Название: Curriculum Prothetik
Автор: Jörg R. Strub
Издательство: Bookwire
Жанр: Медицина
Серия: Band
isbn: 9783868676143
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Zur Schienung gelockerter Zähne benutzten die Etrusker meist 3–5 mm breite Goldbänder. Bei Zahnverlust wurden Goldbänder aneinander genietet (Abb. 1-2a) oder gelötet und in die entstehenden Schlaufen Ersatzzähne von Menschen und/oder Tieren gesetzt und mit Klammern oder Draht befestigt. Mehrere Zähne wurden mittels Draht oder Bändern als „Zahnbrücken“ an Pfeilerzähnen verankert (Abb. 1-2b). Wie eine große Anzahl originaler prothetischer Arbeiten in italienischen Museen (z. B. Museo Nazionale Etrusco di Villa Giulia, Rom; Museo Archeologico, Florenz) zeigt (Baggieri 1999, Becker 1996, Tabanelli 1958), bestimmten primär kosmetische Zwecke diese Bemühungen, während kaufunktionelle und phonetische Erwägungen noch keine Rolle spielten. Überblickt man die Folgezeit, wird deutlich, wie vergleichsweise zufrieden stellend die Etrusker zahntechnische Probleme lösten, denn ihr „Qualitätsstandard“ handwerklicher Leistungen wurde erst im 19. Jahrhundert wieder erreicht. Wie eine in Westanatolien gefundene Goldbandprothese etruskischer Provenienz zeigt, blieb die hoch entwickelte etruskische Zahntechnik nicht auf Italien bzw. die ehemaligen römischen Provinzen beschränkt (vgl. Capasso und Di Totta 1993, Teschler-Nicola et al. 1998), sondern hat sich weit über deren Grenzen hinaus ausgebreitet (Terzioglu und Uzel 1988, Becker und Macintosh Turfa 2017).
Abb. 1-2 Etruskische Brückentechnik: a zwei an Goldbänder vernietete Ersatzzähne, b zwei mit Goldbändern gefasste Pfeilerzähne für eine Brückenkonstruktion.
Aus Gräbern in und nahe bei Sidon im heutigen Libanon stammen zwei Zahnersatzarbeiten, die den Phönikern zugeschrieben werden und sich anhand von Grabbeigaben in das 6. bis 4. Jh. v. Chr. datieren lassen (Renan 1864). In beiden Fällen handelt es sich um Schienungen aus Golddrahtgebinde. Während im erstgefundenen Fall eine sorgfältig vorgenommene Bindung von sechs Frontzähnen in Form eines Brückenersatzes vorliegt, der von Eckzahn zu Eckzahn reicht und zwei hinsichtlich des Materials unbekannte Ersatzzähne einbezieht (Louvre, Paris) (Abb. 1-3), handelt es sich im zweiten Fall um eine klassische Schienung von parodontal insuffizienten unteren Frontzähnen mit gleichzeitigem Ersatz von zwei Frontzähnen, die in situ aufgefunden wurde (Abb. 1-4). Das damals schon vorgenommene Schließen einer Frontzahnlücke mittels zweier am Restzahnbestand befestigter Ersatz-Schneidezähne darf als echte prothetische Leistung gelten, auch wenn sie funktionell natürlich unzulänglich war. Einflüsse aus den Hochkulturen des Zweistromlands (Euphrat und Tigris) und Ägypten wären aufgrund der geographischen Mittellage des Libanon denkbar, jedoch sprechen zwei Jahrtausende Zeitdifferenz und technische Details gegen diese Vermutung. Aufgrund der hohen Mobilität der Menschen und kultureller Kontakte weit über lokale Regionen hinaus haben sich auch in der Antike neue Errungenschaften schnell ausgebreitet.
Abb. 1-3 Phönikische mit Golddraht befestigte Unterkieferfrontzahnbrücke zum Ersatz der Zähne 31 und 32 (Louvre, Paris) (nach Hoffmann-Axthelm 1985).
