About Shame. Laura Späth
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Название: About Shame

Автор: Laura Späth

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

Серия:

isbn: 9783948819514

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СКАЧАТЬ Und damit die Statusansprüche der Gruppe erhalten bleiben, damit jene Macht nicht infrage steht, muss klar sein, dass das Außen minderwertig ist.

      Im Begriff des »Mobbings« steckt dein Opferstatus immer schon mit drin. Opfer werden gemobbt. Mobbing transportiert die Demütigung, die du erfahren hast, die Gewalt der Gruppe, den Mob, der dich schikaniert, deine Unterlegenheit gegenüber den anderen, die in der Mehrzahl sind. Es bedeutet, dass dich nicht nur eine Person nicht mag, sondern viele. Dass dein Existenzrecht von mehreren Menschen infrage gestellt wird. Dass du für viele ein Niemand bist. Dass du Opfer eines Kollektivs geworden bist.

      Solche Erfahrungen im Kindesalter und in der Jugend werden oft bagatellisiert – es »gehöre dazu«, mache jemanden »stärker« oder »widerstandsfähiger«, und: »So sind Kinder nun einmal«. Michael Schulte-Markwort betont, dass es für Kinder keinen Grund gebe andere zu quälen, wenn sie psychisch ausgeglichen wären und keine eigenen Leiderfahrungen zu verarbeiten hätten.25 Zugleich sind die Folgen für die Betroffenen massiv. Suizidgedanken oder Tabletten- und Alkoholmissbrauch sind nur wenige der möglichen Konsequenzen, die sich im unmittelbaren Verhalten, aber auch im späteren Leben durch psychische Erkrankungen äußern können.26

      Ich will kein passives Opfer gewesen sein. Ich sage »Ausgrenzung«, um die Grenze endlich mal zu wahren. Um klarzumachen, dass sie die Grenze gezogen haben, die mich von ihnen isoliert hat. Vielleicht ist das mein heutiger Versuch, so zu tun, als hätte ich noch körperliche und geistige Integrität besessen, obwohl ich genau das war, zu dem sie mich gemacht hatten: ein Opfer. Ein wehrloses, machtloses Opfer. Das sich angebiedert hat und passen wollte, in das enge Korsett jugendlicher und weiblicher Identität, das mich vor einer Art der Gewalt geschützt hätte, während es andere Gewalt befördert.

      Wenn eines der Mädchen aus dem Handballverein und ich zu zweit sind, verhält es sich mir gegenüber freundlich. Wir lachen gemeinsam, wir unterhalten uns viel, es wirkt so, als wären wir Freundinnen. Ich verstehe nicht, dass wir nur Freundinnen sind, wenn uns dabei niemand sieht. Sie lädt mich zu den Treffen mit den anderen Mädchen ein, abseits des Trainings. Sie verabreden sich regelmäßig und laden mich in ihre Welt ein. In ihre Welt, in der Mädchenfreundinnenschaften, ja sogar Mädchengangs existieren, in der sogar Jungs vorkommen. Und ich soll plötzlich Teil davon sein dürfen.

      Aber ich weiß um meinen bisherigen Platz, meinen bisherigen Status, daher frage ich mehrmals nach. Ich erinnere mich noch an diese Fragen: »Ist es sicher in Ordnung, wenn ich mitkomme?«, »Wollt ihr wirklich, dass ich Freitagnachmittag dabei bin?« Immer und immer wieder frage ich, weil ich nicht glauben kann, dass diese Mädchen Zeit mit mir verbringen wollen. Vielleicht ist genau das der Fehler? Schon im Vorhinein zu kommunizieren, dass man sich nicht zugehörig fühlt, dass man auf die Erlaubnis einzutreten wartet?

      Mein Bauchgefühl warnt mich, aber ich ignoriere es. Vielleicht warnt es mich auch, weil diese Mädchen bereits junge Frauen sind, während ich mich fühle wie ein Kind. Ich weiß doch um die Situationen im Training, bei denen ich dieses eindringliche Gefühl habe, unerwünscht zu sein.

      Kurz vor den Sommerferien im Jahr 2009 komme ich mit zu einem der Freitagnachmittag-Events. Es stellt sich heraus, dass man dabei eigentlich nichts macht, außer Insider auszutauschen. Diese unangenehme »Abseits«-Position, in der ich mich in meinem Leben häufig wähne, fühlt sich immer wieder so an, wie jener Nachmittag. Auf der einen Seite die Mädchen, die Späße machen, absolut sicher in ihrer Zugehörigkeit. Und ich, allein, auf der anderen Seite. Ignoriert, abgehängt, ausgegrenzt. An diesem Nachmittag werden alle Zeug*innen davon, dass ich anders bin. In den ersten Minuten versuche ich noch teilzuhaben, merke aber relativ schnell: Hier ist kein Platz für mich. Obwohl alles, was ich will, ist, zu dieser Gruppe zu gehören.

