Vom alltäglichen Scheitern. Lars Bessel
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Название: Vom alltäglichen Scheitern

Автор: Lars Bessel

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

Серия:

isbn: 9783742756800

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СКАЧАТЬ auch dieser Prozeß wird mir vom nur allzu alltäglichen Scheitern erzählen.

      Die persönlichen Lebensumstände sind in der Verhandlung schnell erzählt: Alfred zog mit seiner alleinerziehenden Mutter nach der Trennung vom Vater vor drei Jahren aus dem Münsterland nach Itzehoe. Sohnemann hatte bis dahin zumindest seinen Hauptschulabschluss in der Tasche, die ansonsten jedoch vollkommen leer war – keine Ausbildung, kein Job, kein Geld. Stattdessen hatte Alfred schon mit 16 Jahren Flausen im Kopf, wurde beim Ladendiebstahl erwischt, das Verfahren gegen ihn ließ der Staatsanwalt jedoch wegen der mickrigen Beute fallen. Ein erster Eintrag im Bundeszentralregister war dem Jugendlichen allerdings sicher.

      Der nächste folgte vier Jahre später: Natürlich wollte Alfred auch mal Auto fahren, so wie seine Kumpels, nur hatte Alfred kein Geld für den Führerschein. Dafür jede Menge Pech. Die Polizei stoppte den 20jährigen hinterm Lenkrad. Es gab eine Anklage wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Zu allem Überfluss folgte dann der Umzug nach Itzehoe, die ihm aufgebrummten Sozialstunden vergaß er deshalb prompt, den nun folgenden Jugendarrest von zwei Wochen dagegen nie. Eintrag zwei im Bundeszentralregister.

      Nun also die mutmaßlich dritte Straftat – die Staatsanwaltschaft Itzehoe wirft Alfred Rebstock Computerbetrug vor. Das klingt erst einmal harmlos, führt uns jedoch bis ins sogenannte „Darknet“:

      Alfred surft gern im Netz, tauscht sich mit anderen Nerds über Linux-Server aus, treibt sich in unterschiedlichsten Technik-Foren herum. Alles vollkommen legal. Doch plötzlich sah er ein Anzeigenbanner, dessen Inhalt ihn reizte. Datensätze wurden da unter anderem angeboten. Wofür er die brauchte, will der Vorsitzende Richter in der Verhandlung wissen, die Antwort bleibt Rebstock schuldig. Jedenfalls habe er sich auf der Seite registriert und genauer nachgefragt, was es denn auf dieser dunklen Seite des weltweiten Netzes alles so gebe …

      Unter anderem Damenhandtaschen. Kein Scherz. Und damit begann das Dilemma: Die Seitenbetreiber sind schlicht Schwerkriminelle, die unterschiedlichste Nutzerkonten, Kreditkarten und andere elektronische Daten hacken und verkaufen – beziehungsweise die Ware, die sie damit illegal erwerben, um damit zu dealen. Alfred wähnte seine große Chance: Seit einem Jahr war er mit seiner Freundin schon zusammen, das mußte gefeiert werden. Am besten mit einem richtig tollen Geschenk – einer mordsmäßig teuren Handtasche.

      Das System funktionierte wie folgt: Die Betreiber der mittlerweile polizeilich gesperrten Internetplattform Crimenetwork.biz stahlen einer Frau, nennen wir sie Michaela, ihre Zugangsdaten für den „zalando“-Onlineshop und kauften auf ihren Namen eine Handtasche im Wert von 394 Euro. So weit so schlecht. Alfred konnte die Handtasche nun für nur zehn Prozent ihres Wertes bei den crime-networkern kaufen, also für 39,40 Euro, und das inklusive Versand. Denn auch den wickelten die unbekannten Hintermänner mit gestohlenen Daten ab: Einer weiteren Frau, nennen wir sie Andrea, wurden die Zugangsdaten für ihre Packstation bei der Post in Glückstadt entwendet – für vier weitere läppische Euro war Alfred in ihrem Besitz.

      Nachdem er die 43,40 Euro bezahlt hatte, landete die gestohlene Handtasche im übernommenen Postfach in Glückstadt. Der Rest sollte ein Kinderspiel sein: von Itzehoe nach Glückstadt fahren, mit Andreas Code deren Postbox öffnen und die teure Handtasche von Michaela zum Schnäppchenpreis mitnehmen. Statt bei seiner Freundin landete die Tasche jedoch in der Asservatenkammer der Polizei und Alfred in deren Gewahrsam.

      Das war im Oktober 2015. Die Polizei hatte die Machenschaften der crime-Netzwerker längst durchschaut und suchte nun nach deren Kundschaft. Auch wenn die Hintermänner unerkannt blieben, kam man doch immerhin an deren Abnehmer heran. An Alfred zum Beispiel. Für die junge Referendarin der Staatsanwaltschaft klar ein Fall für Paragraf 263 des Strafgesetzbuches: Betrug.

      Er sei sich durchaus bewußt gewesen, läßt sich Alfred Rebstock im Laufe seines Geständnisses ein, dass das, was er da getan hat, „nicht so ganz in Ordnung war“, aber das habe er „ausgeblendet“. Die Freundin sollte zum Jahrestag ein Geschenk bekommen, und er hatte kein Geld. Da kam das unverhoffte „Angebot“ aus dem Internet genau richtig.

      Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft war kurz und bündig: Auf (Computer-)Betrug steht eine Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe. Für den naiven Alfred sollte es letzteres sein – 40 Tagessätze á fünf Euro. Weniger wäre einem Freispruch gleich gekommen.

      Doch wäre eine höhere Strafe nicht vollkommen unrealistisch gewesen? Rebstock hat am Prozesstag ein unentgeltliches Maurerpraktikum begonnen, lebt bei seiner Mutter, die ihm gelegentlich Geld für den Friseur oder zum Tanken zusteckt (mittlerweile hat Alfred einen Führerschein und das alte Auto seines Bruders übernommen) – und alternativ sponsert seine Freundin mal ein Bier. 200 Euro Strafe sind für Alfred Rebstock somit eine echte Hausnummer, weshalb der Richter ihm zubilligt, diese in zehn Raten à 20 Euro abzustottern. Alfred scheint erleichtert, hört nach 30 Minuten Verhandlung auf, die Augen zusammenzukneifen – offenbar um Tränen zurückzuhalten.

      „Es war ein ziemlich großer Fehler“, sind seine letzten Worte vor der Urteilsverkündung. Statt durch Betrug hätte er besser versuchen sollen, das Geschenk für seine Freundin ehrlich zu kaufen. Diese Erkenntnis kommt ihn teuer zu stehen: 43,40 Euro für die gestohlenen Daten, 200 Euro Strafe und dazu noch die Prozesskosten von ebenfalls rund 200 Euro. Macht summa summarum rund 450 Euro für eine Handtasche, die 394 Euro wert ist. Noch treffender: 450 Euro für nichts, denn besagte Handtasche gehört wieder „zalando“ und wird nie von Alfreds Freundin getragen werden.

      Noch viel schlimmer: Nachdem Alfred Rebstock das Urteil akzeptiert hat, ist seine dritte Vorstrafe aktenkundig. Für dessen Richter ist aber noch nicht Hopfen und Malz verloren, sonst hätte er sich seine abschließenden Worte gespart. Die lauteten eindringlich: „Lassen Sie die Finger von so etwas – und wir sehen uns hier hoffentlich nie wieder!“

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