MAGAZIN für Abenteuer-, Reise- und Unterhaltungsliteratur. Thomas Ostwald
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      Der mündig und selbstbewusst gewordene Bürger hatte begonnen, sein irdisches Leben nüchtern und tätig auszugestalten. Kein Wunder, dass er dem Unterhaltungsbedürfnis wenig Raum lassen mochte. Belehrung war ihm wichtiger. Die nächsten Realitäten, das hieß Erde und Welt, Enge und Weite, mussten erfahren werden. An jedem geschichtlichen Ereignis, an jeder neuen Welterkenntnis nahm er regen Anteil. Neben ein vielschichtiges Fachschrifttum und eine reiche Chronikliteratur rückte die Reisebeschreibung. Gerade sie erfreute sich rasch zunehmender Beliebtheit, denn sie verband exotische Phantastik mit wirklichen oder nachempfundenen Erlebnissen und kam daher in ihrer unterhaltsam didaktischen Tendenz den frühbürgerlichen Interessen am ehesten entgegen.

      Vorausgegangen waren einander stets ähnelnde lateinische und auch schon deutsche Vers und Prosabeschreibungen von Pilgerfahrten, die im 14. Und 15. Jahrhundert manchen demütigen oder handelstüchtigen Wallfahrer ins Heilige Land, ins spanische Santiago de Compostela oder nach Rom führten. Eine der erfolgreichsten dieser trotz aller Mängel doch die Kenntnis von Mittelmeerraum und Vorderem Orient erweiternden Erzählungen war das zwischen 1356 und 1371 entstandene Palästinabuch des unserem Karl May an Phantasie und Fabulierkunst nahestehenden Lütticher Arztes Jean de Bourgoigne. Er nannte sich John Mandeville und galt mehr denn 500 Jahre als unerschrockener Weltenbummler, bis die Forschung Ende des 19. Jahrhunderts feststellen musste, dass seine Erlebnisse samt und sonders erdichtet waren.

      Das Hauptgewicht all dieser „Erlebnis“-Berichte lag auf der meist recht langatmigen Beschreibung berühmter Reliquien und heiliger Stätten. Indes deuteten auch erwähnte Meeresungeheuer mit bewaldeten Rücken, Magnetberge, kopflose Zweibeiner, schwimmende Inseln und andere Wunderlichkeiten auf die Bekanntschaft mit orientalischem Märchen und Sagengut hin, die ja die vorausgegangenen Kreuzzüge vermittelt hatten.

      Ausnahme und zugleich Höhepunkt dieser frühen Reiseberichterstattung über „die grossen wunder dieser Welt“ bildet das Werk des Venezianers Marco Polo, der in den Jahren 1271 bis 1295 als erster Europäer Asien kreuz und quer bereist hatte. Er diktierte die Erinnerungen an seine Reisen, die ihn bis an den Stillen Ozean geführt, 1298/99 in genuesischer Kriegsgefangenschaft seinem Mithäftling Rustichello de Pisa, seiner Zeit bekannt als Bearbeiter französischer Abenteuerromane. Diese Aufzeichnungen erregten im Laufe des folgenden 14. Jahrhunderts beim „Lesepublikum“ beträchtliches Aufsehen und wurden schließlich zur wichtigsten Quelle ungezählter späterer Reisewerke über das mittelalterliche Asien: an die 140 Übertragungen und Bearbeitungen in vielen Sprachen sind erhalten. Und bereits 1477 erschien in Nürnberg – nach einem bayerischen Text aus toskanischer Vorlage – die erste deutschsprachige Buchausgabe; sie wird fälschlich noch heute in renommierten Lexika als erste deutsche Übersetzung mitgeteilt. Diese aber entstand schon einhundert Jahre früher!

      Die erste deutsche Bearbeitung des berühmten Polo’schen Reisebuchs – und zugleich den „ältesten deutsch geschriebenen Reisebericht“ (Helm Ziesemer) – verdanken wir dem Deutschen Ritterorden! Denn diese Arbeit entstand bald nach 1350 im fernen ruhelosen Nordosten des Reiches, wo Ordensritter und Bürger unter besonderen politischen und sozialen Bedingungen eine ganz eigenständige Literatur von bemerkenswertem Rang und überraschender Ausstrahlungskraft schufen. Der Name des Autors wurde uns nicht überliefert; viele Künstler und Literaten des gotischen Zeitalters verblieben in der Anonymität. Aber zweifellos stammte der kenntnisreiche, schreibgewandte Bearbeiter der aufsehenerregendsten und folgenreichsten „Entdeckungsgeschichte“ des asiatischen Kontinents aus dem preußischen Küstenland. Sein Wortschatz, namentlich aus den Bereichen der Fischerei und Schifffahrt (etwa: leitnic, sigeler, wazzerwer, kescher, schifflouge), sowie Vergleiche mit Urkunden und Wirtschaftsbüchern des Deutschordensstaates beweisen es eindeutig. Ein Ordensritter oder Bürger des Landes? Wohl eher letzteres. Er war gebildet, beherrschte das Lateinische. In dieser Sprache lag ihm eine Übertragung der französischen Originalhandschrift vor. Er selbst schrieb in Ostmitteldeutsch; sein Text ist uns in Cod. 504 der Bibliothek des Benedektinerklosters Admont in der Steiermark bewahrt worden.

