Название: Sterbehilfe
Автор: Katharina Woellert
Издательство: Bookwire
Жанр: Медицина
Серия: utb Profile
isbn: 9783846330067
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Bis ins 19. Jahrhundert hinein begründeten vorrangig religiöse Überzeugungen und kulturelle Muster die moralischen Leitlinien für das ärztliche Handeln. Noch 1834 wird in einem medizinischen Wörterbuch bei der Erörterung des Begriffs Euthanasie festgehalten, dass der Arzt unter keinen Umständen das Leben verkürzen dürfe, ja dass sogar lindernde Medikamente abzusetzen seien, wenn sie zu einer Lebensverkürzung beitragen würden (Schmiedebach 1998).
Mit dem Erstarken der naturwissenschaftlichen und säkularen Perspektive innerhalb der Medizin änderte sich jedoch auch der ärztliche Umgang mit Sterbenden; Trost und Barmherzigkeit waren schwer mit einem naturwissenschaftlichen ärztlichen Selbstverständnis zu vereinbaren. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts sah man überdies das handlungsleitende Wohl zunehmend nicht nur beim Individuum, sondern auch bei der Gemeinschaft; Sterben und Tod eines Menschen wurden nun auch hinsichtlich möglicher Auswirkungen für die Gemeinschaft betrachtet. Der Wert eines Menschen, wie immer auch er bestimmt wird, bestimmte mehr und mehr das Denken auch in Biologie und Medizin – die Idee vom „Ausmerzen Schwacher“ zum Wohle aller wurde damals erstmals deutlich formuliert (Frewer 2002).
In Deutschland gewannen die Vorstellungen zur Vernichtung so genannten lebensunwerten Lebens nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg in der Schrift des Juristen Karl Binding und des Psychiaters Alfred Hoche aus dem Jahr 1920 eine konkrete Gestalt. Geprägt von der Krisenhaftigkeit der Nachkriegsjahre erörterten sie unter rechtlichen und medizinischen Aspekten die Freigabe der Tötung „Minderwertiger“ als einen Akt der Vernunft. Sie gingen dabei einerseits von einem qualvollen Sterbeprozess aus, den es im individuellen Fall abzukürzen gelte, andererseits aber von den Interessen der Gemeinschaft, die sich, fast als Akt der Selbstverteidigung, von den „Ballastexistenzen“, die die Wohlfahrt des Staates gefährden würden, befreien dürfe (Binding / Hoche 1920). Diese Vorstellungen konnten nach 1933 im nationalsozialistischen Deutschland zur Leitlinie im Umgang mit Behinderten und chronisch Kranken werden, bis sie ab 1939 auch in der Praxis umgesetzt wurden. Rund 250.000 Kranke und behinderte Menschen wurden auf dieser Grundlage von Ärzten und Krankenpflegepersonal unter dem Signum „Gnadentod“ getötet.
Es ist nicht überraschend, dass diese schrecklichen Ereignisse sich noch auf die Diskussion zur Sterbehilfe heute auswirken. Manche Argumente aus den 1920er und 1930er Jahren, wie z. B. die Kostenfrage, werden auch heute wieder in renommierten medizinischen Fachzeitschriften erörtert (Emanuel/Battin 1998), wenngleich die Bundesärztekammer strikt ökonomische Überlegungen im Zusammenhang mit Sterbehilfe ablehnt. Andere Probleme, wie z.B. die Auswirkungen der Intensivmedizin auf Sterbeprozess und Todeseintritt, sind neueren Datums. Auch die Suche nach Möglichkeiten, ein würdevolles und selbstbestimmtes Sterben zu ermöglichen und dafür angemessene Formen zu finden, wie sie in der Hospizarbeit und der Palliativmedizin gegeben sind, zeigen deutliche Unterschiede zur damaligen Situation und verweisen auf die humane Seite ärztlicher und pflegerischer Sterbebegleitung (Schmiedebach/Woellert 2006).
Literatur
Benzenhöfer 1999; Frewer 2002
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Begriffsver wendung
Die Diskussion um die Behandlungsentscheidungen am Lebensende ist durch verschiedene medizinische, pflegerische, juristische, ethische und theologische Argumente geprägt. Deshalb ist es sinnvoll, vor dem Einstieg in die eigentliche Diskussion deutlich zu machen, welche Begriffe in der Debatte eine Rolle spielen und wie diese definiert sind. Um die Streitpunkte in der deutschen Auseinandersetzung nachvollziehen zu können, ist es ebenso wichtig, die Rechtslage zum Thema Sterbehilfe zu kennen. Beides soll dieses Kapitel leisten.
