Название: Im Eckfenster
Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783753135977
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„Ja, Vater", sagte Karl und sah dem Vater ruhig und fest ins Auge. „So wahr da droben Gottes Himmel über uns ist, so wahr ich hoffe, dass er dich und die Mutter noch lange Jahre gesund erhält, so wahr sage ich dir, ich bin an der schrecklichen Tat, für die ich büßen musste, so unschuldig wie du oder Margaret."
„Oh, mein Sohn, mein Sohn!" klagte die Mutter.
Der alte Tischler schaute ihn betroffen an. Das klang allerdings nicht wie das freche Leugnen eines Schuldigen, und es war sein Sohn, sein eigen Fleisch und Blut. Aber ließ es sich denken, dass alle jene furchtbaren Beweise, die, jeden Menschen überzeugend, aufgebracht worden, nur eben so viele Lügen und Täuschungen gewesen wären? Ließ es sich denken, dass die Gerichte einen Menschen für sechs Jahre in das Zuchthaus sperren und damit für ewig ehrlos machen würden, wenn auch nur der Schatten einer Möglichkeit vorgelegen hätte, dass er unschuldig sein könnte? Nein, wieder schüttelte er finster mit dem Kopfe und sah brütend vor sich nieder – es war nicht möglich.
„Ich habe", sagte da der Sohn leise und schmerzlich, „bis jetzt recht hart über die Richter gedacht, dass sie meinen heißen Beteuerungen nicht glauben wollten und mich wie einen gemeinen Verbrecher verdammen, ich kann es jetzt nicht mehr, wo selbst der eigene Vater seinen Blick von mir abwendet; das ist hart, recht hart."
Der Mann kämpfte noch eine Weile mit sich, endlich sagte er, aber mit leidenschaftlich bewegter Stimme: „Gott ist mein Zeuge, wie ich gekämpft und gerungen habe gegen alle Beweise, wie ich nicht glauben konnte und wollte, dass mein eigener Sohn, den ich, wie ich fest glaubte, zu einem braven und rechtlichen Menschen erzogen, ein gemeiner Verbrecher, ein Mörder habe werden können; aber die Geschworenen, brave, unbescholtene Männer aus dem Volke, haben sich selber davon überzeugt und ihr Urteil gesprochen, und nur dein jugendliches Alter, wie es in der Zeitung stand, und dein früherer unbescholtener Wandel hat die Richter dahin vermocht, dich nicht die ganze Strenge der Gesetze fühlen zu lassen. Du bist damals zu sechs Jahren Zuchthaus nicht b e s t r a f t, sondern b e g n a d i g t worden, und du wärst unschuldig?"
„Und trotzdem, Vater, bin ich unschuldig verurteilt worden!" sagte Karl mit voller Ruhe, während sich die Mutter jetzt wieder aufgerichtet hatte und ihn mit peinlicher Spannung anschaute. „Weißt du, was ich zu meiner Verteidigung gesagt habe?"
„Hundert und hundert Mal habe ich's durch und wieder und wieder gelesen", rief der Vater rasch und heftig. „Aber hast du die Geschworenen damit überzeugen können? Hat dir auch nur einer die Gründe gelten lassen?"
„Doch, Vater", sagte Karl. „Drei von ihnen räumten wenigstens die Möglichkeit ein...."
„Erklärten aber selber, dass es unwahrscheinlich sei. Die Uhr wolltest du von dem Juden gekauft, deinen eigenen Stock aber, womit das Verbrechen verübt worden, an einen Fremden, der nie aufgefunden werden konnte, und den kein Reisender an der ganzen Straße weiter gesehen hat, verkauft haben."
„Ja, Vater."
„Und in dem Hause, wo der Jude zurückblieb, hatte er noch seine Uhr und bot sie den Leuten selbst zum Handel an."
„Ich weiß es", sagte Karl. „Die Zeugen haben es ausgesagt, aber haben diese Leute nicht oft mehr Uhren bei sich, um Handel damit zu treiben?"
„Und das Geld, das du bei dir hattest?"
„Es war ehrlich verdient, Vater, und nicht der fünfzigste Teil von dem, was der Jude bei sich gehabt haben sollte."
„Man behauptet, du hättest es im Walde versteckt."
„Und würde ich dann die Uhr behalten haben?"