      Natürlich legte der Verfasser seinem Werk das des Marco Polo zugrunde: diesen realistischen, ja nüchternen Bericht des Handelsmannes. Der Venezianer hatte exakt beobachtet, erfahren, sich erzählen lassen. Dann erzählte er selbst, auch von Land und Leuten der von ihm bereisten Länder, von ihren Religionen, von Besonderheiten in Verwaltung, Handel und Verkehr, vom Kriegswesen – zum Beispiel vom Einsatz der Kampfelefanten. Das zeitübliche phantastische Rankenwerk fehlte fast ganz. Vielmehr kann man in der Tat bei seinem Augenzeugenbericht „von vil elefantin und wunderlichin eynhom und von affin menschin gelich“ (ostmitteldeutsch) bereits von einer Naturbeschreibung sprechen; das sagenhafte Einhorn ist zum Nashorn geworden (Wenzlaff Eggebrecht). Und dennoch mussten die – anders als bei Mandeville – auf eigenem Erleben beruhenden Aufzeichnungen des venezianischen Ostasienfahrers seinen Zeitgenossen abenteuerlich genug Vorkommen.

      So sehr abenteuerlich und wissenswert dazu, dass sich ein Bürger eines fernen Landes an die Arbeit begab, dieses wundersame Reisebuch seinen Mitbürgern bekannt zu machen. Aber seine Bearbeitung des lateinischen Marco Polo Textes geriet ihm unversehens über die schlichte Übersetzung hinaus zu einem durchaus eigenen Werk. Der mit den örtlichen Verhältnissen wohlvertraute Autor erlaubte sich mancherlei literarische Freiheiten. Er flocht höchst aufschlussreiche Bemerkungen über Sitten und Gebräuche der alten Pruzzen und Litauer ein, verbreitete sich über Fischfang und Schifffahrt an den baltischen Küsten und zählte weitere kulturgeschichtlich interessante Fakten auf, die nur ein im Ordensstaat Ansässiger so gründlich darzustellen vermochte. So fügte er etwa Polos Mitteilung von der Erfindung des Papiergeldes seinen Bericht über das Prägen russischer Münzen hinzu.

      Alles in allem, ein preußischer Marco Polo, der auf seine Art teilnahm an grösser Entdeckungsfahrt und eigenes Fernweh seinen Lesern übertragen haben mochte. So spüren wir bereits in diesem „ältesten“ deutschen Reisebuch eines unbekannten Autors von der Bernsteinküste jene untergründige Spannung, die herrührte von der Polarität zwischen dem Bemühen des denkenden und tätigen Bürgers um weltweite Erfahrung des Seienden in jeglicher Gestalt – und der Enge, der Beschränktheit der frühbürgerlichen Lebensumstände: dieselbe Spannung zweifellos, die auch die spätere Reise und Abenteuerliteratur mitgeprägt hat.

      Literaturhinweise:

      Der mitteldeutsche Marco Polo aus der Admonter Handschrift. Hrsg. v. Ed. Horst von Tschamcr (Deutsche Texte des Mittelalters, Bd. 40), Berlin 1935 Karl Helm u. Walther Ziesemer, Die Literatur des Deutschen Ritterordens, Gießen 1951 F.W. u. E. Wentzlaff-Eggebert, Deutsche Literatur im späten Mittelalter 1250 1450, Bd. IH: Neue Sprache aus neuer Welterfahrung. Mit Lesestücken, u.a. 3 aus dem mitteldeutschen Marco Polo. Reinbek 1971 Peter Assion, Altdeutsche Fachliteratur, Berlin 1973 Günther Eis, Mittelalterliche Fachliteratur, Stuttgart 1962, 2. Auflage 1967

      Thomas Ostwald

      In der Einleitung zu meinem Artikel über die Entwicklung der Indianergeschichten bei Karl May erwähnte ich auch die berühmte Detektiv-Figur C. Doyles, den Meisterdetektiv Sherlock Holmes – oft kopiert, nie erreicht! Dadurch habe ich offensichtlich das Interesse einer größeren Leserschar angeregt, wie mir einige Zuschriften bewiesen. Nun, mit Doyles Figur werden wir uns im Graff-Anzeiger sicher noch häufiger beschäftigen, auch in Bezug auf die Romanheft-Serien, die in Deutschland ab 1907 erschienen (vgl. auch den Artikel von Werner G. Schmidtke!). Dieser Artikel soll einige Informationen zu Sherlock Holmes vorab bringen.

      Zunächst einmal sei auf das „Holmes-Museum“ hingewiesen, das sich in einem Restaurant befindet und von einem findigen Geschäftsmann in der Northumberland Street (oder Road) Nr. 10, in der Nähe des Trafalgar Square in London eingerichtet wurde. Das „Restaurant-Museum“ СКАЧАТЬ