Der Hellseherkorporal. Friedrich Glauser
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Название: Der Hellseherkorporal

Автор: Friedrich Glauser

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783857919619

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СКАЧАТЬ Soldat. Man schläft und lebt mit der Truppe. Wenn die Leute auf dem Marsch schlecht aufgelegt sind, so kann man lange kommandieren, sie folgen doch nicht und lachen einen aus. Auch der Capitaine Chabert lachte uns Korporäle aus, wenn wir uns beklagen kamen, man wolle uns nicht gehorchen. «Zieh deinen Kittel aus», sagte er zu uns, «wenn du Angst um deine Schnüre hast. Und dann prügle dich, bis sie dir folgen.» Ich muss zwar sagen, dass ich mich weder geprügelt noch beklagt habe. Ich habe eben einfach mitgeholfen und auf meine Schnüre gepfiffen. So ging es eigentlich ganz gut, und ich habe nur einmal einen Stich bekommen, weil ich zwei Leute trennen wollte, die aufeinander mit den Messern losgingen. Es war Streit ausgebrochen bei einem Kartenspiel, und die beiden, es waren ein Russe und ein Italiener, waren nicht ganz einig. Ich habe es nicht aus Tapferkeit getan, sondern weil ich Zimmerchef war und für Ordnung sorgen musste. Dem Russen hat es dann leid getan, dass er mich getroffen hat. Er sagte immer: «Nicht dich ich hab wollen, Caporal!» Die Russen sangen. Ihr habt sicher die Donkosaken einmal gehört, im Radio wahrscheinlich oder auf einem Grammophon. Vielleicht habt ihr gefunden, dass diese Lieder schön sind. Aber ihr könnt euch sicher nicht vorstellen, wie sie dort unten im kleinen Posten geklungen haben.

      Der Mond ist dort sehr groß und weiß, und sein Licht legt sich über die Ebene, über die Wellblechdächer, über die Mauern und über die Erde wie dicke geronnene Milch. Man glaubt, man könne das Licht greifen. Und an solchen Abenden sangen die Russen. Es begann tief und traurig, im Chor, und von dem brummenden Bass löste sich nach und nach eine sehr helle Stimme ab, welche die Melodie übernahm, und im Bass begleitete sie weiter der Chor. Die Lieder fügten sich ein in den stillen Abend, der hoch und einsam war, ein kleiner Wind, der von den Bergen kam, nahm die Lieder mit fort in die Ebene und zerstreute sie. Das Stampfen der Maultiere in ihrem Pferch war zu hören und dazwischen das feuchte Weinen eines Lammes. Die Lieder waren wie ein Traum, und sie sangen von den Pferden, von den verlassenen Bergen und von der Heimat. Die Russen waren fast alle Kosaken gewesen. Die große Ebene, die kahl bis an die Berge reichte, erinnerte sie wohl an Russland …

      Es war einer unter ihnen, mit dem ich oft gesprochen habe. Er hieß Vanagass, wenigstens nannte er sich so, und er ist der einzige gewesen, dem ich wirklich geglaubt habe, dass er etwas anderes gewesen ist. Auch die andern, besonders die Deutschen, blagierten viel. Sie waren alle Grafen oder Barone gewesen, dabei waren sie unwissend; dieser Vanagass erzählte mir einmal, dass er Fürsprech in Odessa gewesen sei. An einem Morgen sei er über die Straße gegangen, um sich rasieren zu lassen, und als er wieder zurückwollte, war sein Haus von den roten Truppen besetzt. Er musste fliehen. Am Hafen fand er ein Detachement der Legion und schloss sich an. Er brachte es dann zum Sergeanten, zum Wachtmeister. Wir haben viel miteinander gesprochen, er war sehr gelehrt und hatte viel gelesen. Als mich der Hauptmann vors Kriegsgericht schicken wollte (es fehlte allerlei in der Verwaltung, aber ich hatte sie mit allen Fehlbeständen übernommen und sollte nun dafür haften), hat mir Vanagass geholfen. Er war wirklich ein ausgezeichneter Fürsprech, und der Hauptmann ließ sich denn auch umstimmen. Sonst wäre ich wahrscheinlich dort unten geblieben.

      Ihr wisst ja, dass es jetzt streng verboten ist, in die Fremdenlegion einzutreten. Ob dieses Verbot einen großen Sinn hat, möchte ich bezweifeln. Übrigens ist es ja gar nicht so leicht mehr hineinzukommen. Schon 1921, als ich in Straßburg engagierte, wurden viele, die sich gemeldet hatten, zurückgeschickt. Die Legion hat genug Leute. Soviel ich weiß, ist sie jetzt auf vier Regimenter angewachsen, und ein fünftes, ein Kavallerieregiment, wird auch noch gebildet. Die Geschichte mit Werbern, die Leute betrunken machen, um sie zum Unterschreiben zu bringen, ist glatt erlogen. Das gibt es jetzt nicht mehr.

