Grundeinkommen von A bis Z. Christian Müller
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Название: Grundeinkommen von A bis Z

Автор: Christian Müller

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

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isbn: 9783038550587

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СКАЧАТЬ Grundeinkommen einfach durchwinken lassen, gibt es nicht. Es ist eine Idee auf dem Weg. Es bringt frischen Wind in die Fragen unserer Zeit. In alte und neue. In diesem kleinen Lexikon werden Fragen und Schwerpunkte aufgegriffen, Möglichkeiten und Hintergründe gezeigt. Doch die Antworten auf das bedingungslose Grundeinkommen liegen bei jedem Einzelnen.

      Anreize

      Das bedingungslose Grundeinkommen setzt falsche ­Anreize, heißt es oft. Und zwar den Anreiz, kein Geld zu verdienen. Weil man schon ein Grundeinkommen hat. Kein Geld zu verdienen wird gleichgesetzt damit, nicht zu arbeiten. Ein bedingungsloses Einkommen, heißt es, setzt also den Anreiz, nicht zu arbeiten. Doch das bedingungslose Grundeinkommen ist kein Preis für die Arbeit. Die mathematischen Formeln der Spieltheorie – Kooperation nur, wenn es den eigenen egoistischen Zwecken dient – stößt beim Thema Arbeit an Grenzen.

      Preise sind als Anreize das wichtigste Steuerelement für menschliches Verhalten. Das ist die ökonomische Denkweise. Ein Einkommen ist ein Preis für Arbeit, und für diesen Preis tun Menschen etwas. Ohne Preis kein Fleiß: So könnte man das Sprichwort drehen. Wo kein Verdienst ist, da tun Menschen nichts. Der Preis bestimmt, ob Menschen etwas tun oder nicht.

      Ein bedingungsloses Einkommen ist ein Verdienst, für den man nichts tun muss, man bekommt ihn einfach so. Damit widerspricht das bedingungslose Einkommen der Reizwirkung anderer Einkommen, weil es im System der Anreize auftritt als Preis ohne Gegenleistung. Darum heißt es, es würde den Wert der Arbeit schmälern. Weil Arbeit gleichgesetzt wird mit Tätigkeit für einen Preis. In diesem System wäre das bedingungslose Einkommen folgerichtig ein Negativanreiz. Ein Anreiz, nichts zu tun.

      Die klassische Ökonomie baut auf das Anreizsystem. Laut Definition ist das Anreizsystem die Summe aller bewusst gestalteten Bedingungen, mit denen auf die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter einzuwirken ist.

      Mit Anreizen sind immer äußere Anreize gemeint, in der Regel Geld. Also nicht Anreize, die in einer Sache selbst liegen wie Sinn, Schönheit oder eine Erfahrung, etwa das Erlebnis, anderen helfen zu können. Die Anreize im Modell der klassischen Ökonomie setzen immer auf den Egoismus. Der Egoismus ist der eigentliche Antrieb, und der Egoismus wird reduziert auf das Ziel, Geld zu verdienen. Darum heißt es auch, dass der Sinn eines Unternehmens der Profit sei. Also nicht, et­was zu tun, was anderen das Leben erleichtert und ihre Möglichkeiten erweitert.

      Mit Anreizen arbeiten die Werbung, die Boni, die Partner­vermittlung, die Tourismusbranche, auch Bildung und Erziehung. Anreize sind aus dem Leben nicht wegzudenken, unsere Sinnesorganisation ist darauf angelegt. Anreize bringen ja auch etwas Schönes in die Welt. Die Farben und Düfte der Blumen sind Anreize für Insekten. Bei Tieren wirken Anreize instinktiv. Um dieses allgemeine Thema der Anreize soll es hier nicht gehen. Auch nicht darum, dass Bezahlung und Ehre Anreize sein können. Sondern um das Anreizsystem in seiner mathematischen Form der Ökonomie, die sich mit Wirtschaft gleichsetzt. Mit dem Egoismus als Grundannahme organisiert sie die Berechenbarkeit in einem postulierten Krieg von «jedem gegen jeden».

      In seinem Buch «Ego: Das Spiel des Lebens», beschreibt Frank Schirrmacher, bis 2014 Mitherausgeber der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», wie sich diese Theorie der Ökonomie entwickelt hat. In der frühen Zeit des Kalten Krieges saßen die Soldaten vor ihren Radarschirmen und beobachteten ununterbrochen, ob irgendwo ein Objekt auftaucht, das auf einen feindlichen Atomangriff hinweisen könnte. Dieses Spähen nach winzigsten Anzeichen im Bewusstsein der ungeheuren realen Gefahr war nicht auszuhalten. Die Soldaten wurden paranoid und kippten um, wenn sie vom Stuhl aufstanden. Die Lösung des Problems war: Es darf nicht als echt aufgefasst werden. Es muss wie ein Spiel sein: Auf dem Bildschirm sieht man einen Pokerspieler, der blufft, täuscht, der wie man selbst das beste Blatt in der Hand haben will und einen zu Fehlern verführt. Und man selbst ist für den anderen auch so ein Pokerspieler auf dem Radar. Die Prämisse für das Verhalten im Kalten Krieg lautete: Ich suche immer und absolut den eigenen Vorteil. Ich täusche, und das Spiel ist immer verdeckt. Ich weiß, dass der Gegner es genauso macht und dass er weiß, dass ich es so mache. Keiner tut je etwas anderes als das, was ihm Vorteile bringt. Dem anderen lasse ich einen Vorteil nur, wenn mir selbst daraus ein Vorteil erwächst.

