „Giftaffäre“ in die Geschichte eingehen sollte, wurde zufällig im Laufe einer Untersuchung entdeckt, die bei einigen Randfiguren der Unterwelt begonnen hatte, um sich allmählich bis in alle Schichten der Gesellschaft auszudehnen. Ludwigs fester Wille, die ganze Sache restlos aufzuklären, die Schaffung eines Sondergerichts, die große Anzahl der Verhaftungen, der hohe gesellschaftliche Rang vieler beteiligter Personen, die Dauer des Prozesses und nicht zuletzt sein jäher Abbruch sollten nicht nur in Frankreich, sondern auch im Ausland großes Aufsehen erregen. Die Er-eignisse, die bei den Nachforschungen ans Licht kamen - bemerkte Madame de Sevigne bedauernd -, ließen ganz Europa erschauern und „Franzose“ zum Synonym für Giftmischer werden.

      Im Grunde hätten schon die Ereignisse, die 1676 beim Prozess gegen die Brinvilliers bekannt wurden, ein Alarmsignal für die Ordnungshüter sein müssen. Doch die Verbrechen, um die es in diesem Prozess ging, waren so abscheulich, dass sie einzigartig erschienen und sich mit nichts vergleichen ließen. Die Marquise de Brinvilliers, Tochter eines hohen Richters und Gattin eines königlichen Offiziers, eine zarte, liebenswürdige Frau von sechsundvierzig Jahren, war vom Parlament, also dem Pariser Gerichtshof, zur Todesstrafe - Folter, Enthauptung und Scheiterhaufen - verurteilt worden. Man beschuldigte sie, aus niedrigen, eigennützigen Beweggründen ihren Vater und die beiden Brüder vergiftet sowie die Ermordung ihrer Schwester und ihrer Schwägerin geplant zu haben. Außer diesen Verbrechen hatte die Angeklagte sexuelle Exzesse gestanden, darunter sogar inzestuöse Verbindungen.

      Die entsetzliche Geschichte rief allseitige Empörung hervor, und der Exekution der Giftmörderin wohnte eine große Menschenmenge bei. „Es ist geschehen; die Brinvilliers ist in der Luft, die wir atmen“, kommentierte Madame de Sevigne mit dem schwarzen Humor, dessen Meisterin sie war, und mit ihr tat ganz Frankreich einen Seufzer der Erleichterung, weil man sich von einem derartigen Ungeheuer befreit hatte. Damals konnte niemand ahnen, dass sich hinter diesem Ungeheuer eine ganze Welt verbarg, wo der Gebrauch von Gift gängige Praxis war. Freilich sollte diese Welt schon ein Jahr später Stück für Stück auftauchen, als eine neue gerichtliche Untersuchung eingeleitet wurde, die auf den glänzenden Hof des Sonnenkönigs düstere Schatten warf.

      Begonnen hatte alles im Februar 1677 mit der Verhaftung von Magdeleine La Grange, einer Wahrsagerin, die beschuldigt wurde, mit Hilfe eines Priesters eine Scheinehe mit dem betagten Advokaten arrangiert zu haben, bei dem sie wohnte, um ihn dann zu vergiften und sein Vermögen zu erben. Es handelte sich um einen banalen Kriminalfall, der keine besondere Aufmerksamkeit erregt hätte, wenn die Angeklagte nicht behauptet hätte, sie wisse von einem Komplott, das den Tod des Königs und des Dauphins zum Ziel habe, und um eine Unterredung mit dem Kriegsminister gebeten hätte, dem mächtigen Marquis de Louvois. Als Ludwig XIV. von der Sache unterrichtet wurde, ließ er Madame La Grange aus dem Gefängnis von Vincennes in die Bastille verlegen, die den Staatsgefangenen vorbehalten war, und übertrug die Ermittlungen Nicholas Gabriel de La Reynie. Obwohl die Gefangene nur recht vage Enthüllungen machte, die eher an einen Kniff denken ließen, um Zeit zu gewinnen, kam La Reynie im Laufe der Ermittlungen zu der Überzeugung, dass es ein umfangreiches Netz von Kriminellen geben müsse, das die Stabilität des Staates bedrohte. Er fuhr also mit seinen Untersuchungen fort und vernachlässigte auch nicht das kleinste Indiz. Zu den ersten, die verhaftet wurden, gehörte der Cavalier de Vanens, der sich zwar rühmte, das Geheimnis der Herstellung von Gold zu kennen, es aber nicht verschmähte, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, indem er Leute auf Bestellung vergiftete. Es folgten Razzien bei Wahrsagerinnen, Hellseherinnen und Expertinnen in Liebesdingen, die bis jetzt noch keine Scherereien mit der Polizei gehabt hatten, bei denen man nun aber die schmutzigsten Geschäfte aufdeckte, vom Verkauf von Aphrodisiaka und Liebestränken bis hin zu allerlei Hexereien auf Bestellung und Hilfeleistung beim Abbruch unerwünschter Schwangerschaften. In Situationen, die drastischere Maßnahmen erforderten - gewalttätige Ehemänner, untreue Liebhaber oder vom Glück begünstigte Rivalinnen -, schreckten СКАЧАТЬ