Der veruntreute Himmel. Franz Werfel
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der veruntreute Himmel - Franz Werfel страница 16

Название: Der veruntreute Himmel

Автор: Franz Werfel

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783738059687

isbn:

СКАЧАТЬ dem Dunkel brach, leidenschaftliches Atmen hörbar wurde und ein struppiger Hundeleib sich durch die Zuschauer schmiegte. Mit einem Satze sprang Burschl auf die Terrasse. Die Zunge hing ihm lang aus dem Rachen. Er schleppte seine Kette nach. War's ein Jungenstreich von Philipp, ein Racheakt Bichlers, oder hatte sich Wolf aus eigener Machtvollkommenheit sehnsüchtig losgerissen, als er die Stimme seiner musikalischen Gefährtin hören mußte, auf die kein anderer ein Anrecht besaß als er? Er murrte eifersüchtig, und der tote Milchopal seiner Augen starrte feindselig ins Publikum, das in Bewegung geraten war.

      Teta hatte sich erhoben. Sie schalt:

      »Was ist denn, Burschl, Schlimmer? Aber so was! Was willst du dahier? Wart nur! Kusch dich jetzt!«

      Daraufhin streckte sich der Wolfshund nicht unzufrieden und recht erwartungsvoll zu ihren Füßen aus. Sie aber machte wieder ihren Knicks, lachte verlegen und sagte: »Bitt' um Verzeihung für das Viecherl – er mag die Kette gar nicht leiden.«

      Dann streckte sie die Hand nach der Zither aus, um ihre Darbietung abzubrechen und sich zurückzuziehen. Dies aber verwehrte der donnernde Applaus. Die Leute riefen: »Bis, bis!« »Noch einmal!« – »Wir wollen weiterhören!« Teta zögerte, lachte wieder, warf einen langen Blick auf Livia, dann meinte sie:

      »Wenn die gnä' Herrschaft, bitt' schön, befiehlt ...«

      Und schon saß sie wieder und erhob ihre klare Jungmädchenstimme, um die dritte Strophe von »Verlassen, verlassen, verlassen bin i« mit derselben arbeitsamen Versunkenheit wie die früheren abzusingen. Ich mußte an ihren Lebensplan denken und begann nun ihr Wesen auch aus diesem konsequenten Gesange zu verstehen. Burschl erwies sich diesmal als großmütiger Nebenbuhler. Er gab der kritischen Versammlung die Ehre und störte nur durch zweimalig kurzes Duettieren das Solo seiner Meisterin.

      Nachher trat der Hausherr zu Teta auf die Terrasse und überreichte ihr ein volles Glas mit den Worten:

      »Ich dank' Ihnen vielmals, Fräul'n Teta – es ist sehr lieb von Ihnen, daß Sie zum Gelingen unseres Festes so viel beigetragen haben. – Ich trink' auf Ihr Wohl.«

       »Aber so was«, sagte Teta, »die gnä' Herrschaft«, und nippte an der Bowle. Philipp reichte ihr den Arm und führte sie die Stufen der Terrasse hinab unter die Gesellschaft. Sie wurde von allen angesprochen und belobt. Inzwischen – Mitternacht war lang vorüber – begannen die jungen Leute zu tanzen. Man zog Teta an einen der kleinen Tische, die im Park aufgestellt waren. Dort saß sie unter uns, trank Kümmel mit kleinen, aber aufmerksamen Schlucken und knabberte an dem Backwerk, das ihr Livia servierte. Sie sprach wenig und nur dann, wenn sie gefragt wurde. Ich versuchte, ein Gespräch anzuknüpfen:

      »War's nicht lustig heut abend, unser Fest, Fräul'n Teta?«

      »Sehr lustig und sehr unterhaltlich«, sagte sie.

      »Und Glück haben wir gehabt mit dem Wetter. – Diese schöne Nacht!« Sie begann ihr bewunderndes Kopfschütteln und holte den Refrain aus der Tiefe:

      »Eine Pracht ist das wirklich, diese Nacht.«

       Sie trug ein altmodisches schwarzes Magdgewand – vermutlich ein Weihnachtsgeschenk Livias – und auf dem Kopf die weiße Krause, Abzeichen des dienenden Standes, das sie auch heute abend nicht abgelegt hatte; zur Empörung Herrn Bichlers, der in einem braunen Samtrock und mit weißen Seglerschuhen sich produziert hatte. Aufrecht saß sie da, die Hände im Schoß gefaltet, ließ ihre hellen Augen aufmerksam wie eine Schwerhörige im Kreise wandern und lauschte den geistreichen Spaßreden des witzigen Kopfes, als sei es nie zu spät, von Klugen, Gebildeten und Hochgestellten etwas zu lernen. Aus solchem Munde bereicherten auch Worte, die man nicht verstand. Ich aber wußte, daß dieser witzige Kopf ein armes, willenloses Irrlicht war gegenüber der Dienerin, die ihr Leben vorsorglich nach Zeitmaßen baute, zu denen ein auf schnelle Wirkung bedachter Verstand sich gar nicht aufzuschwingen vermag. Jetzt begriff ich auch Livias Klage über die »ewig fremde Person, die man da im Hause hat«. Teta hatte wirklich nicht die geringste Ähnlichkeit mit jenen altgewordenen Hausgeistern, die sich in gutgearteten Familien auflösen wie eine Ingredienz, die ihr ganzes Selbst verlieren, um dafür in einer verlorenen Ecke der Erinnerung eine freundlich bescheidene Grabstätte zu gewinnen. Teta hatte ihr Selbst bewahrt wie ihre Kammer, deren Schlüssel sie niemals steckenließ. Ihre Teilnahme war bedingt und widerrufbar. Vor zwanzig Jahren war sie gekommen. Morgen würde sie wieder gehen, ohne ihr Herz und ihres Lebens Heim eingebüßt zu haben. An den Argans konnte die Schuld für diese stets spürbare Kühle nicht liegen. Hier saß ein lebendiges Beispiel für die große Kunst, das Zeitliche, das Vorübergehende nicht ganz voll zu nehmen, jedenfalls in ihm nicht rettungslos zu versinken. Man mußte zwar innerhalb des Vorübergehenden seine Pflicht erfüllen, da es mit dem Bleibenden in einem unlöslichen Zusammenhange stand. War es aber einmal vorüber, so war's vorüber, und nur man selbst blieb. In dem einzigen Fall von Mutter und Kind mochte das Vorübergehende mit dem Bleibenden sich nahezu berühren. Teta aber war Jungfrau glücklicherweise, und der Neffe war nicht ihr Kind, sondern nur ihr Beauftragter.

      Ihre Pflicht jedoch erfüllte sie auch jetzt, indem sie immer wieder zur Herrin hinblickte, ob sie dieser nicht mit irgendeiner Handreichung zu Diensten sein könne. Sie bewies ein erstaunliches Feingefühl, indem sie nur eine gemessene Weile in unserem Kreise absaß, sich dann bescheiden erhob und an Livia wandte: »Ich werd' bittlich sein, nicht weiter stören zu dürfen. – Muß jetzt mit gnädiger Erlaubnis die heißen Würstl herrichten, die Sandwiches und das Bier.«

      Man dankte ihr noch einmal und ließ sie gerne ziehen. Denn wir alle sehnten uns nach einem guten frischen Trunk.

      Ich hatte drei Glas Bier heruntergestürzt und nachher zwei Gläschen Himbeergeist. So leicht und glücklich fühlte ich mich, daß ich das Bedürfnis empfand, eine Weile allein mit mir zu sein, um meine Glücklichkeit bewußt auszukosten. Ich ging in mein Zimmer, machte kein Licht, stieß das Fenster auf und lehnte mich weit hinaus, nur nächtlich atmend und seiend. Der Mond war untergegangen. Das Tote Gebirge mit dem Großen Priel stand als eine fahle Ahnung im Westen. Hingegen wölbte sich die dichtgewobene Milchstraße des August, dieser Brautschleier des Universums, lächerlich klar und nah vor meinen Blicken.

       Servus, Milchstraße! Ich teile dir mit, daß es mir außerordentlich gut geht, denn ich weiß, du interessierst dich zweifellos für mein Wohlergehen. Ich weiß auch, daß dich nur billionenstellige Zahlen ausdrücken, und ich bin eine angeheiterte Ameise, um nicht zu sagen Laus. Aber was soll das heißen, groß und klein? Das sind sinnlose Verhältnismaße. Ich muß doch größer sein als du, da deine Billionen Lichtjahre Platz finden in meinem Ameisenblick. Damit wir nicht in Streit geraten über unsere Bedeutung, schlage ich dir eine versöhnliche Formel vor: Du bist in mir aufgehoben, und ich bin in dir aufgehoben. – Ich bin übrigens sehr gut aufgehoben. Die Argans sind meine Freunde. Sie nehmen mich, wie ich bin. Sie verstimmen mich Verstimmbaren beinahe nie. Und dieses Zimmer gehört mir. Es ist mein liebes Zimmer, und niemand darf es mir wegnehmen. Hier arbeit' ich so gut. Und meiner neuen Arbeit hab' ich unbedingt unrecht getan. Livia findet sie sehr aussichtsreich, und mein Verleger schreibt mir, daß er das Manuskript nicht ohne Ungeduld erwarte. Ich muß wirklich verrückt gewesen sein, an diesem glänzenden Stoff zu zweifeln. Morgen setz' ich mich wieder hin. Wir gehn vor Mitte Oktober keinesfalls in die Stadt zurück. Im Oktober ist es am schönsten in Grafenegg. Diese brennende Farbigkeit des Alpenherbstes! Das sind noch sechzig Tage mindestens. Sechzigmal Morgen, Vormittag, Nachmittag, Abend, Nacht. Mir geht's wirklich gut. Schließlich steht man mit fünfundvierzig als Künstler noch am Anfang. Tolstoj ist ein Beispiel dafür, und Goethe natürlich. Die Gegenbeispiele sind allerdings noch zahlreicher, aber man muß das Leben und das Werk eines Menschen als Ganzes betrachten; das relative Alter hängt von der Gesamtzahl der Jahre ab. Auch wenn ich vorsichtig rechne und annehme, daß ich nur fünfundsechzig alt werde – warum soll ich nicht fünfundsechzig alt werden? –, bleiben mir noch zwanzig gute Volljahre. Zwanzig Sommer in Grafenegg. СКАЧАТЬ