Название: Sinclair Lewis: Die großen Romane
Автор: Sinclair Lewis
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4066338121196
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»Ich hab' gemeint, ich könnte einen langen Spaziergang gut brauchen – ich hab' zu viel studiert – und gehofft, daß Sie mich auf einen Augenblick reinkommen und wärmen lassen.«
»Na, mein Lieber, bei Gott, Bruder, ich wär' wild geworden wie'n Bulle, wenn Sie nicht bei mir vorgesprochen hätten! Das ist Ihr Haus, und wir haben immer was, was für Sie noch auf den Tisch gestellt werden kann. Jawohl! Schon Nachtmahl gegessen? Belegtes Brot? Genug? Unsinn! Die Weiberleute werden im Handumdrehen was für Sie hergerichtet haben. Die Frau und Lulu, sie sind beide noch draußen in der Küche. Lu-lu!«
»Ach, ich darf mich nicht aufhalten – es ist so schrecklich weit zurück in die Stadt und so spät – ich hätt' nicht so weit gehen sollen.«
»Sie werden heute nacht Ihren Fuß nicht aus diesem Haus heraussetzen, Bruder! Sie bleiben ganz einfach hier!«
Als Lulu ihn sah, sagten ihre verzückten Augen: »Und diesen ganzen Weg bist du für mich gekommen?«
Sie war noch lieblicher und begehrenswerter, als er sich gedacht hatte.
Gewärmt, von Rühreiern und Bewunderung angeschwollen, saß er mit ihnen im Wohnzimmer und erzählte von mehr oder weniger möglichen Ereignissen während seines Bekehrungsfeldzuges in Kansas, bis Mr. Bains zu gähnen begann.
»Weiß Gott, zehn Minuten nach neun! Ich begreif' gar nicht, wie's so spät geworden ist. Ma, ich glaub', es ist Zeit, ins Bett zu kriechen.«
Elmer machte einen mutigen Vorstoß:
»Schön, Sie können schlafen gehen, aber wir jungen Leute werden noch aufbleiben und uns allerhand erzählen! An Wochentagen bin ich kein Prediger – da bin ich nichts weiter als ein Student, bei Gott!«
»Schön – wenn Sie das einen Wochentag nennen. Mir kommt's vor wie eine Wochennacht, Bruder!«
Alles lachte.
Sie lag in seinen Armen, auf dem Sofa, bevor ihr Vater sich noch die Treppe hinaufgegähnt und gehustet hatte; sie lag in seinen Armen, schlaff, ohne zu denken, als es Mitternacht geworden war; nachdem in dem kaltgewordenen Zimmer langes Schweigen geherrscht hatte, setzte sie sich um zwei Uhr hastig auf und fingerte an ihrem zerrauften Haar herum.
»Oh, ich hab' so Angst!« klagte sie.
Er versuchte sie tröstend zu tätscheln, aber jetzt war nicht mehr viel Herz in ihm.
»Aber es macht nichts. Wann heiraten wir?« fragte sie zitternd.
Und dann war überhaupt kein Herz mehr in ihm, sondern nur ein Klumpen Angst.
Ein oder zweimal in seinen Wachträumen hatte er daran gedacht, er könnte in die Gefahr kommen, sie heiraten zu müssen. Er hatte überlegt, daß diese Heirat jetzt sein Fortkommen in der Kirche behindern würde, und daß er überhaupt nicht dieses hirnlose dumme kleine Huhn heiraten wollte, das ihm nicht im geringsten dabei helfen könnte, reichen Pfarrkindern zu imponieren. Doch diese Vorsicht hatte er in der Aufregung ganz vergessen, ihre Frage war wirklich eine Überraschung, ein entsetzlicher Choc. So wirbelten seine Gedanken durcheinander, auch während er murmelte:
»Ja – ja – das können wir wohl noch nicht endgültig entscheiden. Wir müssen warten, bis ich nach meinem Schlußexamen Zeit hab', mich umzuschauen, und in einer guten Pfarre niedergelassen bin.«
»Ja, wir werden wohl müssen«, sagte sie wehmütig zu ihrem Mann, dem besten, gelehrtesten, stärksten und weitaus interessantesten Menschen, den sie überhaupt kannte.
