Dada. Friedrich Glauser
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Название: Dada

Автор: Friedrich Glauser

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

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isbn: 9783857919312

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СКАЧАТЬ Und der Lehrer merkte dies, denn obwohl er überzeugter Sozialist war, wagte er es nicht, seinen Vortrag mit einem Panegyrikum auf die Sozialdemokratie zu schließen. Er verherrlichte die Abstinenz, deren Wegbereiter die zielbewusste Arbeiterschaft sei. Nun gut, da konnten wir aus Höflichkeit folgen. Wir waren ihm ja alle in einen abstinenten Jugendbund gefolgt, mit viel geistigem Vorbehalt, aber wir waren ihm gefolgt.

      Sie werden fragen, ob wirklich ein so großer Unterschied besteht zwischen der heutigen Generation und der unsern. Gewiss, der Unterschied war da. Für wen wurden damals die Landerziehungsheime gegründet? Für (wie man heute sagen würde) die schwererziehbaren Kinder des wohlhabenden Mittelstandes. Aber ein Trugschluss lief mit unter: Gewiss, wertvolle Menschen sind in der Jugend manchmal die störrischsten, die am schwersten zu leitenden. Aber das Reziproke braucht nicht wahr zu sein. Nicht jeder Schwererziehbare ist ein Genie oder ein Talent. Setzen Sie Unkraut ins Treibhaus, es wird wachsen und gedeihen – aber es wird keine Orchidee daraus, sondern eben nur Katzenschwanz. Die Milieutheorie, nach der die Umwelt, in der ein Mensch aufwächst, bestimmenden Einfluss auf seinen Charakter ausübt, hat mir von jeher Misstrauen eingeflößt. Und die Landerziehungsheime trieben Individualpädagogik, sie trieben sie mit einer derartigen Begeisterung, dass ein Fehlschlag nicht ausbleiben konnte. Denn schließlich ist und bleibt der Mensch doch ein Herdentier und hat sich als solches der Herde anzupassen. Einzelgänger werden geächtet, verfolgt, bei den Elefanten genau wie bei den Menschen. Aber wir wurden eigentlich zu Einzelgängern erzogen, jeder von uns hatte seine dilettantische Marotte, der eine Chemie, der andere Literatur, der dritte Fußball. Kameradschaft – ja. Man wollte uns zur Kameradschaft erziehen; aber über ein Zweigespann gedieh diese Kameradschaft nie. Auch die Gründung eines Vereins ehemaliger Schüler des «Heims» half über diese Tatsache nicht hinweg.

      Die Psychoanalyse hat ein schönes Wort entdeckt und braucht es oft: Anpassung an die Realität. Nun, Anpassung an die Realität lernten wir wenig. Die englischen Colleges, von denen ich zu Anfang sprach und deren kontinentale Ableger die Landerziehungsheime waren, haben etwas vor unsern Schulen voraus: die Erziehung zum Gentleman, zur Fairness. Es ist dies ein (grob ausgedrückt) Unterdrücken privater Hysterien, ein Erlernen gewisser Höflichkeitsformen, einer gesellschaftlichen Kultur, die es dem einzelnen gestattet, seine Privatmeinungen, seine Individualität beizubehalten, aber sie für sich zu behalten und nicht alle und jedermann damit beglücken zu wollen. Die Engländer, man möge gegen sie einwenden, was man will, haben in dieser Beziehung entschieden einen Vorteil über uns. Man sehe nur ihre Politik! Wir alle aus unserer individualistischen Generation haben schwer umlernen müssen. Bei manchen hat es Jahre gebraucht, manche, die wendiger waren, haben es schneller gelernt. Man muss ja auch zugeben, dass eine schwere Zeit folgte, eine Zeit, der wir nicht gewachsen waren. Und in dieser Beziehung, Rücksichtnahme auf die Individualität des einzelnen, Überschätzung der Atmosphäre des Schulstaates, so als sei diese gleichzusetzen mit der Atmosphäre der menschlichen Gesellschaft, in dieser Beziehung scheinen mir die Landerziehungsheime, wie sie damals waren, ein pädagogischer Fehler gewesen zu sein.

      Noch ein großer Unterschied scheint mir zwischen der heutigen jungen Generation und unserer damaligen zu bestehen: Wir sind eigentlich dem Zauber der großen Schlagworte nie erlegen, sie amüsierten uns, aber wir rochen die Lüge, die in ihnen steckte. Heute? Denken Sie an die Fronten und Fröntlein, an die Jungbünde und -bündlein. Glauben Sie, dass da überall Überzeugungen dahinterstecken? Vielleicht, ich will niemanden verdächtigen. Zusammenschluss, Sich-die-Ellbogen-Fühlen, ist vielleicht etwas Schönes, und wenn es nicht etwas Schönes ist, so doch sicher etwas Bequemes. Gewiss, die Entwicklung unserer Zivilisation drängt zur Wirkung der Masse, die Masse wird etwas zu sagen haben – aber sagt die Masse etwas? Die Masse sagt, was die Führer wollen. Von uns ist keiner ein Führer geworden, doch, einer, und dessen Geschichte ist so lustig, dass ich sie noch erzählen will.

      Wir hatten einen Balten, einen kleinen kurzsichtigen Menschen mit großen Brillengläsern, Feo nannten wir ihn. Er war zwei Klassen unter uns, aber von einer so penetranten Klugheit, dass wir ihn duldeten. Wegen irgendeines Skandals wurde er aus dem «Heim» entfernt. Er stammte aus der Umgebung von Riga. Letzthin erzählte mir ein Bekannter folgendes: Nach dem Zusammenbruch des zaristischen Regimes flüchtete ein baltischer Baron, kleiner Leutnant von der Garde, Ungern-Sternberg, Baron, nach der Mongolei. Dort gelang es ihm, einige Stämme unter seine Herrschaft zu bringen, er wurde oberster Kriegsgott, ja Kriegsgott (nur Balten können auf so wunderbare Ideen kommen). Er herrschte nicht besser und nicht schlechter als sonst ein Gott, und sein Hauptpläsier war es, die Herren vom Hammer und der Sichel ein wenig anzuöden. Bis sich diese aufrafften und den obersten Kriegsgott der Mongolen ganz prosaisch erschossen. Nun, in der Begleitung dieses Ungern-Sternberg befand sich ein kleiner Mann, Feodossieff soll er geheißen haben, der die Funktionen eines Oberpriesters innegehabt haben soll. War es unser Feodossieff? Wenn er’s gewesen ist, so hat er wohl das schlagendste Beispiel für den Einzelgänger gebracht, den Einzelgänger, der sich höchstens zu einer Kameradschaft zu zweit aufschwingen kann. Und hat damit den Beweis erbracht, dass die Individualpädagogik der Landerziehungsheime doch fruchtbar gewesen ist, wenn die Frucht auch reichlich merkwürdig ausgefallen ist.

       1933

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