Die freudlose Gasse. Hugo Bettauer
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Название: Die freudlose Gasse

Автор: Hugo Bettauer

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754184776

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СКАЧАТЬ Uhr. Die Unterhaltung im Saal war dank des reichlichen Weingenusses so überlaut geworden, daß man kaum die Musik hörte. Schon stand man ungeniert auf, um mit entfernter Sitzenden anzustoßen, hier und dort wurde ein Champagnerkelch ausgegossen, schrille kleine Schreie bewiesen dem Kundigen, daß die Zote und die Erotik ihre Rechte forderten. Leid aber saß totenbleich, gelähmt da, fühlte sich von den neugierigen Blicken wie durchbohrt.

      Otto Demel trat auf ihn zu, legte den Arm um seine Schulter.

      "Ich werde jetzt die Redaktion anrufen, vielleicht hat sich in der Oper etwas ereignet, was das Ende der Vorstellung verzögert hat. Ganz gut möglich, eine lndisposition, ein Versagen des eisernen Vorhanges oder so etwas."

      Es verging einige Zeit, bevor Demel zurückkehrte. Lächelnd beruhigte er den Freund.

      "Die Oper war tatsächlich recht spät aus, weil man der Jeritza unaufhörlich Ovationen dargebracht hat. Immerhin müßte deine Frau schon hier sein. Aber die Sache ist mir jetzt ganz klar. Lia wollte nicht gegen Ende des Soupers erscheinen und wird mit Bekannten irgendwo rasch speisen gegangen sein. Du wirst sehen, gleich ist sie hier."

      Laut, so daß es auch die weiter abseits Stehenden hören konnten, fuhr er fort:

      "Ein sehr romantischer und interessanter Mord hat sich, wie mir der Nachtredakteur erzählte, ereignet. In der Melchiorgasse 55 wurde kurz nach zehn Uhr in einem Absteigequartier die Leiche einer bildschönen jungen Frau gefunden. Das schwarzseidene, goldgestickte Abendkleid und der Chinchillapelz lassen auf beste Gesellschaft schließen. Mehr weiß man noch nicht."

      Doktor Leid war aufgesprungen, wie im Traum wiederholte er die Worte "Schwarzseidenes, goldgesticktes Kleid, Chinchillapelz – – –." Dann schrie er gellend auf:

      "Das ist Lia!" Und stürzte ohnmächtig zusammen.

      Mord!

      Eine Panik entstand in dem Saal. Mit einem schrillen Riß unterbrach das Orchester sein Spiel, gellende Schreie ertönten, alles drängte zu dem wie leblos auf dem Teppich liegenden Rechtsanwalt, so daß der Journalist und ein als Gast anwesender Arzt, berühmt und beliebt als erfolgreicher Bekämpfer des Kindersegens, nur mühsam zu Dr. Leid gelangen konnten. Er wurde in ein anderes Zimmer getragen, während die Gäste aufgeregte Gruppen bildeten und schreiend, gestikulierend das furchtbare Ereignis besprachen.

      Frauen waren unter der Schminke sehr bleich geworden. Dunkle Treppen, Zimmer mit dicht verschlossenen Vorhängen tauchten vor ihnen auf, sie sahen sich selbst, verschleiert, angsterfüllt, mit fiebernden Nerven wie von Furien verfolgt durch schmutzige, verwahrloste Straßen eilen – – –

      Und Männer sprachen jetzt im Flüsterton über die Verderbtheit der Zeit und warfen scheue, verlegene Blicke auf ihre Frauen, in denen die stumme Frage lag: "Auch du? – – –"

      Rechtsanwalt Leid war in dem Schlafzimmer, in das er getragen worden war, wieder zu sich gekommen. Um ein Jahrzehnt gealtert lag er da, resigniert, schweigend, verfallen. Demel, über ihn gebeugt, sprach ihm Trost zu:

      "Vielleicht täuscht du dich, vielleicht ist sie es nicht! Noch hast du keine Gewißheit."

      Mit einer müden Geste wehrte Leid ab:

      "Sie ist es, ich weiß es. Arme Lia, ich war doch wohl zu alt für sie, zu schwer und ernst. Sie hat Feuer und Flamme gebraucht und ich bin ein ausgebrannter Krater. Lieber Freund, geh‘ hin, sieh‘, daß ihrer Leiche kein Schmerz zugefügt wird. Ich aber fühle mich wieder ganz wohl und werde dich im Hotel Bristol, wo ich mir ein Zimmer nehmen werde, erwarten. Mein Heim betrete ich nie wieder."

