Название: Die weise Schlange
Автор: Petra Wagner
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783959665964
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„Guten Abend, Gastwirt“, übertönte Viviane die Freudenbekundungen hinter sich. „Wir würden gern hier übernachten.“
„Ist mir recht.“ Freundlich nickte der Wirt ihr zu und zeigte mit einem muskelbepackten Arm hinter sich auf die große Wiese. „Drei Häuser sind noch frei, gleich hier am Tor oder hinten am Fluss nahe der Badestelle.“
„Wir nehmen das hintere. Könnten wir auch noch etwas zu essen haben?“ Viviane zeigte ihr charmantestes Lächeln, dazu knurrte ihr Bauch laut wie ein Hund.
„Selbstverständlich. Mein Weib wird sich freuen, euch bewirten zu dürfen. Sie hat heute schmackhaften Hasenbraten zubereitet. Alles ganz frisch, gestern haben die noch unsere Felder besucht.“
„Das klingt sehr gut. Wir laden nur rasch die Pferde ab, dann kommen wir zu euch herein.“
„Unsere anderen Gäste, zwei Händler, sind bereits beim Essen, aber lasst euch ruhig Zeit, es ist genug für alle da. Hinter den Häusern befindet sich jeweils ein kleiner Stall. Heu und Wasser bringe ich sofort.“
Mit langen Schritten lief der Wirt über die Wiese Richtung Langhaus, Viviane steuerte die Pferde den Weg am Fluss entlang zum letzten Haus des Gastdorfes. Hühner flatterten vor ihnen auf, Gänse watschelten hinunter zum Fluss, Enten schwammen um den Anleger der Fähre, Ziegen und Schafe grasten auf abgetrennten Weideflächen gleich daneben. Dem lauter werdenden Grunzen nach zu urteilen, befanden sich hinter den Hecken ein paar Schweine, wo sie den Boden aufwühlen konnten und das ansonsten gepflegte Ambiente nicht durcheinanderbrachten.
„Diese Wiesen und Weiden – wirklich sauber und ordentlich hier.“ Loranthus betrachtete alles mit kritischem Blick und schien sehr zufrieden.
Die Häuser für die Gäste waren klein, ganz schlicht aus Lehm und mit einem Balkengerüst gebaut, und fast bis zum Fenster in die Erde eingelassen. Das Langhaus, in dem die Bewirtung stattfand, war hingegen zwei Stockwerke hoch, aus bestem Fachwerk und mindestens zwanzig Schritt lang. Dazu gab es ein Schwitzbad und eine Scheune, aus der es nach Heu duftete. Sämtliche Hauswände waren leuchtend weiß gekalkt, alle Holzbalken waren schwarz und die Dächer mit dicken Holzschindeln gedeckt.
„Die Häuser machen allesamt einen soliden Eindruck, besonders das Langhaus, das offensichtlich ebenerdig steht. Ich verstehe bloß nicht, wozu diese Hecken gut sind?“ Wissbegierig deutete er rundum, ließ aber Viviane nicht aus den Augen.
„Das ist eigentlich ganz simpel, schau dir mal das dicke Astwerk an und die Dornen. Die Hagebutte ist eine immer wachsame Kriegerin, wenn sie alt genug ist. Sie lässt keinen ungebetenen Gast durch, egal ob Mensch oder Tier. Im frühen Sommer erfüllen ihre Rosenblüten jedes Herz mit Freude und im langen Winter genießen wir ihre Früchte, getrocknet oder in Marmelade. Beide, Blüten und Früchte, haben starke Heilkraft.“
„Wie praktisch! Ein lebender Schutzwall mit allerlei Extras! Äußerst effektiv. Darauf hätte ich auch selbst kommen können. Beim Hermes, wenn wir doch bloß etwas schneller gewesen wären! Hätten wir das Gasthaus erreicht, wären uns die Räuber bestimmt nicht bis hierher gefolgt. Ich könnte mich in den Hintern beißen! Eine Meile und wir wären auf freiem Land gewesen!“ Gerade wollte er sich wieder die Haare raufen, da fiel ihm ein, dass er in diesem Fall ohne Viviane durch das grässliche Spalier hindurchgemusst hätte – womöglich wäre er in Ohnmacht gefallen und vom Kutschbock gekippt.
