Название: Tatort Rosenheim
Автор: Heinz von Wilk
Издательство: Автор
Жанр: Триллеры
isbn: 9783734994920
isbn:
Brunner gab dem Auer noch einen schlaffen und feuchten Händedruck, dann trippelte er wie ein trauriger alter Vogel mit eingezogenem Kopf aus dem Lokal.
Ehrlich währt am längsten – aber wer nicht bescheißt,
der kommt zu nix
»Ja, so isses halt im Leben, Bub. Da musst flexibel sein.« Mit einer schwungvollen Bewegung stellte die Friedl dem Auer einen Teller mit einem selbstgebackenen gedeckten Apfelkuchen hin. Auf dem Kuchenstück wackelte ein Sahneberg in Form des Matterhorns.
Auer schüttelte den Kopf: »Ich hab jetzt echt keinen Hunger, Tante.« Die Friedl stemmte die Hände in die Hüften: »Und wenn du noch einmal Tante zu mir sagst, dann landet der Kuchen auf deiner Rübe, du undankbarer Junge. Und essen musst du, du hast ja nix auf den Rippen.«
Auer setzte sich gerade hin und klopfte sich wortlos auf den Bauch, aber Friedl schüttelte den Kopf: »Ach was, das ist doch alles Luft. Blähungen. Und außerdem: Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel. Der Otti, der hat immer gesagt, ein Mann braucht einen gewissen Vorbau, damit der arbeitslose Zwerg da unten bei Regen ein Dach über dem Kopf hat. Iss jetzt. Die Arbeit läuft dir nicht davon. Erinnerst du dich an den Maurer Georg, den nichtsnutzigen Sohn von den Maurers in der Marienberger Straße? Der ist Tapezierer geworden. Na ja, dass der kein Gehirnchirurg wird, das hat man schon früh erkannt. Die hellste Kerze in Gottes großem Kronleuchter war der nie. Aber Tapezierer? Und was für einer. Ich hab den mal in Aktion gesehen. Der konnte im Stehen schlafen, mit dem Leimwaschel in der Hand. Der ist ihm auch in der aufrechten Tiefschlafphase nicht aus den Fingern gerutscht. Für so was brauchst du natürlich auch ein gewisses Talent. Und zu mir hat er mal gesagt, dass er am liebsten den Tapeten beim Trocknen zuschaut.«
Fasziniert beobachtete der Auer die Tante, die auch nach dieser langen Rede keine Luft zog. Nicht sichtbar, jedenfalls.
»Tante, wie war das jetzt mit dem Bänker Brunner und dem Onkel Ottfried?«
»Wie war das … wie war was? Das ist ein Geben und Nehmen gewesen. Ich sag mal so, die Sparkasse oder die Raiffeisen und wie sie alle heißen, die hätten doch nie im Leben dem Otti seine schrägen Vorhaben finanziert. Denk mal nach. Du gehst in eine Bank und sagst: ›Grüß Gott, Bernrieder mein Name. Ich mach jetzt wieder mal einen Puff auf, und deswegen sollten Sie ein paar Flocken über den Tisch wachsen lassen. Wie ich Ihnen das zurückzahle, das überlegen wir uns ein anderes Mal.‹ Nein, nein, Bub. Da musst du vorsichtig ran, da musst du taktieren und schauen, was der Bänker will. Vielleicht einen schnuckeligen Alfa für die Gattin? Oder eine nette Kreuzfahrt, oder doch lieber eine Wohnung am Gardasee?«
»Und so hat sich der Otti den Brunner gekascht?«
»Was für eine ordinäre Ausdrucksweise. Die beiden waren Jugendfreunde, man kannte und mochte sich. Daraus ist eine kreative, flexible Geschäftsbeziehung entstanden. Alle haben gut dran verdient.«
Auer starrte sie an: »Wow, jetzt sag bloß, du hast das alles von Anfang an gewusst, Friedl?«
Sie lächelte süß: »Friedl, wie schön du das sagst, Bub. Sicher hab ich alles gewusst. Fast alles, jedenfalls. Wir waren ja verheiratet. Und wenn ich ein Schnitzel esse, dann will ich ja auch wissen, wo das Geld dafür herkommt, oder? Der Otti und ich, wir haben fast keine Geheimnisse voreinander gehabt. Gell, Otti, so war’s doch, oder?« Dabei streichelte sie zärtlich über die Sanduhr und drehte sie um: »Hier steht er viel besser, als da irgendwo auf dem Friedhof eingebuddelt zu sein, findest du nicht auch, Max? Und mit den Strenggläubigen hat er es eh nie so gehabt. Er hat zu seinen eigenen Göttern gesprochen. ›Besser ein Hohlkreuz, als gar nicht religiös‹, hat er mal zum Stadtpfarrer gesagt. Und der hat ihm geantwortet: ›Ja, aber unser lieber Gott sieht trotzdem in jedes seiner Schäfchen hinein‹, und mein Otti hat geantwortet: ›Das erklärt seine stete Abwesenheit am besten.‹«
Die Asche rieselte lautlos, und Friedl meinte: »Jetzt schau nur her, wie er sich freut, weil wir von ihm reden.«
»Und die Sissi? Hat der Otti da auch seine Hände im Spiel gehabt?«
Die Friedl ging zur Glasschiebetür, öffnete sie und machte ein paar Schritte auf die Dachterrasse hinaus. Es war immer noch schwül und die Sonne war hell wie ein zorniges Auge eines Zyklops. Der Himmel hatte dieses typisch Bayerisch-Blau-Flirrende, und in der Luft war der Geruch von gegrilltem Fleisch. Na ja, ein bisschen streng war er vielleicht, der Duft, der, vermischt mit schlanken, hellen Rauchfetzen, von unten hochstieg.
