Lebendige Seelsorge 3/2021. Verlag Echter
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Название: Lebendige Seelsorge 3/2021

Автор: Verlag Echter

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783429065096

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СКАЧАТЬ Beendigung der ‚passiven‘ Mitgliedschaft führen könnte.

      Dies zeigt der Blick auf andere Länder und deren Finanzierung der Kirchen. Zwar nahm die christliche Bevölkerung in Europa zwischen 1910 und 2010 zu, der Anteil an der Gesamtbevölkerung ging jedoch von 95 auf 76 Prozent zurück, wie eine Studie des PEW Research Center ergab. Detlef Pollack und Gergely Rosta untersuchten anhand der European Values Study die Entwicklung der Religionszugehörigkeit in verschiedenen westeuropäischen Ländern und konnten zeigen, dass diese zwischen 1981 und 2008 rückläufig war. Bemerkenswerterweise lassen ihre länderspezifischen Ergebnisse keinen Zusammenhang zwischen Kirchenmitgliederentwicklung und Finanzierungsform erkennen. Nicht nur in Deutschland ist der Rückgang des Christentums festzustellen. Auch in Ländern ohne Kirchensteuersystem wie Belgien, wo sich die Religionsgemeinschaften vorwiegend aus staatlichen Leistungen und Spenden finanzieren, oder in Großbritannien bei der Church of England, die von Vermögenserträgen und Spenden lebt, ist die Zahl derer, die angegeben haben einer christlichen Kirche anzugehören, stark gesunken.

      Bleibt festzuhalten: Ein Wegfall der Kirchensteuer würde vermutlich den Kirchenaustritt einiger, sich ihrer Mitgliedschaft nicht wirklich bewussten Kirchenmitglieder verhindern, die dann allerdings auch keinen Solidarbeitrag mehr leisten würden. Den Rückgang an institutionalisierter Religiosität, also die bewusste Kirchenmitgliedschaft, würde ein Wegfall vermutlich nicht aufhalten.

       MYTHOS 2: OHNE KIRCHENSTEUER IST KEIN STAAT ZU MACHEN

      Zu einer sachlichen Debatte gehört an dieser Stelle auch die Frage, welche finanziellen Auswirkungen für das Gemeinwesen eine Abschaffung der Kirchensteuer hätte. Regelmäßig wird von kirchlichen Verantwortungsträgern auf die vielen mit Kirchensteuern finanzierten Handlungsfelder hingewiesen, von denen auch die Gesamtgesellschaft erheblich profitiere. Und auch wenn manche Einrichtungen, wie zum Beispiel Kindergärten nur zu Teilen durch kirchliche Mittel und Eigenarbeit finanziert werden, so sei dies ohne Kirchensteuer nicht möglich. Der Staat selbst müsste in diesem Fall die Finanzierungslücke schließen und erhebliche zusätzliche Mittel einsetzen, so die Argumentation.

      Bei einem Wegfall der Kirchensteuer würden die evangelische und katholische Kirche in Deutschland auf rund zwölf Milliarden Euro verzichten müssen: Einnahmen, die auch zur Förderung des Gemeinwesens eingesetzt werden. Hier ist insbesondere die diakonische bzw. caritative Arbeit der Kirchen als Träger von Kindertagesstätten, Sozialstationen, Seniorenheimen, Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen zu nennen. Gemäß des im Grundgesetz verankerten Subsidiaritätsprinzips sollen soziale Aufgaben wenn möglich nicht durch den Staat selbst organisiert, sondern an freie Träger delegiert werden. Die Refinanzierung erfolgt dann durch staatliche Mittel. Die Kirchen – wie auch manche andere freie Träger – leisten aber zusätzlich eigene Finanzierungsanteile, die neben Zuschüssen aus Kirchensteuermitteln auch die kostenfreie Überlassung von Grundstücken und Gebäuden beinhalten kann. Dies wäre ohne Kirchensteuer in dieser Form nicht mehr leistbar.

      Zur Wahrheit gehört allerdings ebenfalls, dass der Staat durch den Wegfall der Kirchensteuer mehr Einkommensteuern vereinnahmen würde: Die Kirchensteuer ist als Sonderausgabe bei der Einkommensteuerveranlagung abziehbar. Würde die Kirchensteuer wegfallen, müssten die bisher steuerzahlenden Kirchenmitglieder höhere Einkommensteuern abführen. Ausgehend von einer durchschnittlichen Kirchensteuerzahlung je kirchensteuerzahlendem Mitglied – das sind nur etwa die Hälfte aller Kirchenmitglieder – in Höhe von 500 Euro pro Jahr ergibt sich eine Einkommensteuerschuld von etwa 6.250 Euro. Damit wäre der weiteren Berechnung ein Grenzsteuersatz – also der Steuersatz mit dem die jeweils nächste Einheit der Steuerbemessungsgrundlage belastet wird – von etwa 32 Prozent zugrunde zu legen. Bei einem Wegfall der Kirchensteuer würde die Bemessungsgrundlage zur Berechnung der Einkommensteuer der steuerzahlenden Kirchenmitglieder um aktuell 12 Milliarden Euro höher ausfallen. Bei einem Grenzsteuersatz von 30 bis 35 Prozent entstünden nach dieser überschlägigen Berechnung für den Staat Mehreinnahmen aus der Einkommensteuer in Höhe von rund 4 Milliarden Euro.