      Das freundliche Wort dafür ist: Spieltheorie. Und die Spieltheorie ist ein Fach der Ökonomie geworden. «Geistlose Zielgerichtetheit» nannte der Spieltheoretiker John Maynard Smith (1920–2004) das. Das Nash-Equilibrium des Mathe­ma­tikers John Forbes Nash (1928–2015) hat die Spieltheorie als Verhaltensmuster für die Ökonomie etabliert. John Nashs Postulat war: Ich muss vom Schlimmstmöglichen ausgehen – für die anderen wie für mich –, um zu einer rationalen Lösung zu kommen. Ich muss davon ausgehen, dass jeder unbeirrbar seinen Vorteil verfolgt, und ich muss die Vorteile aller im Auge haben, um meinen zu optimieren. Nash setzte seine Erkenntnis, dass der Mensch ein «rationaler Egoist» sei, in mathematische Gleichungen um, die alles Verhalten unter dieser Voraussetzung berechenbar machen.

      «Die Spieltheorie ist viel geeigneter für Automaten als für Menschen», so Nir Vulkan, einer der Vordenker der elektronischen Märkte.

      «Denn nur, wenn man als Prämisse akzeptiert, dass jeder nur aus Eigennutz handelt, kann man die ganze Komplexität menschlichen Verhaltens in die Sprache der Mathematik übersetzen», so Schirrmacher. Die Ökonomie denkt seither den Menschen als diese mathematische Abstraktion, als sei es dessen wahre Natur. Die Folge ist, «dass diese Theorie nicht nur Handeln beschreibt, sondern Handeln erzwingt. (…) Sie postuliert nicht nur Egoisten, sie produziert sie», schrieb Frank Schirrmacher. Die Theorie wurde mit der Wirklichkeit verwechselt und schaffte ab da selber Wirklichkeit. Die Spiel­figur des Kalten Krieges und die Theorie vom rationalen Egoisten wurden zum Alter Ego, welches den Menschen vorgesetzt und in das sie hineingezogen wurden. Die Computersimulation steht plötzlich da als Ur- und Vorbild für den Menschen.

      Es geht nicht nur darum, wie Ökonomen Menschen in ihren Systemen denken. Sondern es geht darum, wie weit man selber sich so denkt. Und wie sehr denkt man andere so?

      Die Frage tritt beim bedingungslosen Grundeinkommen auf. Es tritt bei vielen Diskussionen zutage, dass die Gleichsetzung des Menschen mit dem Homo oeconomicus Allgemeingut geworden ist. Das bedingungslose Grundeinkommen ist kein beiläufiger Vorschlag zu einer anderen Einkommensordnung, sondern wirft die Frage nach dem Menschen auf. Der Mensch wird zu dem, als was er sich zu denken vermag. Und er macht andere zu dem, als was er sie denkt.

      «Dass man nur ist, was man tut, und dass man nur tut, wofür es einen Markt gibt, und dass es nur einen Markt gibt für das, wofür man bezahlt wird, ist das Mantra der neuen Identität», so Schirrmacher. «Die Moderne hatte – mit Sigmund Freud & Co. und mit wachsenden moralischen Widersprüchen des kapitalistischen Systems – das ‹Ich› aufgelöst.» Vernünftig zu denken heißt in dem System der Ökonomie: «Lerne so zu denken und zu handeln, dass du immer nur von dem Eigeninteresse aller ausgehst.» Die Spielfigur, die anstelle dessen, was ein Mensch ist, zum Ego-Prinzip für alles geworden ist, nennt Frank Schirrmacher «Nummer 2». «Zu den ‹Charaktereigenschaften› von Nummer 2, Egoismus und Profitmaximierung, kommt noch eine dritte hinzu: die pure Angst. Sie entspringt einer Logik, die im Kalten Krieg wieder und wieder durchgespielt wurde: Vernünftiges Verhalten des Gegners entsteht nicht durch vernünftige Argumente, sondern durch Drohungen und Angst vor Vernichtung.»

      Wenn die Erwerbsarbeit ideologisch hochgehalten wird in der Art, wie Schirrmacher es beschreibt, dann wird ein Wert der Arbeit hochgehalten gegen die Freiheit der menschlichen Arbeit. Was in diesem Hochhalten der Anreize als Eigenverantwortung bezeichnet wird, ist «Nummer 2».

      Die lateinische Phrase «Do ut des» stammt aus der Rechtsprechung und bedeutet: Ich gebe, damit du gibst. Es ist eine Rechtsformel für gegenseitige Verträge. Wenn dies zur grundsätzlichen Strategie sozialen Verhaltens wird, ergibt sich das Dogma der Gegenleistung, Leistung nur gegen Leistung. Was in einigen Fällen seine Berechtigung hat, wird dann auf alles angewendet. Und jeder ist Teil davon. Wir СКАЧАТЬ