Название: Der Mord bleibt ungesühnt
Автор: Walter Brendel
Издательство: Bookwire
Жанр: Социология
isbn: 9783966512176
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„Wir wollten und mussten zunächst einmal (…) ein Stück mit den Sozialdemokraten marschieren, um unseren gemeinsamen Feind, den ›Spartakismus‹ abzuwürgen. War dies geglückt, dann wollten wir unseren bisherigen Verbündeten die Rechnung vom November 1918 vorlegen und von ihnen begleichen lassen.“7
Mit der Bewilligung der Kriegskredite am 4. August 1914 wurde die deutsche Sozialdemokratie Teil der wilhelminischen Propaganda- und Rüstungsmaschinerie
Wie kann dieser Freibrief der Arbeiteroligarchie an die Adresse der Militärs zur physischen Vernichtung ehemaliger Parteigenoss/-innen und Organisationskader erklärt werden? Wir haben lange darüber nachgedacht, und wir glauben, dass der genaue Abgleich der im zweiten Teil dieses Artikels vorgelegten Text mit ihren Kontexten eine erste vorläufige Antwort ermöglicht.
Von Bedeutung ist erstens die Vorgeschichte des gegenrevolutionären Bündnisses. Die Arbeiteroligarchie war seit 1915/16 skrupellos gegen den sich formierenden innerorganisatorischen Widerstand vorgegangen und hatte Tausende von Mitgliedern und Kadern denunziert, in die Schützengräben geschickt und/oder dem Repressionsapparat ausgeliefert. Dadurch hatte sich ihre Hemmschwelle zur arbeitsteilig mit dem Militär- und Polizeiapparat organisierten Gewaltanwendung ständig verringert.
Ein zweiter wesentlicher Faktor war der Verlust der Massenloyalitäten und der Massenbasis, der 1916 mit der Abspaltung der USPD begann und nicht mehr kontrollierbare Radikalisierungsprozesse freisetzte. Gegen diese Entwicklung waren die völkisch-nationalistischen Arbeiterbürokratien insoweit machtlos, als ihre bislang so erprobten autoritären Disziplinierungsmethoden zunehmend ihre Wirkung verloren.
Den revoltierenden Matrosen, Betriebsausschüssen, Obleuten und parteiförmigen Absplitterungen konnte nicht mehr mit dem Parteiausschluss und dem Entzug der gewerkschaftlichen Unterstützung gedroht werden. Auch dadurch erschien der Zugriff auf die weitaus wirksameren staatlich-militärischen Repressionsmaßnahmen konsequent, da der innerorganisatorische Meinungsbildungsprozess als mögliche Voraussetzung einer politischen Kurskorrektur blockiert war. Die Preisgabe der bisherigen sozialen Verankerung der Arbeiterbürokratien war die unausweichliche Folge, und auch dies erleichterte den Übergang zur Symbiose mit dem wilhelminischen Machtapparat.
Von großer Bedeutung waren schließlich die materiellen und organisatorischen Vorteile, die sich für die Arbeiteroligarchie aus ihrer zunehmenden Kooptation in das imperiale Machtgefüge ergaben. Die entstehenden korporatistischen Strukturen beispielsweise des „Vaterländischen Hilfsdienstes“, der Lebensmittelversorgung und der Kriegssozialpolitik verschafften ihr nicht nur neue Aufgabenfelder, sondern konnten auch zur Kontinuitätssicherung des bis dahin erreichten Bürokratisierungsprozesses der Arbeiterbewegung genutzt werden. Die sich durch die Sachzwänge des Kriegs ergebende Integrationschance in das herrschende Machtgefüge wollten sich die Führungsschichten und Funktionsträger der Arbeiterorganisationen nicht entgehen lassen, und daraus entwickelte sich ein erhebliches kollektives Eigeninteresse, das offensiv gegen die Gegner des hypernationalistischen Kriegskurses gerichtet war.
Diese Gemengelage aus bürokratischer Verselbständigung, materiellen Eigeninteressen und systematischer Ausgrenzung aller politischen Alternativen wurde zunehmend auch ideologisch überbaut. Seit 1915/16 propagierten die Spitzenvertreter der Arbeiteroligarchie das Ende des Klassenkampfs und seine Überwindung durch eine ethnisch reine „Volksgemeinschaft“8. Die politischen Gegner wurden als „Judenjungen“, die „raus“ müssten (Gustav Bauer), bzw. als „Judenbande“, mit der „Schicht gemacht werden“ müsse (Carl Legien)9, oder „ostjüdische Marxisten“10 angeprangert.
