Название: Internationale Beziehungen
Автор: Anja Jetschke
Издательство: Bookwire
Жанр: Социология
Серия: bachelor-wissen
isbn: 9783823300038
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Erst der Russlandfeldzug Napoleons setzte der französischen Herrschaft ein Ende. Napoleon wurde in der Völkerschlacht bei Leipzig (1813) auf dem Kontinent vernichtend geschlagen. Nach der Herrschaft der 100 Tage, die Napoleon kurzzeitig wieder an die Macht in Frankreich brachte, wurde er 1815 in der Schlacht bei Waterloo endgültig besiegt.
Tafel III (S. 422–423) zeigt Europa 1815, nach den vertraglichen Regelungen des Wiener KongressWiener Kongresses. Die territoriale Unabhängigkeit Spaniens, der deutschen Territorien ebenso wie der Territorien Italiens ist wieder hergestellt, wenn auch nicht in exakt den gleichen Grenzen wie vor den Napoleonischen Eroberungen. Frankreich befindet sich wieder in seinen Grenzen von 1792. Die meisten Staaten sind relativ große Flächenstaaten. Davon heben sich nur Deutschland und Italien ab, die sich – wie vor den Napoleonischen Kriegen auch – durch viele kleine Territorien auszeichnen. In Deutschland dominiert Preußen, das einige Besonderheiten aufweist: Es ist territorial zerstückelt, in einen Ostteil, der sich bis nach Litauen erstreckt, und in einen Westteil, der das Rheinland umfasst. Das Osmanische Reich endet erst an den Grenzen Österreichs, die südosteuropäischen Staaten sind noch integraler Bestandteil des riesigen osmanischen Herrschaftsgebietes, das auf dem eurasischen Festland bis nach Georgien reicht und auch noch die Gebiete des heutigen Israels, des Libanons und Palästinas umfasst. Die territorialen Veränderungen sind das Werk des Wiener KongressWiener Kongresses, der 1814 etabliert wurde, um mit den Folgen der Napoleonischen Herrschaft in Europa und in der Welt umzugehen.
Die Karten sagen aber noch nichts über die Bedeutung der einzelnen Staaten aus. Deshalb ist es sinnvoll, diese kurz vorzustellen. Aus den Napoleonischen Kriegen ging eine Großmacht hervor, die alle anderen klar dominierte: Großbritannien. Es wird wie kein anderer Staat vor ihm in dem nun folgenden Jahrhundert über ein Weltreich regieren, das weniger auf der direkten Herrschaft auf dem europäischen Festland beruht als vielmehr auf einem weit verstreuten kolonialen Empire mit einem Schwerpunkt in Nordamerika und der Kontrolle über die Weltmeere. Es löst damit Frankreich ab, das das Jahrhundert vor ihm dominiert hatte, und das habsburgische Österreich, das auf dem europäischen Festland nach wie vor eine bedeutende Rolle spielt. Während in Kontinentaleuropa Frankreich, Österreich und Preußen die dominierenden Staaten sind – mit Frankreich und dem habsburgischen Österreich als Antagonisten auf dem Festland – und Portugal und Spanien durch ihren KolonialbesitzKolonialbesitz vor allem in Lateinamerika eine bedeutende Rolle spielen, sind in der Weltpolitik Großbritannien und Russland die prägenden Staaten. Neue Staaten bilden sich einerseits in Nordamerika, andererseits in Lateinamerika, wo sich Staaten von Spanien und Portugal emanzipieren. Russland ist zugleich eine europäische, asiatische und – zu diesem Zeitpunkt auch – amerikanische Macht.
Das Jahrhundert geht als Pax BritannicaBritannica in die Geschichtsbücher ein. Dieser Ausdruck bezieht sich auf einige wesentliche Charakteristika der internationalen Ordnung, die unter Führung Großbritanniens in dieser Zeit entstand: Die Gleichgewichtspolitik in Europa, seine Herrschaft in Übersee, ein britisches Überlegenheitsgefühl und Sendungsbewusstsein, das sich auf liberale Ideen gründet, wie der Idee konstitutioneller Herrschaft (durch Verfassung), der Selbstregierung durch Kooperation für alle zivilisierten Menschen und der Idee der Freiheit der Meere und des Handels. Pax Britannica bezieht sich aber auch auf die lange Friedensperiode, die in Europa nach den Napoleonischen Kriegen einsetzte. Der lange Frieden in Europa wurde lediglich unterbrochen durch den Krim-Krieg (1853–1856) und die deutschen und italienischen Einigungskriege, die zum Teil zu internationalen Kriegen wurden. Dieses Jahrhundert verzeichnet sehr viel weniger Kriege als die Epoche davor. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man sich die fundamentalen Veränderungen ansieht, die die internationalen Beziehungen in dieser Zeit prägten.
