Kleine politische Schriften. Walter Brendel
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Kleine politische Schriften - Walter Brendel страница 5

Название: Kleine politische Schriften

Автор: Walter Brendel

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

Серия:

isbn: 9783966511858

isbn:

СКАЧАТЬ dem einfachen Grund, weil sie das Wesen und die Wirkungen des Privatgrundbesitzes nach seinen beiden einzig möglichen Entwicklungsformen hin, schärfer, als es irgendwo anders der Fall ist, zum Ausdruck bringen. Dem Anatomen, der die Natur und Wirkungen einer bestimmten Krankheit studieren will, ist auf dem Seziertisch ein Körper um so wertvoller, je weiter in demselben die Krankheit gediehen war und je anschaulicher sie sich folglich darin darstellt. Das gleiche gilt für die soziale Anatomie; zum Studium der gesellschaftlichen Krankheiten ist ein Gesellschaftskörper, in dem diese Krankheiten zu höchster Entwicklung gelangt sind, besser geeignet als ein Gesellschaftskörper, in dem sie sich noch in den Anfangsstadien befinden. Die höhere Entwicklung schließt die niedere in sich nicht aber umgekehrt. Wer ein höher entwickeltes Land kennt, kann deshalb ein niedriger entwickeltes richtig beurteilen; wohingegen, wer nur ein niedriger entwickeltes Land kennt, außerstande ist, ein höher entwickeltes richtig zu beurteilen. Frankreich und England sind aber Deutschland in der ökonomischen Entwicklung voraus; und zwar ersteres ungefähr ebensoweit, wie ihm seinerseits England voraus ist. England ist das ökonomisch entwickeltste Land der Welt, das klassische Revier und Versuchsfeld der Menschheit auf ökonomischem, wie Frankreich auf politischem Gebiet. Da keine Theorie denkbar ohne Praxis und die Wissenschaft nur das Resultat der Erfahrung sein kann, ist darum auch England die eigentliche Heimat der Nationalökonomie. Der Mann, welcher die Nationalökonomie auf den Gipfel gebracht und von den Fälschungen und Irrtümern des Klassengeistes und Klassenvorurteils gereinigt hat, Karl Marx, der Kritiker und Vernichter der Bourgeoisökonomie, der Begründer der wissenschaftlichen Gesellschaftsökonomie, hat sich in England, wo er seit fünfundzwanzig Jahren ununterbrochen lebt, die Vorarbeiten und das Material zu seinem »Kapital« geholt. Er nimmt seine Beispiele fast ausschließlich aus England. Daß sie »fremd« sind, tut ihrer Beweiskraft keinen Abbruch. Für die Ökonomie, wie überhaupt für die Wissenschaft, gibt es kein fremd und einheimisch, kein Inland und kein Ausland. Die Wissenschaft kennt keine Nationalität. Es gibt keine englische, französische, deutsche Ökonomie, weshalb auch die übliche Benennung: Nationalökonomie eine sehr unpassende ist. Es gibt nur eine Ökonomie, deren Gesetze für England, Frankreich, Deutschland und alle übrigen Länder, die eine Gesellschaft haben, die nämlichen sind, die nämliche zwingende Gewalt haben. Mensch ist Mensch – als »Gesellschaftstier« ist er überall den gleichen Gesetzen unterworfen, ist die Wirkung derselben auf ihn die gleiche, ob er in diesem Lande wohnt oder in jenem. Was für den Engländer und Franzosen, gilt auch für den Deutschen; die nämlichen Erscheinungen, welche das Parzellensystem in Frankreich zutage gefördert hat, muß es auch in Deutschland zutage fördern, sobald es zu gleicher Entwicklung gelangt. Und zu gleicher Entwicklung muß es im Laufe der Zeit gelangen, mag sich der Staat noch so eifrig auf Palliativmittelchen gegen die allzu große Güterzersplitterung verlegen. Ebenso muß der Privatgroßgrundbesitz im Laufe der Zeit in Deutschland genau dieselben Wirkungen haben wie in England, mögen sich unsere Regierungen noch so sehr mit dem hoffnungslosen Problem abquälen, die gemeinschädlichen Wirkungen des Großgrundbesitzes aufzuheben oder zu mildern. Das Verhältnis von Ursache und Wirkung ist durch kein Dekret, durch keine Maßregel, durch kein Machtaufgebot aus der Welt zu schaffen. Die Ursache bestehen lassen und die Wirkungen beseitigen wollen ist Narrenwerk. Vom russischen Regierungssystem hat ein Franzose (Custine) einst gesagt: »Es ist der Absolutismus, gemildert durch den Meuchelmord.« Gut – in ähnlicher Weise kann man von dem Großgrundbesitz sagen: es ist der kapitalistische Absolutismus, gemildert durch das Workhouse. Eine andere »Milderung« wird der genialste Staatsmann des Klassenstaats nicht entdecken.