Auch das hypernationalistische „Augusterlebnis“ des Kriegsbeginns 1914 wurde weiter ausgestaltet: Es weitete sich schließlich zu einer alldeutsch verfassten „Reichsidee“, die zuletzt nur noch durch die Freikorps bewahrt werden konnte. Daran wurde selbst nach dem Kapp-Putsch festgehalten. Als sich der dagegen gerichtete Arbeiterwiderstand im Ruhrgebiet zur Märzrevolution ausweitete, zögerte die sozialdemokratische Reichsregierung keinen Augenblick, die hochverräterischen Truppeneinheiten gegen sie loszuschicken, was eine weitere Welle der Massaker zur Folge hatte.
Alles in allem erfüllte das Verhalten des völkisch-nationalistischen Flügels der deutschen Arbeiterbewegung in seiner gegenrevolutionären Phase in wesentlichen Aspekten jene Voraussetzungen, die die historische Forschung dem faschistischen Habitus zuschreibt. Er war nicht nur extrem nationalistisch, gewaltbereit und antisemitisch, sondern er propagierte auch eine ethnisch reine Volksgemeinschaft. Erst im Gefolge der Rückkehr eines erheblichen Teils der USPD verlor er wieder seine prägende Stellung. Freilich wurde er auch nicht mehr zur Erhaltung des wilhelminischen Machtsystems benötigt, weil die herrschenden Eliten seit dem Fiasko der Hyperinflation vom Herbst 1923 bis zum Beginn der Weltwirtschaftskrise die Weimarer Republik als zeitweilige Zwischenlösung in Kauf nahmen. Sollte man aber trotz dieser Zäsur nicht lieber darauf verzichten, die heutige Parteistiftung der Sozialdemokratie nach Friedrich Ebert, dem Hauptexponenten ihrer rechtsextremistischen Phase, zu benennen, und sollten die sozialdemokratischen Historiker nicht endlich ihren Widerstand gegen die Wiedererrichtung des von den Nazis zerstörten Rosa-Luxemburg-Denkmals aufgeben?
Quellen zu diesem Kapitel:
1 Aus der seit den 1960er Jahren ständig wachsenden Quellenpublizistik seien nur die beiden wichtigsten Veröffentlichungen der letzten Jahre referiert: E. Könnemann/ G. Schulze (Hg.): Der Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch. Dokumente. München 2002; Gerhard Granier (Bearb.): Die deutsche Seekriegsleitung im Ersten Weltkrieg. Dokumentation. Vierter Band, Koblenz 2004
2 Vgl. als Beispiel die verdienstvolle biographische Studie Wolfram Wettes über Gustav Noske: Sie markiert in der Auseinandersetzung mit dieser Schlüsselfigur der Gegenrevolution die Grenzen des heute Zulässigen bei der Auslotung der historischen Verantwortung der Sozialdemokratie. Wolfram Wette, Gustav Noske: Eine politische Biographie. Düsseldorf 1987
3 Zeugenaussage Wilhelm Groeners im sogenannten Münchener Dolchstossprozess (1925) über die Vereinbarungen zwischen der OHL und Friedrich Ebert vom 10. November 1918. Zit. nach Wolfgang Ruge/Wolfgang Schumann (Hg.): Dokumente zur deutschen Geschichte 1917–1919. Frankfurt a.M. 1977, S. 62–64
4 Arbeitsgemeinschaftsabkommen zwischen den Unternehmerverbänden und den Gewerkschaften vom 15. November 1918, zit. nach Ruge/Schumann: Dokumente zur deutschen Politik 1917–1919. S. 71–72
5 Der Kampf in in surgenten Städten, bearbeitet in der kriegsgeschichtlichen Abteilung des Großen Generalstabes. 1907, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, M 1/2, Bd. 19. Noskes Rede im Reichstag vom 24.2.1911 in: Sten. Ber., Bd. 264, S. 4897–4907
6 Albrecht von Thaer: Generalstabsdienst an der Front und in der O.H.L.. Aus Briefen und Tagebuchaufzeichnungen 1915–1919. Göttingen 1958, S. 287, ähnlich S. 286
7 Waldemar Pabst, Das Kapp-Unternehmen, in: Revolutionen der Weltgeschichte. Hrsg. von Wulf Bley u.a., München 1933, S. 827. Zuerst erscheinen als Artikelserie in: Der Angriff Nr. 193,195-199, 1932
8 Eduard David benutzte diesen Begriff, genauso wie Gustav Bauer und Friedrich Ebert. Er fand sogar Eingang ins Görlitzer Parteiprogramm von 1921
9 Damit waren außer Hugo Haase aus der Minderheit der SPD-Kriegsgegner die Juden Oskar Cohn, Joseph Herzfeld, Arthur Stadthagen sowie Emanuel Wurm und Eduard Bernstein СКАЧАТЬ