      Aber reichen diese 4 Milliarden Euro aus, um das Engagement der Kirchen zur Förderung des Gemeinwesens auszugleichen? Offensichtlich würde der Staat im Gegenzug die Gebühreneinnahmen aus der Kirchensteuererhebung verlieren, das sind je nach Bundesland zwischen 2 und 4 Prozent des Kirchensteueraufkommens. Aber wie hoch wären die staatlichen Mehrausgaben für bisherige subsidiäre Leistungen an die Kirchen? Welche kirchlichen Aktivitäten würden dem Gemeinwesen fehlen? Zur Beantwortung dieser Fragen müsste eine umfassende Analyse sämtlicher kirchlicher Haushalte mit ihren individuellen Schwerpunktsetzungen erfolgen. Dabei dürfen nicht lediglich die subsidiär mitfinanzierten Bereiche wie Diakonie und Caritas, Kindertagesstätten, Angebote für Kinder, (staatliche) Bildung und Religionsunterricht betrachtet werden. Mit den Kirchensteuereinnahmen werden beispielsweise auch das kulturelle Engagement der Kirchen, die Unterhaltung denkmalgeschützter und ortsbildprägender Gebäude sowie die Lebensbegleitung durch Seelsorgende in besonderen Situationen und vor Ort finanziert. Bei letzterer ist nicht nur an die institutionalisierten Einrichtungen der Telefon- und Notfallseelsorge, der Ehe-, Familien- und Lebensberatung oder an die individuelle Begleitung in Krisen oder bei Trauerfällen zu denken, sondern insbesondere auch an den durch Glauben und Kirche generierten ehrenamtlichen ‚Dienst am Nächsten‘ von vielen Gläubigen.

      Kann dieses Engagement der Kirchen für Staat und Gesellschaft in Geld bemessen werden? Und wenn ja, wie hoch ist der Nutzen? Was, wenn dieses Engagement wegfiele? Die Kirchen müssen sich fragen, ob das nicht immer auf den ersten Blick sichtbare kirchliche Engagement von der Gesellschaft umfassend wahrgenommen wird und wie es gelingen kann, dieses Wahrnehmungsdefizit zu verringern.

       MYTHOS 3: SPENDEN KÖNNEN KIRCHENSTEUERN ERSETZEN

      Ohne Kirchensteuern müssten andere Formen der Kirchenfinanzierung erschlossen oder ausgebaut werden. Angesichts des projizierten Mitglieder- und Kirchensteuerrückgangs wird in beiden Kirchen betont, wie bedeutsam es ist, neue Finanzquellen zu erschließen. Dabei sind neben Vermögenserträgen insbesondere Spenden zu nennen.

      Ein spendenbasiertes Finanzierungssystem nach angelsächsischem Modell sorgt – so die Erfahrungsberichte auf der örtlichen Ebene – für eine institutionalisierte und systematische Mitgliederorientierung und kann auch pastoralen Fortschritt initiieren. Dagegen besteht bei der Kirchensteuer die Gefahr, dass die Verantwortlichen sich auf diese gesicherte Einnahmequelle verlassen, sich quasi darauf ausruhen und dadurch den Blick für die gegenwärtigen und künftigen Bedürfnisse der Mitglieder und pastoralen Bedarfe vor Ort verlieren. Viele Diözesen und Landeskirchen investieren seit Jahren in Fundraising, also die professionelle Bündelung von Aktivitäten, um Menschen für die gemeinsame Verwirklichung eines Vorhabens zu begeistern und dafür Mittel einzuwerben. Das kann die Bestandspflege oder Renovierung der ortsbildprägenden Kirche genauso sein wie die Finanzierung von Stellenanteilen Mitarbeitender in Bereichen, für die ansonsten keine Mittel zur Verfügung stehen würden. Hier sind Kreativität und Entrepreneurship der Haupt- und Ehrenamtlichen gefragt. Pointiert ausgedrückt: Während Kirchensteuern die Kirchen saturieren, würde eine spendenfinanzierte Kirche zu Mitgliederorientierung und Innovation nötigen.

      Was zunächst attraktiv klingt, birgt die Gefahr der Unterfinanzierung. Denn es kann infrage gestellt werden, ob es realistisch ist, durch Spenden das aktuelle Kirchensteueraufkommen im Umfang von 12 Milliarden Euro ersetzen oder zumindest annähernd ausgleichen zu können. Das gesamte Spendenaufkommen in Deutschland lag nach Erhebung des Marktforschungsinstituts GfK in den Jahren 2015 bis 2020 zwischen 5,1 und 5,5 Milliarden Euro. Ein Wegfall der Kirchensteuer würde zunächst einmal ein Volumen von 12 Milliarden Euro freisetzen. Angenommen die Hälfte dieser frei gewordenen Mittel würden gespendet werden, dann würde sich das Spendenaufkommen in Deutschland verdoppeln. Vom nicht gespendeten Teil des Kirchensteueraufkommens würde der Staat – wie bereits ausgeführt – durch Wegfall des Sonderausgabenabzugs profitieren. Wie hoch der Anteil der beiden СКАЧАТЬ