„U…und warum sind die kleinen Häuschen so tief in die Erde eingelassen? Ich meine, im Gegensatz zum ebenerdigen Langhaus, sieht das irgendwie … primitiv aus. Steht man da nicht im Grundwasser?“
„Für wie dumm hältst du uns? Siehst du nicht den Höhenunterschied?“
Viviane beschrieb einen Bogen zwischen dem letzten Häuschen und dem Lagerhaus auf Stelzen, das näher am Ufer stand, und schmunzelte vergnügt. Sie hatte gerade ein Bild vor Augen: Loranthus trippelte in einer Pfütze herum, verrenkte sich wie wild, um mit den Zähnen nach seinem Hintern zu schnappen, und ständig sprudelte ihm ein Wasserfall aus dem Mund.
„Nun, um deine Frage zu beantworten … Hast du schon mal einen Winter hierzulande erlebt?“
„Nein, wir sind erst vor einem Mond in Antibes angekommen. Es war dort angenehm mild. Auch als wir nach Massalia weiterreisten, war es warm. Je weiter wir nach Norden kamen, desto kühler wurde es, aber einen Winter im Land der Keltoi kenne ich nur aus Berichten. Hierzulande soll es barbarisch kalt werden und schneien. Schnee kenne ich natürlich, aber ich kann mir gar nicht vorstellen, wie die Flüsse zufrieren.“ Loranthus erschauerte. Unwillkürlich schlang er seinen Umhang fester um sich. Er konnte gut darauf verzichten, diese Wissenslücke durch praktische Erfahrung zu füllen. Wenn den Barbaren hier die Eiszapfen von den Fellen hingen, würde er längst wieder in seiner schönen warmen Heimat sein.
„Loranthus. Du bist doch ein gebildeter Mann.“
„Garantiert! Ich bin weit gereist und sehr belesen!“
„Bestens. Dann sage nicht immer ‚keltisch‘ oder ‚Kelta‘ oder ‚Keltos‘ oder ‚Keltoi‘. Das ist unzureichend. Wir sind hier im Land der Hermunduren, das weißt du, also nenne uns auch so. Zu dir sagt doch auch niemand Südoströmer.“
„Wa…?!!!“ Loranthus riss den Mund auf. „Bei allen Göttern des Olymps, ich bin kein …“ Beleidigt klappte er seinen Mund wieder zu und brummte: „Ich werde es mir abgewöhnen, keine Bange.“ Sage ich eben Barbar, da mach ich nichts falsch, ist ja nicht beanstandet worden, dachte er sich im Stillen.
„Gut, gut. Um deine Frage nun redlich zu beantworten: Unsere Grubenhäuser sind nicht primitiv. Sie sind sehr praktisch. Im Sommer ist es darin angenehm kühl und man schläft einfach wunderbar. Im Winter schützen sie uns vor Kälte. Selbst mit einem winzigen, winzigen Ofen kann man schnell einheizen und hat es sehr lange behaglich warm.“
„Weil alles aus Lehm besteht, und Lehm speichert Wärme“, schlussfolgerte Loranthus.
„Richtig. Die Häuser, die Öfen – alles ist aus Lehm und Weide. Selbst die Fußböden sind gestampfter Lehm.“
„Ich habe gelesen, ihr heizt auch mit Kohlebecken.“
„Kohlebecken?“ Viviane wurde schlagartig ernst. „Ja, das ist richtig. Wenn man keinen Ofen hat, bekommt man es mit einem Kohlebecken durchaus warm. Aber Vorsicht! Absolute Vorsicht!“ Achtung heischend riss sie den Zeigefinger hoch und Loranthus fühlte sich genötigt, eifrig zu nicken – zum Zeichen, dass er gut aufpasste.
„Beim Heizen mit Kohlebecken muss man unbedingt Vorsicht walten lassen. Wehe dem, der das vergisst! Also hör gut zu und merke dir: Wenn ein Haus komplett dicht ist, kann das tödlich enden. Man schläft ein und wacht nicht mehr auf.“
„Einfach so?“
„Das kommt drauf an. Zu Anfang fällt es nämlich gar nicht auf, wenn sich der Tod aus dem wohlig-warmen Becken schleicht. Man wird müde und träge … Ist man achtsam und handelt schnell, kann man sich retten; schläft man ein, ist man verloren. Dann merkt man nämlich nicht, wie die Kopfschmerzen kommen, das Unwohlsein, die Krämpfe, man kann sich nicht mehr wehren. Ja, ein Kohlebecken ist wahrhaftig ein lautloser Mörder.“
„Keine Bange“, gluckste Viviane, als sie das entsetzte Gesicht von Loranthus sah, und deutete СКАЧАТЬ