Abb. 1-4 Phönikische Schienung mit Golddraht und Brückenersatz im Unterkiefer-Frontzahnbereich (Zähne 31, 32 sind ersetzt) (nach Hoffmann-Axthelm 1985).
Im klassischen Griechenland etabliert sich im 5. Jahrhundert v. Chr. eine neue, wissenschaftlich ausgerichtete Medizin, als deren Begründer Hippokrates gilt. Dessen umfangreiches medizinisches Schrifttum enthält auch zahnmedizinisch relevante Passagen, welche sich jedoch primär auf die Zahnanatomie und auf Therapievorschläge bei Erkrankungen der Zähne und Kiefer beziehen. Hippokrates erwähnt zwar die Drahtligatur zur Fixierung lockerer Zähne, doch fehlen bei ihm wie bei weiteren wichtigen Medizinautoren der Antike (z. B. Galen) jegliche Hinweise auf eine wie auch immer geartete prothetische Versorgung. Archäologische Funde von Zahnersatz aus dem klassischen Griechenland sind selten, was insofern verwundert, als der unausweichliche Zahnausfall nicht mit den Schönheitsvorstellungen der Griechen vereinbar war und die Medizin sich weit entwickelt darstellt (Künzl 2002). Eine Erklärung für die Seltenheit der Funde könnten Verluste durch antike Grabräuber sein, die nach Gold suchten (Jankuhn 1978). Das Fehlen von Hinweisen in der medizinischen Literatur kann durch die Zugehörigkeit der Zahnprothetik zum Handwerk begründet sein (Hammer 1956).
Die Heilkunde im römischen Imperium war stark griechisch beeinflusst. Nach der Eroberung Griechenlands wurde sie zunächst von griechischen Sklaven, später von freigelassenen und zugewanderten Ärzten ausgeübt. Die Zahnersatztechnik hatten die Römer von den Etruskern übernommen, und nach historischen Quellen soll Zahnersatz in der Oberschicht weit verbreitet gewesen sein. Die Verwendung von Gold für Zahnersatzarbeiten ist bereits durch die Zwölftafelgesetze (Cicero, de legibus 2, 24, 60) aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert belegt.
Hygiene, Gesundheitsfürsorge und kosmetische Aspekte sind zwar charakteristisch für die römische Medizin, da Zahnersatzarbeiten aber als handwerkliche Tätigkeiten galten, fanden sie in der medizinischen Literatur kaum Erwähnung. Eine gute Quelle ist dagegen die zeitgenössische römische Literatur (z. B. Horaz, Ovid), wo häufig indirekt auf Zahnersatz eingegangen wird. Wie in Griechenland steht auch im römischen Reich die geringe Zahl an Fundobjekten nicht mit den schriftlichen Überlieferungen in Übereinstimmung, die auf eine existierende Zahnersatzkunst verweisen. Der Widerspruch lässt sich möglicherweise dadurch erklären, dass auch hier viele Zahnersatzarbeiten antiken Grabräubern zum Opfer fielen.
Zwei Funde von Zahnprothesen dokumentieren die in den Schriftquellen gefundenen Angaben zur Versorgung der römischen Oberschicht mit Zahnersatz. Zahnprothese 1 wurde während Ausgrabungen in der Viale della Serenissima zusammen mit Überresten einer Frau geborgen, die im 1. bis 2. Jahrhundert n. Chr. in Rom gelebt hat. Die beiden mittleren Schneidezähne der Frau waren vermutlich intra vitam verloren gegangen. Der rechte Schneidezahn ist durchbohrt und mit Golddraht an zwei Nachbarzähnen befestigt. Der linke Schneidezahn fehlt post mortem und war wohl ebenfalls mit Golddraht an den Nachbarzähnen befestigt. Die Form und die Abnutzung der künstlich eingesetzten Zähne lässt vermuten, dass es sich wahrscheinlich um die eigenen Zähne der Frau handelt, die wegen ihrer Lockerheit in die Prothese eingearbeitet wurden (СКАЧАТЬ