Название: Theorie und Therapie der Neurosen
Автор: Viktor E. Frankl
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783846304570
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Vom Alkoholismus gilt Analoges. Unter schweren Fällen von chronischem Alkoholismus ließ sich feststellen, daß 90% an einem abgründigen Sinnlosigkeitsgefühl litten (Annemarie von Forstmeyer, The Will to Meaning as a Prerequisite for Self-Actualization, Dissertation, California Western University, 1968). Kein Wunder, daß James C. Crumbaugh auf Grund von Tests den Erfolg der Gruppenlogotherapie in Fällen von Alkoholismus objektivieren und, ihn mit dem Erfolg anderer Behandlungsmethoden vergleichend, feststellen konnte: „only logotherapy showed a statistically significant improvement“ („Changes in Frankl's Existential Vacuum as a Measure of Therapeutic Outcome“, Newsletter for Research in Psychology 14, 35, 1972).
Hinsichtlich der Kriminalität haben W. A. M. Black und R. A. M. Gregson von einer Universität in Neuseeland herausgefunden, daß Kriminalität und Lebenssinn in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zueinander stehen. Wiederholt in Gefängnisse eingelieferte Häftlinge unterschieden sich, gemessen am Lebenssinn-Test von Crumbaugh, von der durchschnittlichen Bevölkerung im Verhältnis von 86 zu 115. („Purpose in Life and Neuroticism in New Zealand Prisoners“, Br. J. soc. clin. Psychol. 12, 50, 1973.)
Wie Verhaltensforscher aus der Schule Konrad Lorenz nachweisen konnten, wird Aggressivität, die – etwa auf dem Fernsehschirm – auf harmlose Objekte abgelenkt und an ihnen abreagiert werden soll, in Wirklichkeit überhaupt erst provoziert und, wie ein Reflex, solcherart nur noch mehr gebahnt. Allgemeiner faßt sich die Soziologin Carolyn Wood Sherif von der Pennsylvania State University:
„There is a substantial body of research evidence that the successful execution of aggressive actions, far from reducing subsequent aggression, is the best way to increase the frequency of aggressive responses (Scott, Berkowitz, Pandura, Ross und Walters). Such studies have included both animal and human behavior.“ (Intergroup Conflict and Competition: Social-Psychological Analysis. Vortrag, Scientific Congress, XX. Olympiade, München, 22.8.1972.)
Des weiteren berichtete Professor Sherif aus den Vereinigten Staaten, daß die volkstümliche Vorstellung, der sportliche Wettkampf sei ein Ersatzkrieg ohne Blutvergießen, falsch ist: Drei Gruppen Jugendlicher in einem abgeschlossenen Camp hätten gerade durch sportliche Wettkämpfe Aggressionen gegeneinander aufgebaut, statt sie abzubauen. Die Pointe kommt aber erst: Ein einziges Mal waren unter den Lagerinsassen die gegenseitigen Aggressionen wie hinweggefegt, und das war der Fall, als die jungen Leute einen im lehmigen Boden steckengebliebenen Karren, mit dem die Lebensmittel in das Lager transportiert werden sollten, mobilisieren muß-ten; die wenn auch anstrengende, so doch sinnvolle „Hingabe an eine Aufgabe“5 hatte sie ihre Aggressionen buchstäblich „vergessen“ lassen. (Viktor E. Frankl, Anthropologische Grundlagen der Psychotherapie, Hans Huber, Bern 1974.)
Damit stehen wir auch schon vor den Möglichkeiten einer logotherapeutischen Intervention, die ja als solche, als logotherapeutische, auf eine Überwindung des Sinnlosigkeitsgefühls durch die Ingangsetzung von Sinnfindungsprozessen abzielt. Tatsächlich konnte Louis S. Barber an dem von ihm geleiteten Rehabilitationszentrum für Kriminelle binnen 6 Monaten den auf Grund von Tests ermittelten Pegel erlebter Sinnerfüllung von 86,13 auf 103,46 erhöhen, indem er das Rehabilitationszentrum zu einer „logotherapeutischen Umwelt“ ausgestaltete. Und während die durchschnittliche Rückfallsrate in den USA 40% beträgt, konnte Barber mit einem Prozentsatz von 17 aufwarten.6
Nach Besprechung der vielfachen und vielfältigen Erscheinungs- und Ausdrucksformen existentieller Frustration hätten wir uns nun zu fragen, wie muß die Verfassung menschlichen Daseins beschaffen sein – was ist die ontologische Voraussetzung dafür, daß sagen wir die 60 Studenten, die von der Idaho State University untersucht wurden, ohne Vorliegen irgendwelcher psychophysischer oder sozioökonomischer Gründe Selbstmord versuchen konnten. Mit einem Wort, wie muß menschliches Dasein konstituiert sein, daß so etwas wie existentielle Frustration überhaupt möglich ist. Mit anderen Worten – mit den Worten von Kant, wir fragen nach der „Bedingung der Möglichkeit“ von existentieller Frustration, und wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir annehmen, daß der Mensch so strukturiert ist – daß seine Verfassung so ist, daß er ohne Sinn eben einfach nicht auskommt. Mit einem Wort, die Frustration eines Menschen läßt sich nur verstehen, wenn wir seine Motivation verstehen. Und die ubiquitäre Präsenz des Sinnlosigkeitsgefühls mag uns als Indikator dienen, wo es darum geht, die primäre Motivation zu finden – das, was der Mensch letztlich will.