      In den englischen Landzuständen drückt sich am klassischsten das Wesen des modernen Privatgrundbesitzes aus. Darum mußte ich sie so eingehend behandeln. Das französische Parzellensystem ist ökonomisch ein überwundener Standpunkt. Die landwirtschaftliche Kleinproduktion kann die Konkurrenz mit der landwirtschaftlichen Großproduktion nicht aushalten und muß dieser geradeso Platz machen wie die industrielle Kleinproduktion der industriellen Großproduktion. Bleibt der heutige Klassenstaat mit seiner Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital und seiner Aufsaugung des kleineren Kapitals durch das größere bestehen, so ist infolge der zunehmenden Überschuldung und Unergiebigkeit der kleinen Bauerngüter die Verdrängung des Parzellensystems durch das englische Landsystem nur eine Frage der Zeit. Ob die mittelalterlichen Landgesetze in England aufgehoben werden oder nicht, ist von untergeordneter Bedeutung. Die Aufhebung dieser Gesetze würde wohl große Veränderungen im Personal der Landbesitzer hervorbringen, aber das Wesen des Landbesitzes unberührt lassen. Das Landmonopol, welches die mittelalterlichen Adelsgesetze erstreben, ist auch das Ziel des modernen Bourgeoiskapitalismus. Les extrêmes se touchent; und wie in Frankreich der durch die Revolution geschaffene freie Kleingrundbesitz nach dritthalb Generationen den Bauer in die Misere des vorrevolutionären Feudalstaats zurückgeworfen hat, so würde in England der »Freihandel in Land«, und zwar ohne die dem französischen Bauer gewährte Galgenfrist der Illusionen, dem agricultural labourer sans façon das Joch der feudalen Leibeigenschaft, obendrein mit gesteigerter Ausbeutungskraft, auflegen. Der Kapitalismus ist raffinierter, potenzierter Feudalismus, und der englische Feudalismus hat dies so wohl begriffen, daß er seit vorigem Jahrhundert einen eminent kapitalistischen Charakter trägt.

      Die englischen Zustände zeigen uns um einige Stationen voraus die Gestaltung unserer eigenen Zustände. Was in England ist, wird in Deutschland. Was hier unreife Frucht, der zum Teil noch die verdorrten Blüten anhängen, zum Teil freilich auch schon die Fäulnis am Kern frißt, ist dort reif, vollentwickelt, mit goldglänzender Schale, doch innen vermodert, gleich jenen Äpfeln, welche am Toten Meer wachsen sollen. Wir sehen in England unsere Zukunft. Der englische Landarbeiter, dieser Elendeste der Elenden, ist das getreue Bild der deutschen Bauern der nächsten Generationen – vorausgesetzt, daß der deutsche Bauer das warnende Exempel sich nicht zu Herzen nimmt und nicht rechtzeitig noch das Veto der Tat ausspricht. Fassen wir zusammen:

      In Frankreich Kleingrundbesitz.

      In England Großgrundbesitz.

      In Frankreich der Grund und Boden in zahlreichen Händen (7 846 000 bei einer Bevölkerung von 38 Millionen) zersplittert; Kleinbetrieb des Ackerbaues; die Bauern durchschnittlich verschuldet; nicht Lohn-, aber Hypothekensklaven, indirekte Sklaven des Kapitals, der großen Mehrzahl nach in den jämmerlichsten Verhältnissen lebend; infolge Kapitalmangels irrationelle Bewirtschaftung des Bodens, geringe Produktivität der Arbeit (das Produkt gleich 215 Francs auf den Kopf, Männer, Frauen und Kinder der ackerbautreibenden Bevölkerung zusammengerechnet – nicht der dritte Teil dessen, was in England auf den Kopf kommt) und bei unsinniger Arbeitsvergeudung karger Bodenertrag (sieben französische Bauern verrichten die Arbeit von zwei englischen Landarbeitern, und der Acre in Frankreich ergibt 18 Bushel Hohlmaß. 1 Bushel = 36,35 Liter.gegen 30 in England) – der französische Parzellenbauer sich plackend für seinen Gläubiger, wie der englische agricultural labourer für den Pächter und Landlord.

      In England der Grund und Boden in wenigen Händen (30 000 bei einer Bevölkerung von 30 Millionen) konzentriert; kapitalistischer Großbetrieb des Ackerbaues; der unabhängige Bauernstand bis auf die letzte Spur ausgetilgt; statt freier Bauern unglückliche Lohnsklaven, die selbst unter den Komfort des Workhouses herabgedrückt sind; dagegen vergleichungsweise rationelle Bewirtschaftung, mit Benutzung – natürlich nur, soweit es das Interesse des Landlords und Farmers erheischt – der durch Wissenschaft und Kapital gebotenen Vorteile; infolgedessen intensive Produktivität der Arbeit (das Produkt gleich 715 Francs per Kopf, die gesamte ackerbautreibende Bevölkerung, Weiber und Kinder eingerechnet, und reichlicher Bodenertrag) zum ausschließlichen Nutzen der Landlords und Pächter.

      Das französische System ruiniert den Staat; ruiniert das Land; ruiniert den Bauer; führt, wenn eine vernünftige, das Volkswohl erstrebende Politik nicht vorher eingreift, zum allgemeinen Bankrott und muß schließlich durch Anheimfallen der kleinen Höfe an die kapitalistischen Gläubiger oder durch Versteigerung an den Meistbietenden und Meisthabenden in das englische Landsystem übergehen.

      Und das englische Landsystem? Es ermöglicht zwar eine relativ rationelle Bewirtschaftung des Bodens, raubt aber dem arbeitenden Volke die Früchte derselben und wirft sie den wenigen Monopolisten in den Schoß; es verurteilt die sich abschindenden Bebauer des Bodens СКАЧАТЬ