Название: Schreiben
Автор: Niklaus Meienberg
Издательство: Bookwire
Жанр: Социология
isbn: 9783038551614
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Wie hätte Peter Frey diese Abdankungsrede gern gehabt? Ein bisschen sentimental? Oder religiös? Heulen musste ich bei seinem Anblick, einen Tag bevor er starb, der Krebs hatte ihn verwüstet, röchelnd lag er auf dem Sterbebett, schreien hätte ich mögen vor Wut, dass der bescheidene grosse Mann so elend aus der Welt gehen musste und wir jetzt nie mehr etwas von ihm lesen werden, das ist so unerträglich ungerecht. Sein Kopf hat bis vor kurzem gearbeitet wie immer, er hätte doch wohl noch gute zehn Schreib- und Lebensjahre vor sich gehabt. Warum verschwindet er, so kurz nach der Pensionierung? War da nicht vieles noch in seinem Kopf, das heraus wollte? Und das jetzt von seinem Körper sabotiert wurde? Oder war er ausgeschrieben? Seine Art von Schreiben muss mit einer ungeheuren, zehrenden Anstrengung verbunden gewesen sein, wir hatten sein Leben auf dem Papier vor uns, er hatte die Erschöpfung. Noch an der kleinsten Glosse hat er geschuftet wie ein Schriftsteller an einem ganzen Romankapitel. Seine stilistische Eleganz war ein Produkt von Schwerarbeit.
Also, wie hätte er die Abdankung gern gehabt? Vielleicht kommt er gern nochmal zu Wort? Es gibt da einen unveröffentlichten Text von ihm, der handelt von der Macht. Also z.B. von einem befreundeten Bundesrat, der ihn zum Botschafter in Madrid machen wollte und der dann aus seltsamen Gründen jeden Kontakt mit ihm abgebrochen hat. (Es ist nicht Bundesrat Ogi.) Auch der ehemalige Arbeitsplatz kommt vor, zutreffender hat wohl niemand über die Entwicklung des «Tages-Anzeigers» in den letzten zwanzig Jahren geschrieben. Und da ihm diese Zeitung am Herzen lag, er dieses Segment der Gesellschaft am besten kannte, darf man evtl. ein paar unsentimentale Passagen zitieren:
«In den 70er Jahren leitete die Redaktion des ‹Tages-Anzeigers›, in der ich zunächst stellvertretender Chefredaktor und dann Mitglied der Chefredaktion war, mit der Genehmigung der Geschäftsleitung einen Demokratisierungsprozess ein. Die Geschäftsleitung war damals in den Händen von Dr. Otto Coninx, dem Chef der Familie dieses Namens. Ich vergleiche ihn gern mit dem französischen König Ludwig XVI.: ein wenig liberal, ein wenig absolutistisch. Seine liberale Seite erlaubte es der Redaktion, ein fortschrittliches, wenn auch begrenztes Mitbestimmungsmodell zu erarbeiten und in einem Redaktionsstatut festzuschreiben. Um beim Vergleich mit der französischen Geschichte zu bleiben: Es war die revolutionäre Ära der Konstituante und der Legislative. Die absolutistische Seite des Dr. Coninx offenbarte sich aber im statutwidrigen Schreibverbot für den Journalisten N.M. Die Redaktion reagierte nicht gerade mit einer Revolution, es gab auch keine Diktatur der Kommune wie im revolutionären Frankreich. Dr. Coninx wurde nicht enthauptet, aber er nahm bald einmal seinen Rücktritt und überliess die Regierung einer zuerst fünf-, dann vierköpfigen Geschäftsleitung. Diesen Vorgang kann man mit dem Revolutionsstopp des 9. Thermidor in Frankreich vergleichen, der die Bildung eines fünfköpfigen Direktoriums und vier Jahre später eines Konsulats mit beinah diktatorialer Machtfülle zur Folge hatte.
Im ‹Tages-Anzeiger› schwang sich einer der ‹Konsuln›, Rico Hächler, dank seinen Führungsqualitäten geradezu napoleonischen Zuschnitts, zum Ersten Konsul und zum ungekrönten Kaiser des Unternehmens auf. Einer seiner Generale verstand sich nicht mit dem Kaiser: Wie Jean-Baptiste Bernadotte, der sich von Napoleon trennte und zum König von Schweden wurde, trat Peter Studer aus der Geschäftsleitung aus und wurde Chefredaktor beim Fernsehen drs.»
Diesen letzten Artikel seines Lebens hat er als Vorwort für ein Buch konzipiert, das eine Kollektion seiner ausgewählten Arbeiten einleiten soll. Am Schluss des Vorworts nimmt er die Anekdote von den schwimmenden politischen Gipsköpfen im Halensee wieder auf, die ich anfangs zitiert habe. Nochmals P.F.:
«Gamma due: Im Zivilschutz signalisiert dieser griechisch-italienische Ausdruck das Ende eines Alarms. Für mich ist Ende Alarm, deshalb gab ich diesem Buch den Titel Gamma due. Ich bin aus dem Bannkreis der Macht getreten. Die Texte, die hier versammelt sind, verweisen auf eine Welt, die von Macht durchdrungen ist. Sie wurden geschrieben zu einer Zeit, da ich Macht erduldete und (widerwillig) ausübte. Diese Zeit ist vorüber. Ich bringe die hohlen Gipsköpfe meines Lebens zur Explosion.»
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