Die gängige Begriffsverwendung und deren Problematik
Sterbehilfe oder Sterbebegleitung. Zunächst ist zu klären, wie sich die Begriffe Sterbehilfe und Sterbebegleitung zueinander verhalten. Sterbehilfe wird vor allem im Zusammenhang mit den Adjektiven passiv, indirekt und aktiv gebraucht; damit kann man die Art der medizinischen Intervention rechtlich und definitorisch einordnen. Der Ausdruck Sterbebegleitung ist weiter gefasst: Er beschreibt auch palliativmedizinische und -pflegerische Maßnahmen und somit die Begleitung des Patienten in seiner letzten Lebensphase.
Der Terminus Sterbehilfe wird vielfach kritisch beurteilt, auch wenn er im Recht nach wie vor Anwendung findet. Dabei gelten vor allem zwei Aspekte als problematisch: erstens die begriffliche Nähe zum Terminus „verhelfen“. Er drückt deutlich aus, dass auch andere Personen am Entscheidungs- und Umsetzungsprozess beteiligt sind. Statt sich am Gesundheitszustand des Patienten zu orientieren, wird dadurch die Handlung von Medizinern bzw. Pflegepersonen in den Mittelpunkt gestellt.
Zweitens ist auch die Nähe zu dem Begriff „Hilfe“ problematisch (Nationaler Ethikrat 2006, 26). Helfen ist ein positiv besetzter Vorgang. Zumindest bei der allgemein kritisch beurteilten und strafbaren aktiven Sterbehilfe steht diese Bezeichnung somit im Gegensatz zum Wortsinn. Die Bundesärztekammer begegnete dieser begrifflichen Schwäche dadurch, dass sie in ihren Richtlinien zum Thema seit 1993 den Ausdruck Sterbebegleitung statt Sterbehilfe im Titel führt (Bundesärztekammer 1993).
Euthanasie. Der Begriff Euthanasie stammt wie gesagt aus dem Griechischen und bedeutet „guter Tod“ (siehe Kapitel 1); der Wortsinn hat also eine positive Färbung. Im deutschen Sprachkontext ist der Begriff dagegen aufgrund seiner Verwendung in der Zeit des Nationalsozialismus größtenteils eher negativ belegt (Benzenhöfer 1999, 109–129).
Folglich unterscheidet sich die deutsche Diskussion deutlich von der beispielsweise im angelsächsischen Raum geführten, die weiterhin auf den Ausdruck Euthanasia zurückgreift (Sohn / Zenz 2001). In Deutschland bevorzugt man dagegen in der Regel die Begriffe Sterbehilfe oder Sterbebegleitung (Nationaler Ethikrat 2006, 26); nur vereinzelt finden sich in der wissenschaftlichen Diskussion die Bezeichnungen aktive und passive Euthanasie, so beispielsweise bei Kodalle 2004.
Passive, indirekte und aktive Sterbehilfe. In der aktuellen Debatte haben sich mehrere Perspektiven mit jeweils eigenen Begrifflichkeiten durchgesetzt. Auf einer ersten, der Behandlungsebene, wird zwischen aktiver, indirekter und passiver Sterbehilfe unterschieden (Wiesing/Ach 2000, 195–197).
Definition
Passive Sterbehilfe: das Einstellen oder das Nichtergreifen von lebenserhaltenden medizinischen Maßnahmen bei Schwerkranken oder Sterbenden (z. B. Verzicht auf Wiederbelebung); das Sterben wird zugelassen.
Definition
Indirekte Sterbehilfe: Maßnahmen bei Schwerkranken oder Sterbenden, die Leid mindern sollen und bei denen als unbeabsichtigte Nebenwirkung der Eintritt des Todes beschleunigt wird (z. B. der Einsatz hoch dosierter Schmerzmittel). Behandlungsziel ist das Lindern von Leid.
Definition
Aktive Sterbehilfe: medizinische Maßnahmen bei Schwerkranken oder Sterbenden, die den Tod vorzeitig herbeiführen sollen (z. B. das Verabreichen von Gift). Ziel ist die Lebensbeendigung.
Vorrangiges Unterscheidungskriterium ist also das Behandlungsziel. Bei der passiven Sterbehilfe besteht dieses in der Beschränkung auf eine Basisversorgung und somit im Verzicht auf intensivmedizinische Maximalbehandlung – lebenserhaltende Maßnahmen werden entweder eingestellt oder aber gar nicht erst ergriffen, also etwa: keine künstliche Ernährung, Beatmung, Dialyse, Medikamentengabe, Reanimation und Ähnliches. – Beim Abschalten eines Beatmungsgerätes vollzieht der Arzt zwar einen aktiven Eingriff, er überlässt den Patienten damit aber wieder dem ursprünglich ablaufenden Sterbeprozess, der durch die intensivmedizinische Behandlung unterbrochen worden war. Damit wird das Sterben zugelassen, weswegen das Abschalten eines Atemgerätes trotz der aktiven Handlung ebenfalls der passiven Sterbehilfe zugeordnet wird (Birnbacher 1995; Gesang СКАЧАТЬ