      Erschüttert wandte sich Demel ab, um den Wunsch des Freundes zu erfüllen. Wäre auch ohne diese Aufforderung nach der Mordstätte geeilt, denn schon regte sich der Journalist in ihm, der Zeiten- und Sittenschilderer, dem dieser Mord Symbol und Mysterium zugleich zu sein schien.

      Als Otto Demel eines der für die Gäste bereitgestellten Automobile bestieg, um nach der Melchiorgasse zu fahren, drängte sich Egon Stirner an seine Seite.

      "Bitte, Herr Redakteur, nehmen Sie mich mit! Ich bin so erschüttert, daß ich es gar nicht in Worten ausdrücken kann. Diese liebe, schöne, lebenslustige Frau – gestern noch habe ich mit ihr und Doktor Leid im ‚lmperial‘ gespeist und heute – nein, es ist nicht auszudenken."

      Das Auto sauste schon die Währingerstraße abwärts. Gedankenlos fragte der Journalist:

      "Sind Sie mit den Leids gut bekannt?"

      "Mein Gott, gut bekannt? Vor ein paar Wochen, an einem schönen Septembertag, lernte ich sie in der Krieau in Gesellschaft unseres Generaldirektors und dessen Gattin kennen und bin seither noch etlichemale mit ihnen zusammengetroffen. Öfters eigentlich mit Frau Lia, die als leidenschaftliche Tänzerin nachmittags immer im Pavillon, im Tabarin oder Bristol zu treffen war. Nun, da ich auch gern tanze, verbrachte ich oft eine Stunde in ihrer Gesellschaft."

      "Da würden Sie ja, falls die Ermordete wirklich mit Frau Lia identisch sein sollte, vielleicht einiges zur Eruierung des Mörders beitragen können. Der Kreis, in dem man ihn zu suchen hat, kann nicht allzu groß sein. Sicher ein Mann, äußerlich wenigstens der guten Gesellschaft angehörend, sicher einer, der, wie Sie, mit ihr getanzt hat."

      Das Auto nahm scharf die Kurve in die Schwarzspanierstraße und es verging wohl eine Minute, bevor Stirner zögernd antwortete.

      "Natürlich umringte immer eine ganze Schar von Männern die schöne Frau. Einige von ihnen kenne ich, viele waren Ausländer, die mir nicht einmal dem Namen nach bekannt sind. Und dann: Frauen pflegen ihre Geheimnisse gut zu hüten – – –"

      Das Automobil war in der Melchiorgasse angelangt und hielt vor dem Haus Nr. 55, vor dem trotz der vorgerückten Nachtstunde eine große Menschenmenge angesammelt war.

      Beklommen murmelte der Journalist:

      "Der Polizeipräsident ist da. Ich kenne seinen Wagen. Natürlich, es handelt sich ja um einen sensationellen Fall."

      Vor dem geschlossenen Haustor, das von zwei Polizisten bewacht wurde, verabschiedete sich der Bankbeamte von dem Journalisten.

      "Ich habe hier ja nichts zu tun. Ich gehe ins Café Payr und wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie nachher einen Sprung hinein machen würden. Sie können sich denken, daß ich mehr als gespannt bin."

      Demel nickte und bekam nach Vorweisung seiner Legitimation ohneweiters Einlaß in das Haus und in die Wohnung der Frau Merkel. Und schon stand er in dem Zimmer, in dem der Mord geschehen war.

      Die Leiche lag auf dem Diwan und war jetzt mit einem Leintuch bedeckt, um den Tisch herum saßen der Polizeipräsident, der Chef der Sicherheitspolizei, Hofrat Schmitz, ein Protokollschreiber, der Polizeiarzt, neben dem Tisch stand zwischen zwei Detektivs Frau Merkel mit von Weinen geschwollenen Augen.

      Demel begrüßte die ihm wohlbekannten Herren und sagte hastig:

      "Ich komme nicht nur als Journalist, sondern auch, um vielleicht Aussagen machen zu können. Ist die Ermordete schon identifiziert?"

      "Nein," erwiderte Hofrat Schmitz. "Es handelt sich zweifellos um eine Dame der großen Gesellschaft, das beweisen die kostbaren Kleider und der Pelz. Das Taschentuch der Ermordeten ist mit LL gemerkt, mehr aber wissen wir noch nicht." Demel atmete tief auf.

      "Das СКАЧАТЬ