Название: Thomas More und seine Utopie
Автор: Karl Kautsky
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754946503
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In Deutschland nahm die Proletarisierung des Landvolkes seit dem Bauernkrieg große Dimensionen an, indes die Entwicklung der kapitalistischen Industrie und einer Kolonialpolitik durch die Veränderung der Wege des Weltverkehrs gehindert wurde. Das Proletariat fand also die Abzugskanäle der Industrie und der Kolonien nicht vor, die es in anderen Ländern wenigstens zum Teile aufsaugten, und mußte sich gänzlich auf Krieg und Räuberei werfen. Dies erscheint uns als eine wichtige Ursache der Dauer des Dreißigjährigen Krieges. Der Krieg wurde möglich durch die massenhaften Proletarier, welche die Soldtruppen lieferten. Der Krieg selbst erzeugte wieder neues Bauernelend, neue Proletarier und damit auch neue Söldner. Die kämpfenden Parteien fanden also das Reservoir von Soldaten nicht eher erschöpft, als bis der Bauer fast völlig verschwunden war. Dann gab's freilich auch keine Soldaten mehr.
Die Not zwang die nicht in den Waffen geübten Arbeitslosen zur Ausbeutung des Mitleids oder der Vertrauensseligkeit besser Situierter. Die Landstreicherei und Gaunerei wurden eine Landplage, Räuber und Diebe machten alle Straßen unsicher.
Vergebens suchte man durch eine furchtbar grausame Blutgesetzgebung die Landstreicherei zu unterdrücken. Arbeitsgelegenheit wurde dadurch nicht geschaffen, die Proletarisierung des Landvolkes dadurch nicht gehindert. Alle Versuche, die Kleinbauern vor den Grundherren zu schützen, erwiesen sich als vergeblich. Das Massenelend und die Massenverwilderung wuchsen trotz aller Gesetze und Erlasse, trotz Galgen und Rad.
3. Leibeigenschaft und Warenproduktion.
Das Schicksal der Bauern, die auf ihren Höfen belassen wurden, war nicht viel besser als das ihrer freigesetzten Brüder. In manchen Gegenden, namentlich Englands, verschwand der Bauer völlig, um durch kapitalistische Pächter ersetzt zu werden, die mit Taglöhnern wirtschafteten, an denen von jener Zeit an kein Mangel war.
Wo die Bauern nicht durch Taglöhner ersetzt wurden, mußten jene es sich gefallen lassen, auf das Niveau der letzteren herabgedrückt zu werden. Im Mittelalter hatte der Feudalherr seiner Bauern bedurft. Je mehr Bauern, desto mehr Macht. Als die Städte mächtig genug wurden, entlaufene Bauern gegen ihre Herren zu schützen, als auch die Kreuzzüge eine Menge Volks außer Landes führten, das des harten Druckes der Leibeigenschaft überdrüssig geworden, und eine allgemeine Bevölkerungsabnahme auf dem Lande eintrat, da mußten die Feudalherren günstige Bedingungen gewähren, um ihre Leute zurückzuhalten und neue anzuziehen. Daher die Verbesserung der Lage der Bauern im dreizehnten Jahrhundert. Vom vierzehnten Jahrhundert an wird der Bauer in steigendem Maße für den Feudalherrn überflüssig, und damit verschlechtert sich seine Lage wieder zusehends. Wenn man ihn nicht verjagt, so deswegen, um den Taglöhner zu ersparen. Die Ländereien des Bauernhofes werden beschnitten, damit das Gebiet der Gutsherrschaft vergrößert werden kann, oft bleibt dem Bauer nichts als eine Hütte und etwas Gartenland. Die Frondienste der Bauern wurden natürlich nicht entsprechend beschnitten. Im Gegenteil, sie wurden ins Ungemessene verlängert. Die Produktion für den Selbstgebrauch hat eine gewisse Grenze, das Bedürfnis der zu Versorgenden, auch dort, wo sie auf der Zwangsarbeit beruht. Der Warenproduktion mit Zwangsarbeit ist dagegen dieselbe maßlose Profitwut eigen wie dem Kapitalismus: Geld kann man nie genug haben. Es fehlt ihr aber die eine Schranke des Kapitalismus, die diesem mitunter fühlbar wird, die Widerstandskraft des freien Arbeiters.
Die Warenproduktion mit Zwangsarbeit ist daher die scheußlichste Form der Ausbeutung. Die orientalische patriarchalische Sklaverei erscheint als eine Idylle gegenüber der Sklaverei, wie sie in den Zucker- und Baumwollplantagen der Südstaaten der Union noch vor wenigen Jahrzehnten herrschte. Und so war auch die Leibeigenschaft der Feudalzeit unvergleichlich milder als die, welche aus der Entwicklung der Warenproduktion erwuchs. (Vergleiche Marx, Kapital, 1. Band, S. 219 [Fabrikant und Bojar].)