Die Logotherapie lehrt, daß der Mensch im Grunde eben von einem „Willen zum Sinn“ (Viktor E. Frankl, Der unbedingte Mensch, Franz Deuticke, Wien 1949) durchdrungen ist. Diese ihre Motivationstheorie aber läßt sich noch vor deren empirischer Verifizierung und Validierung auch operational definieren, indem wir folgende Erklärung abgeben: Willen zum Sinn nennen wir einfach das, was da im Menschen frustriert wird, wann immer er dem Sinnlosigkeits- und Leeregefühl anheimfällt.
James C. Crumbaugh und Leonard T. Maholick (Eine experimentelle Untersuchung im Bereich der Existenzanalyse: Ein psychometrischer Ansatz zu Viktor Frankls Konzept der „noogenen Neurose“, in: Die Sinnfrage in der Psychotherapie, herausgegeben von Nikolaus Petrilowitsch, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1972) haben sich ebenso wie Elisabeth S. Lukas (Logotherapie als Persönlichkeitstheorie, Dissertation, Wien 1971) anhand Tausender Versuchspersonen um die empirische Grundlegung der Lehre vom Willen zum Sinn bemüht. Inzwischen werden immer mehr Statistiken bekannt, aus denen die Legitimität unserer Motivationstheorie hervorgeht. Aus der Fülle des in letzter Zeit angefallenen Materials greife ich nur die Ergebnisse eines Forschungsprojekts heraus, das vom American Council on Education gemeinsam mit der University of California in Angriff genommen worden war. Unter 189.733 Studenten an 360 Universitäten galt das primäre Interesse von 73,7% – es handelt sich um den höchsten Prozentsatz! – einem einzigen Ziele: „developing a meaningful philosophy of life“ – sich zu einer Weltanschauung durchringen, von der aus das Leben sinnvoll ist. Der Bericht wurde 1974 veröffentlicht. 1972 waren es nur 68,1% gewesen (Robert L. Jacobson, The Chronicle of Higher Education).
Es darf hier aber auch auf das Ergebnis einer 2jährigen statistischen Untersuchung verwiesen werden, die von der höchsten Instanz psychiatrischer Forschung in den USA, nämlich dem National Institute of Mental Health, veröffentlicht wurde und aus der hervorgeht, daß 7.948 Studenten, die an 48 amerikanischen Hochschulen befragt worden waren, etwa zu 16% ihr Ziel darin sahen, „to make a lot of money“ – möglichst viel Geld zu machen; während die Spitzengruppe – es handelte sich um 78% – eines wollten: „to find a meaning and purpose to my life“ – in ihrem Leben einen Sinn finden.
Wenden wir uns nunmehr der Frage zu, was wir gegenüber der existentiellen Frustration, also der Frustration des Willens zum Sinn, und gegenüber der noogenen Neurose unternehmen können – war doch soeben von Sinngebung die Rede. Nun, eigentlich läßt sich Sinn gar nicht geben, und am allerwenigsten kann der Therapeut ihn geben – dem Leben des Patienten einen Sinn geben oder diesen Sinn dem Patienten mit auf den Weg geben. Sondern Sinn muß gefunden werden, und er kann jeweils nur von einem selbst gefunden werden. Und zwar wird dieses Geschäft vom eigenen Gewissen besorgt. In diesem Sinne haben wir das Gewissen als das „Sinn-Organ“ bezeichnet (Viktor E. Frankl, Logotherapie und Religion, in: Psychotherapie und religiöse Erfahrung, herausgegeben von Wilhelm Bitter, Ernst Klett, Stuttgart 1965). Sinn läßt sich also nicht verschreiben; aber was wir sehr wohl zu tun vermöchten, ist eine Beschreibung dessen, was da im Menschen vorgeht, wann immer er auf die Suche nach Sinn geht. Es stellt sich nämlich heraus, daß die Sinnfindung auf eine Gestaltwahrnehmung СКАЧАТЬ