Pax Britannica
Pax Britannica (Britischer Friede) bezeichnet die britische HegemonieHegemonie zwischen 1815 und 1919. Der Name drückt eine Analogie zu früheren Großreichen aus, wie der Pax Augusta oder der Pax Romana. Er bezieht sich sowohl auf die spezifischen ideellen Charakteristika der britischen HegemonieHegemonie als auch auf die lange Friedenszeit, die mit der Dominanz Großbritanniens verbunden ist.
Die Ordnung des Wiener KongressKongresses
Für die europäischen Mächte hatte es sich bereits seit längerem eingebürgert, große Kriege durch bedeutende Verträge zu beenden. Beispiele dafür sind der Westfälische FriedeFriede von 1648, der den Dreißigjährigen Krieg beendete, oder der Frieden von Utrecht 1713, der den Spanischen Erbfolgekrieg beendete. Diese großen FriedensverträgeGroße Friedensverträge als Ordnungsinstrumente regelten nicht nur den Umgang mit den Kriegsverlierern, sondern wurden auch als Verträge verstanden, in denen die Beziehungen zwischen den Staaten für kommende Generationen geregelt wurden. Die größere Bedeutung lag also darin, dass es um die Aushandlung von Prinzipien, Normen, Regeln und Verfahren für eine Friedensordnung und dadurch um Friedenssicherung ging (Murray/Lacey 2009; Ikenberry 2014).
Der Wiener KongressWiener Kongress selbst dauerte fast ein Jahr und an ihm nahm alles Teil, was in Europa Rang und Namen hatte. Die Teilnehmer des Kongresses – die Repräsentanten von rund 200 Staaten in ganz Europa, darunter Außenminister Fürst Metternich für Österreich, der russische Zar Alexander, Preußens Friedrich Wilhelm III. und der britische Gesandte Lord Castlereagh – hatten eine gewaltige Aufgabe zu bewältigen, die vor allem mit den längerfristigen Effekten der Herrschaft Napoleons zu tun hatte. Dabei ging es hauptsächlich um die Wiederherstellung (Restauration) des Gleichgewichts der europäischen Mächte vor 1792, und damit um eine Friedenssicherung. Diese hatte verschiedene Komponenten, die wichtigsten waren die Eindämmung und die Kontrolle Frankreichs, aber es wurden auch wichtige zwischenstaatliche Prinzipien etabliert.
Das Wiener-Kongress-System
… beinhaltet in einem engeren Sinne die Wiener Kongressakte als einen Vertrag zur Eindämmung Frankreichs durch eine territoriale NeuordnungTerritoriale Neuordnung Europas nach den Napoleonischen Kriegen. Damit verbunden waren bedeutende Gebietsverschiebungen und die Schaffung neuer Staaten zum Schutz gegen eine erneute Expansion Frankreichs.
… etabliert ein Kontrollorgan in Form einer Botschafterkonferenz der vier SiegermächteBotschafterkonferenz der vier Siegermächte mit dem Ziel der vorübergehenden außenpolitischen und militärischen Überwachung FrankreichsAußenpolitische Überwachung Frankreichs als ehemaligem Friedensstörer.
… etabliert mit dem Wiener Kongress das erste kollektive Entscheidungsgremium in Europa bzw. eine Institution zur FriedenssicherungFriedenssicherung mit den Zielen der Wahrung des politischen Gleichgewichts unter den Großmächten, unter anderem durch die Festlegung auf Prinzipien der monarchischen Legitimität und Solidarität, womit vor allem die Unterstützung für revolutionäre Ideen und Bewegungen in Mitgliedsstaaten geächtet werden sollte.
… etabliert ein Entscheidungsgremium der fünf mächtigsten Staaten, die für andere kollektiv bindende Entscheidungen treffen.
Eindämmung Frankreichs durch territoriale Neuordnung: Die Wiener Kongressmächte verfolgten das Ziel der Eindämmung Frankreichs. Daran ist an sich nichts Ungewöhnliches. Aus heutiger Perspektive ist daran nur überraschend, wie Eindämmung funktionierte: Über eine wohl abgewogene territoriale Umorganisation der umliegenden Staaten, die durch Kompensation durch andere Territorien in Europa ausgeglichen wurde und die damit sowohl territoriale als auch politische Konsequenzen hatte (vgl. Tabelle 1.1). Frankreich sollte durch einen Kranz von Staaten um Frankreich herum eingedämmt werden. Diese Staaten wurden durch territoriale Vergrößerung nicht unerheblich aufgewertet. Dazu gehörten das Königreich der Niederlande, Preußen durch den Zugewinn der Rheinlande, die neugeschaffene СКАЧАТЬ