      Manchmal kommt dieses Bild wieder, wie ich auf der Mauer sitze und den anderen zusehe. Wenn ich heute mit anderen unterwegs bin, versuche ich immer noch, dieses Bild nicht abzugeben. Weil ich panische Angst davor habe, diese Scham wieder fühlen zu müssen. Laufe ich heute eine Straße mit Freund*innen entlang, gehe ich ungern außen, aus genau diesem Grund. Es sind diese winzigen Details und ich bin mir unsicher, ob sie in den Köpfen anderer eine genauso große Rolle spielen wie in meinem. Aber ich denke genau solche Kleinigkeiten immer mit.

      Mit einem der Mädchen teile ich mir meinen Heimweg. Es ermutigt mich aus einem mir absolut unerfindlichen Grund, Anfang der Sommerferien mit in ein Trainingslager zu fahren, bei dem ich noch nie dabei war. Ich lasse es geschehen. Fahre mit. Weil mich vielleicht ein Restglaube oder ein kleines Stück Hoffnung dazu bewegt und ich denke: »Vielleicht nach diesem Trainingslager. Danach, bestimmt werden sie dich danach akzeptieren.«

      Wenn ich heute Menschen frage, wann Scham sie gerettet hat, denke ich an diese Situation. Scham war damals sicherlich in mir vorhanden. Vielleicht habe ich sie zu der Zeit verdrängt oder einfach nicht auf sie gehört. Gesetzt den Fall, ich hätte ihr Raum gegeben: Hätte mich das gerettet? Hätte die Scham dafür gesorgt, dass ich den Mädchen nicht glaube, als sie sagen, dass sie mich dabeihaben wollen? Hätte mich meine Scham vor der Ausgrenzung bewahrt, weil sie mich zur Flucht getrieben hätte? Oder hätte sie mich doch nur realisieren lassen, was passieren könnte, ohne dass ich handlungsfähig gewesen wäre? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass der Scham egal ist, ob ihre Ursachen oder Auslöser »moralisch legitim« oder »rational nachvollziehbar« sind. Scham entsteht mitunter dann, wenn dir jemand das Gefühl gibt, dich schämen zu müssen. Und das konnten die Mädchen gut.

      Ich weiß nicht mehr, wie die Busfahrt ins Trainingslager war. Die Erinnerung setzt aus. In meiner Therapie soll ich Bilder zeichnen von den Situationen, an die ich mich noch erinnere. Es sind wenige. Aber ich spreche in der Therapie über die Todesangst, die ich damals habe. Ich habe Angst, zurückgelassen zu werden. Zu sterben, an dem abgelegenen Ort, an dem die anderen Kinder und ich die Tage verbringen.

      Es ist schwierig, dieses Gefühl zu beschreiben, das so intensiv ist und das viele nicht nachvollziehen können: Wieso fühle ich Todesangst, wenn ich doch umgeben bin von einem Haufen Leute, die mich zwar ignorieren, die doch aber keinesfalls böswillig genug wären, um mich sterben zu lassen?

      Damals weiß ich das nicht. Ich träume von meinem Tod, weil ich denke, die anderen hassen mich genug, um mich allein zurückzulassen. Ich kann damals nicht einschätzen, was die anderen tatsächlich denken. Ich fühle nur ihre Ablehnung und ihr Bedürfnis nach Abgrenzung von mir. Was ich wahrnehme, ist das Alleinsein, die Einsamkeit. Und die Angst, die ich in manchen Trainingseinheiten auch vor den Betreuern habe. Vielleicht wollen auch sie mich loswerden? Mittlerweile bin ich mir nicht einmal mehr sicher, ob ich einen Lebenswert habe und ob andere der Ansicht sind, dass ich es verdienen würde, am Leben zu sein.

      Wenn ich darüber so schreibe, will ich mich schon wieder für meine damalige kindliche Naivität geißeln. Aber ich versuche, Verständnis aufzubringen für dieses Mädchen von damals, nach wie vor. Und deshalb ist nicht wichtig, ob das Mädchen es hätte besser wissen können, sondern es ist wichtig, dass es Todesangst gefühlt hat. Und dass ihm diese Angst niemand genommen hat. Dass niemand ihm die Hand gegeben und gesagt hat: »Ich pass auf dich auf, keine Sorge.«

      »Achtungsverlust kann sich hier in eine existenzielle Scham steigern, deren Urbild das ungeliebte und nicht gewollte Kind ist. Das Opfer dieser Existenzialscham ist der sich nutz- und wertlos fühlende Mensch. Dessen Empfindung hat die Psychologin Helen Lynd beschrieben: ›Wir sind Fremde in einer Welt geworden, in der wir dachten, zuhause zu sein. Mit jeder wiederholten Verletzung unseres Vertrauens werden wir wieder zu Kindern gemacht, unsicher über uns selbst in einer feindlichen Welt.‹«27 Dieses ungeliebte und ungewollte Kind. Eine spannende Figur, die sich in der Auseinandersetzung mit bestimmten psychischen Erkrankungen öfters zeigt. Die Gefühle der Fremdheit und Wertlosigkeit tauchen immer wieder im Kontext der Scham auf und steigern sich im Laufe der Schamerfahrung. So lange, bis das ganze Selbst Scham ist. Das ist dann »Existenzialscham«: Man schämt sich dafür, zu existieren. Nicht mehr nur dafür, an einem konkreten Ort zu einer konkreten Zeit, СКАЧАТЬ