„Das war das einzige, was dein Verteidiger für dich geltend machte. Oh, wie oft und wieder und wieder habe ich dessen Worte gerade gelesen, bis ich sie auswendig kannte und selbst im Traum hersagte, aber es war kein Beweis. In der Aufregung nach einer solchen Tat konntest du so wenig an die Uhr gedacht haben wie an den Stock, den du bei der Leiche liegen ließest."
„Ich! Vater?" sagte Karl mit einem unbeschreiblich wehen Ton.
„Der Mörder", flüsterte der Vater scheu.
„So sag uns jetzt, Karl", bat da die Mutter mit tränender Stimme, „so wahr und ehrlich, als ob du unter dem furchtbarsten Eide vor deinem einstigen Richter stündest, wie es war. Nimm uns die Angst und den Schmerz von der Seele, und der Vater wird dann auch deinen Worten glauben."
Karl atmete hoch auf, aber seine Kräfte ermatteten, er sah sich nach einem Stuhl um, auf den er mehr sank als dass er dort Ruhe suchte, und sagte endlich nach kurzer Pause:
„Ich habe alles schon vor Gericht ebenso treu und wahr geschildert, Mutter, aber ihr sollt es noch einmal hören, steht es doch auch noch so scharf und lebendig vor mir, als ob erst gestern all' das Furchtbare geschehen wäre, und doch sind sieben lange Jahre darüber hingegangen. Du erinnerst dich Vater, aus dem Verhör, dass ich mit dem Juden in einer ziemlich schlechten Dorfschenke übernachtete, dort in Schlesien gibt es noch weite, öde Strecken, und der Verkehr ist, besonders bei schlechtem Wetter, kein großer auf den Straßen. Dass der Unglückliche viel Geld bei sich hatte, konnte ich natürlich nicht wissen, und was hätte ich mich auch darum gekümmert? Wir zehrten den Abend zusammen, es war ein komischer Kauz, der den Kopf voller Schnurren hatte, und da ich auch aus meinem Handwerksleben erzählte, blieben wir bei ein paar Gläsern Bier bis spät in die Nacht hinein munter.
Am nächsten Morgen wollte ich früh aufbrechen, ich war auf dem Heimweg", setzte er mit bewegter Stimme hinzu, „und hoffte, euch bald, recht bald wieder begrüßen zu können, deshalb eilte ich so. Mir lag nur daran, schnell die nächste Eisenbahn zu erreichen.
Der Jude, der sich Moses nannte, erklärte aber, wenn er auch nicht gerade in so großer Eile selber sei, wolle er mich doch noch ein Stück bis zum nächsten Dorf begleiten, wo er wieder Geschäfte habe, und durch den Wald, der vor uns lag, ginge es sich besser in Gesellschaft. Er musste dort in der Gegend bekannt sein. Nach zwei Stunden scharfen Marschierens erreichten wir das Dorf, gingen aber ziemlich hindurch bis zum letzten großen Hause, wo Moses vor der Hand bleiben wollte. Unterwegs hatte er mir aber noch richtig seine Uhr aufgeschwatzt. Ich hatte außerdem keine, und der Preis, den er dafür forderte, war billig genug. Bei Kasse war ich außerdem, denn ich hatte fleißig gearbeitet und knapp gelebt, und wir wurden endlich handelseinig. Ich konnte nicht ahnen, wie gefährlich der Kauf für mich werden sollte.
Ich wanderte jetzt allein weiter. Es ging sich nicht besonders auf dem schlechten Weg, und ich überlegte mir schon, wie ich in dem nächsten größeren Dorfe Mittag machen und eine Stunde ausruhen wollte. Ich musste hier wieder durch eine Strecke Wald, der teils aus Birken, Kiefern und Erlen bestand, nur vereinzelt standen ein paar Eichen dazwischen. Leute hatte ich bis jetzt sehr wenige auf der Straße getroffen – ein paar Juden mit einem Karren und zwei kleinen, mageren Pferden war mir begegnet, und ein Reiter hatte mich überholt, war aber scharf vorbeigeritten. Ich musste auch zu viel auf den Weg achten, um einzelnen Schlammlöchern auszuweichen, als dass ich richtig auf ihn geachtet hätte. Jetzt begegnete mir ein anderer Fußgänger, der aber plötzlich wie aus dem Wald herauskam, was mir jedoch auch nicht auffiel, denn ich war schon selbst ein paar Mal über den Graben und in die Büsche hineingesprungen, um dort vielleicht etwas trocknere oder doch härtere Bahn zu finden. Er mochte in meinem Alter sein, vielleicht ein oder zwei Jahre СКАЧАТЬ