Die kapitalistische Produktionsweise in den Städten förderte mitunter die Leibeigenschaft. Der Kapitalismus bedurfte zu seiner Entwicklung massenhafter Zufuhr von Rohstoffen, wie sie damals mitunter nur der landwirtschaftliche Großbetrieb mit Leibeigenen leisten konnte. Die Leibeigenschaft in Europa war in der Tat zu gewissen Zeiten ebenso eine Lebensbedingung für die kapitalistische Produktionsweise, wie später die Sklaverei in Amerika.
Noch 1847 konnte Marx schreiben: »Die direkte Sklaverei ist der Angelpunkt der bürgerlichen Industrie, ebenso wie die Maschinen usw. Ohne Sklaverei keine Baumwolle, ohne Baumwolle keine moderne Industrie. Nur die Sklaverei hat den Kolonien ihren Wert gegeben; die Kolonien haben den Welthandel geschaffen; und der Welthandel ist die Bedingung der Großindustrie.« (Marx, Das Elend der Philosophie, Stuttgart 1885. S. 103.) – Noch vor wenigen Jahrzehnten, während des Sezessionskrieges, erklärten die englischen Kapitalisten die Sklaverei der Südstaaten für eine notwendige Existenzbedingung der englischen Industrie.
Nichts komischer, als wenn Großgrundbesitz und Kapital sich um die Liebe der Arbeiterklasse bewerben: »Ich bin der natürliche Schützer des Arbeiters,« ruft jener; »ich will, daß jeder seine feste Stellung in der Gesellschaft habe, daß es keine Proletarier gebe.« »Höre nicht auf die Lockungen,« ruft der Kapitalist, »ich bin es, der dich aus dem Joche der Leibeigenschaft erlöst hat.«
In Wirklichkeit haben Grundbesitz und Kapital einander nichts vorzuwerfen; nicht nur das Kapital, auch der Grundbesitz hat an der »Befreiung« der Arbeiter von der Scholle mitgearbeitet; andererseits hat auch das Kapital für Leibeigenschaft und Sklaverei geschwärmt, wo es ihm paßte.
4. Die ökonomische Überflüssigkeit des neuen Adels.
Die Entwicklung der Warenproduktion führte dazu, daß die Formen des Feudalismus zur größtmöglichen Ausbeutung des ländlichen Arbeiters ausgenutzt wurden, den man kaum mehr Bauer nennen kann.
Indes die Ausbeutung des Leibeigenen wuchs, schwand die Notwendigkeit des Feudaladels rasch dahin. Im Mittelalter hatte nicht nur der Feudalherr zu seiner Erhaltung des Bauern bedurft, sondern dieser auch des Feudalherrn, der ihn vor Vergewaltigung schützte, ihm einen Teil seiner gerichtlichen und administrativen Pflichten gegenüber dem Gemeinwesen abnahm und ihn vor allem von der erdrückenden Last des Kriegsdienstes befreite.
Mit der Entwicklung des modernen Staates wurden die Gründe immer hinfälliger, die den Bauer im Anfange des Mittelalters in die Abhängigkeit trieben. Je stärker die staatliche Zentralgewalt wurde, je mehr die Polizei die inneren Fehden unterdrückte und der Adel aufhörte, eine selbständige militärische Macht zu besitzen, desto überflüssiger wurde es für den Bauern, einen Herrn zu haben, der ihn gegen die Mächtigen schützte. Der Schutz- und Schirmherr wurde jetzt derjenige, gegen den er des meisten Schutzes bedurfte.
Der Feudalherr hatte dem Bauer die Last des Kriegsdienstes abgenommen und sie auf sich geladen. Der moderne Staat nahm sie dem Feudalherrn ab und lud sie wieder dem Bauer auf. An Stelle des Ritterheers trat, wie schon erwähnt, das Söldnerheer, das sich aus Bauern rekrutierte: entweder aus den zugrunde gegangenen oder, sobald diese Quelle schwächer floß, aus den noch seßhaften Bauern. Aus der Werbung wurde bald eine wenig verblümte Pressung. Der Bauer war es auch, dem die Erhaltung des Heeres zufiel; die Soldaten wurden bei ihm einquartiert, und zu den Abgaben an Adel und Kirche gesellten sich die Geldabgaben an den Staat, hauptsächlich zur Erhaltung des Heeres. Wohl prahlte der Adel nach wie vor, daß er der zur Verteidigung des Vaterlandes auserkorene Stand sei, aber seine ganze Ritterlichkeit bestand jetzt darin, daß er sich die gut bezahlten Offiziersstellen vorbehielt.
Auch an der Landesverwaltung und Gerichtsbarkeit hatte der Grundbesitz immer weniger Anteil; sie fielen immer mehr der Bureaukratie zu, zu deren Erhaltung der Bauer natürlich auch beitragen mußte. Was sich von der alten feudalen Gerichtsbarkeit in den Patrimonialgerichten noch erhielt, wurde nur ein neuer Hebel zur Vermehrung der Ausbeutung.
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