      Ich muss euch offen sagen, dass ich die zwei Jahre, die ich in der Legion gedient habe, nicht aus meinem Leben streichen möchte. Ich habe viel gelernt. Ich habe Menschen gesehen und ein Land, das schön ist, weil es so streng ist und hart und weil die Leute, die es bewohnen, uns so gar nicht gleichen. Sie sind stiller, stolzer, kindlicher. Ich habe mich oft gefragt, ob es wirklich nötig sei, ihnen unsere sogenannte Zivilisation zu bringen. Sie sind viel glücklicher, so, wie sie sind, genügsam, mit wenigem zufrieden, und wenn sie sich auch bekriegt haben, so haben sie dies auf eine männliche Art getan, ohne Giftgasbomben, Schrapnells und Flammenwerfer, wie wir das gerne tun, wir Europäer.

      Ich denke oft zurück an die weiten Ebenen und an die hohen Nächte. Aber ich sehe auch die kleinen Cafés mit ihren Steinbänken längs der Wände, wo man süßen Tee und dicken Kaffee trank und dazu Küchli aß, die zäh waren wie Gummi und an den Zähnen kleben blieben. Ich rieche noch oft, im Traum, den Geruch des wilden Thymians, der in der Mittagssonne duftete, und ich sehe Gazellenrudel, ganz in der Ferne, vor den roten Bergen, vorüberhuschen. Und ich denke an den Winter und an seine kalten Nächte im Zelt, wo man unter sechs Decken, eng aneinandergepresst, noch fror, und an die Morgen, an denen man mit Pickeln das Eis des Flüsschens aufschlagen musste, um Wasser zu holen. Und den großen Kalkofen sehe ich, in dem wir die Kalksteine für den Posten brannten und vor dessen Feueröffnung wir am Abend saßen und sangen …

      Ich möchte euch noch einmal wiederholen: Es ist nicht schön dort, oder vielmehr ist die Sache so, dass alles seine zwei Seiten hat. Ich habe vielleicht das Glück gehabt, eine nicht zu schauerliche Seite der Legion zu erleben, ich habe nicht fünf Jahre zu machen brauchen, weil ich dienstuntauglich wurde. Vielleicht hat das alles mitgewirkt, um meine Erinnerungen so zu gestalten, wie sie jetzt sind; dass ich die harten Märsche vergessen habe, den Hunger und den Durst und dass mir nur die Sehnsucht geblieben ist nach den großen Weiten, über die ich tagelang geritten bin …

      Seppl

      Als der alte Kainz, ein Wiener, der nicht mehr gut marschieren konnte, wegen Herzschwäche in die Küche versetzt wurde, hielt er mir eine kleine Rede. Er sagte, ich solle den Seppl gut behandeln, es sei kein Tier wie ein anderes, bockig sei er ja schon manchmal, wie alle Maulesel, aber das Bockigsein habe immer seinen Grund. Er tue es nie aus Bosheit, sagte der alte Kainz und zündete eine Pfeife an, sondern es sei immer ein Grund vorhanden, wenn der Seppl dumm tue, entweder sitze der Sattelgurt nicht gut, oder ein Büschel Haare habe sich unter der Satteldecke aufgestellt und drücke ihn, ich müsse eben dann nachschauen, mir Zeit lassen, und Kainz klopfte dem Seppl die grauen Flanken und den glatten Hinterschenkel … Der Seppl schnaufte.

      Ich versprach, mich um den Seppl zu kümmern, und gab ihm ein Stück Brot; das war ein großes Opfer, denn in unserem Posten, Gourrama hieß er und war ganz im Süden von Marokko, war das Brot rar, zeitweise … Seppl nahm das Brot sehr gnädig und zart mit seinen Zähnen, die gelb und vorstehend waren wie bei einer alten Engländerin. Er schnaufte, schnupperte an meinem Ärmel, blies mir seinen warmen Atem in den Hals, dass es mich kitzelte, nieste dann geräuschvoll und klapperte mit seiner Kette.

      Jetzt kenne er mich, und das In-den-Hals-Blasen sei ein Zeichen von Sympathie.

      «Er mog di gern …», sagte der alte Kainz, und seine Stimme war nicht ganz fest. Darum schraubte er seine Pfeife auseinander und blies lange und anhaltend ins Mundstück. Es war verstopft, Tränen traten dem alten Kainz in die Augen, und das war wohl der Zweck des Manövers. Jetzt konnte er seine Tränen ohne Verlegenheit sehen lassen, sie kamen ja vom Pfeifenausblasen.

      Am Morgen gab ich dem Seppl zwei Kilo Gerste, am Mittag eins, am Abend wieder zwei. Wenn wir im Posten waren, ritten wir um elf Uhr ohne Sattel zur Tränke. Die Tränke, das war ein kleiner Fluss, Oued nennt man sie dort unten, eingesäumt von Oleanderbäumen, die im Juni unwahrscheinlich rot blühten.

      Er benahm sich sehr anständig, der Seppl, als ich ihn zum ersten Mal ohne Sattel ritt. Er war kleiner als die anderen Tiere der Kompagnie, seine Mutter war eine Eselin gewesen. Er hatte sehr lange Ohren, der Seppl, und mit ihnen konnte er allerlei Kunststücke ausführen. Er konnte Einhorn spielen, das linke Ohr eng an den Kopf gelegt, so dass man es gar nicht mehr sah, das andere stach vor wie ein Spieß, und dann wandte er sich etwa um, nickte mit seinem vornehmen Engländerinnenkopf und begann einen Galopp. Das Umsehen tat er nur aus Höflichkeit, damit ich nicht etwa hinunterfiele. So kamen wir an die Spitze СКАЧАТЬ