»Die da unten grillen schon wieder auf dem Balkon. Und du kannst nichts dagegen machen, auch wenn dir das ganze Haus gehört. Ist das nicht schlimm, dass man als einheimischer, rechtschaffender Immobilienbesitzer keinerlei Rechte mehr hat? Aber jetzt bist du ja hier, Bub. Vielleicht könntest du mal runtergehen und den Kameltreibern eine auf die Kauleisten geben. Würdest du das für deine alte, gebrechliche Tante machen, Schätzchen?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie schnell bis zur Brüstung vor, beugte sich darüber und flötete nach unten: »Ja, der Herr Özgür, das riecht aber schön, was Sie da grillen. Mhm, da kriegt man ja einen richtigen Heißhunger. Was ist denn das? Ausschauen tut es ja echt lecker? Ah, das sind Schweinswürstel, gell? Das seh ich gleich. Ham Sie die vom Lohberger? Der macht unglaublich gute Schweinswürstel. Und die Kümmelsülze erst. Kennen Sie die? Bei Ihnen zu Hause isst man doch viel Kümmel in irgendeinem Gesülze, oder?«
Sie legte den Kopf schief und lauschte auf die Männerstimme vom unteren Balkon. »Was ist das? Gehackte Hammelinnereien? Ganz allerliebst, ehrlich. Wie? Nein danke, sehr lieb von Ihnen, aber wir haben ja unseren Fischtag heute, wir sind streng religiös, der Maxi und ich. Wo sind denn Ihre reizenden fünf Kinder heute? Wie? Nein, nein, die stören mich nicht, ich habe gerne Kindergeschrei, wenn ich Yoga mache. Und ich versteh ja eh nicht, was die da so rumkreischen in ihrer Dings … äh … Sprache. Guten Appetit noch mit Ihren Hammelbrocken da, Herr Özgür, gell? Und grüßen Sie Ihre Frau, Ihre schleierhafte Gemahlin. Tschühüs!«
Jetzt denkst du dir, die Friedl und Yoga? Dabei hat sie mal gesagt: »Motzen ist mein Yoga!« Das war, als der Otti noch gelebt hat und meinte, sie soll doch mal yogieren oder Pilatus oder wie das heißt machen oder sonst was Chinesisches, dann kommt sie vom Brandy weg. Aber was sag ich? Geholfen hat’s nix, und hier geht’s schon weiter.
Friedl kam wieder rein und goss sich einen doppelten Hennessy in ein schweres, geschliffenes Kristallglas: »Am liebsten würd ich mal mit dem Hochdruckreiniger nach unten pfeffern. Aber man kann sich seine Mieter ja nicht aussuchen. Nicht mehr. Früher, ja, da war alles besser, sogar die Mieter. Aber was soll’s, der anatolische Kannibale da unten verdient gut und ist mein Quoten-Ausländer im Haus. Letztes Jahr hab ich im Keller noch drei Somalier gehabt, die haben sich Hühner gehalten, und freitags war immer Hausschlachtung bei denen im Wohnzimmer. Die musste ich aber dann doch rausschmeißen, wo die mit Schafen im Wäscheraum angefangen haben. Da hast du dich erst mit dem Bock arrangieren müssen, dass der dich zur Waschmaschine lässt. Wo sind wir stehengeblieben, Maxi? Ich werde so vergesslich in letzter Zeit. Da hilft nur meine Spätnachmittagsmedizin. Jaja, das Alter kennt keine Gnade.«
Sie leerte das Glas in einem Zug und setzte sich gegenüber dem Auer an den Tisch. Dann hob sie das gestickte Damasttuch an, fasste unter die Tischplatte und zog eine Schachtel Zigaretten aus der Schublade. »Wo sind denn meine Streichhölzer? Ah ja, hier.« Sie hob ein Heftchen mit dem Aufdruck »Wild Wild West – YOU LOOK FOR GIRLS – WE GOT THE BEST« hoch und riss ein Pappstreichholz ab.
Friedl nahm einen tiefen Zug, der ein Viertel der Filterzigarette in Asche verwandelte. Den Rauch behielt sie ein paar Augenblicke in der Lunge und ließ ihn dann langsam durch die Nase ausströmen. Dann seufzte sie, als СКАЧАТЬ