»Du darfst also mit niemand davon reden, Lu. Nicht einmal mit deinen Leuten. Sie würden vielleicht nicht verstehen, wie du, wie schwer es für einen Geistlichen ist, seine erste richtige Kirche zu kriegen.«
»Ja, mein Herz. Ach, gib mir einen Kuß!«
Und er mußte sie ungezählte Male küssen, in diesem gräßlich kalten Zimmer, bevor er in seine Kammer entrinnen konnte.
Mit einer Miene, als ob ihm übel wäre, saß er auf seinem Bett und jammerte: »Teufel, ich hätt' nicht so weit gehen sollen! Ich hab' gemeint, sie würde länger Widerstand leisten. Aaah! Das war das ganze Risiko nicht wert. Aaaaah! Sie ist blöd wie eine Kuh. Armes kleines Ding!« Sein Mitleid gab ihm wieder ein Gefühl der Güte. »Sie tut mir leid. Aber, du lieber Gott, sie ist so nichtswertig! Ihre Schuld, wirklich, aber – aaah! ich war ein Dummkopf! Na, man muß immer aufrecht bleiben und sich seine Schuld ehrlich eingestehen. Das mach' ich. Ich entschuldige mich nicht. Ich hab' keine Angst davor, meine Fehler zuzugeben und zu bereuen.«
Das gab ihm die Möglichkeit, voll Bewunderung für seine eigene Tugendhaftigkeit zu Bett zu gehen und ihr fast zu verzeihen.
Achtes Kapitel
1
Die Glut Lulus, der Stolz auf die eigene Kirche in Schoenheim, das Vergnügen zusehen zu können, wie Frank Shallard, dieser schwache Mensch, auf der Draisine keuchte, alles das konnte Elmer nicht für die Langeweile entschädigen, unter der er in den Seminarkursen von Montag bis Freitag litt – jene Langeweile, die alle Geistlichen mit Ausnahme einiger jagdliebender Landpfarrer und einiger Leiter von Stiftungskirchen mit Fabrikbetrieb ihr ganzes Leben lang ertragen müssen.
Oft dachte er daran, abzudanken und Geschäftsmann zu werden. Da honigsüße Worte und ein wichtiges Auftreten im Geschäftsleben denselben Wert haben würden wie in der Kirche, widmete er die ehrfürchtigste Aufmerksamkeit der Vorlesung des Mr. Ben T. Bohnsoc, »Professors der Rhetorik und Literatur, Lehrers für Stimmbildung«. Bei ihm hatte Elmer ein immer goldeneres (doch stahlhartes) Kanzelbenehmen gelernt, ferner, coram publico keine Sprachfehler zu machen, und daß Hinweise auf Dickens, Victor Hugo, James Whitcomb Riley, Josh Billings und Michelangelo einer Predigt etwas sehr Elegantes, an Chicago Gemahnendes gäben.
Elmers Beredsamkeit wuchs wie ein Kürbis im August. Er ging in den Wald, um sich zu üben. Einmal kam ein kleiner Junge hinter ihm her und stellte sich in einer Lichtung auf einen Baumstumpf, als er aber mit den Worten »Ich führe Klage über die Greuel Eurer geilen und wollüstigen, äh, Greuel«, begrüßt wurde, entfloh er heulend und wurde nie wieder der sorglose Knabe von früher.
In den Augenblicken, da er überzeugt war, er könnte das leichte, aber stiere Leben des Geistlichen fortführen, achtete Elmer auf die Vorlesungen des Dekans Trosper über praktische Theologie und Homiletik. Dr. Trosper erzählte den strebsamen, frommen Priestern, was zu sagen wäre, wenn man zu Kranken gerufen würde, wie man es vermeiden sollte, von Chorsängerinnen kompromittiert zu werden, wie man sich erbaulicher oder erheiternder Anekdoten entsinnen könnte, indem man sie katalogisierte, wie man Predigten vorzubereiten hätte, wenn man nichts zu sagen wüßte, in was für Büchern die am besten vorgekauten Predigtentwürfe zu finden seien, und, höchst nützlich für alle, wie sich Geld eintreiben ließe.
Eddie Fislingers Kollegheft für praktische Theologie (das Elmer vor Prüfungen auch als Elmers Kollegheft betrachtete) war mit praktischer Theologie folgender Art angefüllt:
Seelsorgerbesuch:
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