Название: Das Mündel des Apothekers
Автор: Stefan Thomma
Издательство: Автор
Жанр: Исторические детективы
isbn: 9783839268926
isbn:
»Ich bin mir sicher, sie hat ihr Möglichstes getan«, beschwichtigte die Wöchnerin. »Hab Dank für deine Hilfe.«
»Nein, nein! So einfach kommst du mir nicht davon, Kindsmörderin! Scher dich raus hier! Du wirst noch von mir hören!«, prophezeite ihr Heidrun.
*
Aufgewühlt und den Tränen nahe schlich sie in die Offizin, um einige Heilkräuter und etwas zu essen für Mathilda herzurichten. Als sich Katharina an diesem Tag erneut davonschleichen wollte, versperrte ihr der Stiefvater den Weg.
»Nein, du bleibst hier! Deine Hebamme muss ab jetzt ohne dich zurechtkommen. In den Straßen wimmelt es vor Pestilenz- und Ruhrkranken8. Der Totengräber bekam vom Rat die Anweisung, die eisenbeschlagenen Räder vom Leichenkarren mit Filz zu umwickeln, weil die Bürger fast durchdrehen, wenn sie das ratternde Geräusch ständig hören müssen.«
»So viele sind schon gestorben?«, fragte Katharina entsetzt. Benedikt nickte nur betroffen.
»Die meisten Bürger hassen uns, weil wir uns das tägliche Brot noch leisten können. Vier Gulden verlangen die mittlerweile für einen Laib! Nur wenige können sich das noch leisten.«
»Ich kann nicht einfach zuschauen, wie Mathilda stirbt. Sie hat doch sonst niemanden.«
»Sei vernünftig. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die kaiserlichen Truppen über unsere Stadt herfallen. Dann Gnade uns Gott! Gestern gelang es ihnen, in den beschädigten Deininger Turm einzudringen und auf unsere Männer zu schießen. Die letzte Chance war, den Turm anzuzünden und die Angreifer auszuräuchern.« Dass die halb verhungerten Nördlinger die verkohlten Leichen aßen, verschwieg er ihr vorsichtshalber.
»Was ist da draußen los?«, wunderte sich Katharina und öffnete die Türe der Offizin.
»Habt ihr es schon gehört?«, fragte der Pastor Widmann.
»Was gehört?«
»Einige unserer Männer haben heute Nacht die Eger wieder in die Stadt geleitet. Die Mühle arbeitet also wieder. Und sie erbeuteten sogar haufenweise Lebensmittel von den Kaiserlichen. Deshalb feiern wir jetzt einen Dankgottesdienst. Wir haben gesiegt!«
»Das ist ja wundervoll«, freute sich Katharina und blickte zu ihrem Stiefvater, der ebenfalls erleichtert war.
Die Glocken vom Daniel läuteten, bis sich die St. Georgskirche bis auf den letzten Platz gefüllt hatte. Freude und Erleichterung war in den Gesichtern der Nördlinger zu sehen. Selbst verfeindete Nachbarn schenkten sich ein Lächeln.
Kurz nachdem Pastor Widmann mit der Messe begonnen hatte, stürmte der Bürgermeister in die Kirche. Die Gläubigen drehten neugierig ihre Köpfe Richtung Haupteingang. Widmann stockte in seinem Satz. Die Schuhe des Stadtoberhaupts klopften bei jedem Schritt auf den Steinboden, bis er in der Mitte stehen blieb.
»Ich weiß nicht, wer das Gerücht des Sieges in die Welt gesetzt hat, aber es ist nicht wahr! Die kaiserlichen Truppen haben das lang erwartete Heer vernichtend geschlagen. Man sagte mir, dass wohl mehr als 12.000 schwedische Soldaten nicht mit dem Leben davongekommen und über 4.000 in Gefangenschaft geraten sind. Die davonlaufenden Schweden wurden von der kaiserlichen Reiterei verfolgt und getötet.«
»Das ist eine Lüge!«, schrie einer.
»Die Kaiserlichen haben doch gar keine Munition mehr!«, brüllte ein anderer. Ein lautes Stimmengewirr entstand. Bürgermeister Schillinger bestieg die Kanzel, um sich Gehör zu verschaffen.
»Die kaiserlichen Truppen sind bereits auf dem Rückweg. Wir werden spätestens morgen die bedingungslose Kapitulation unterzeichnen müssen. Geht nach Hause und versucht zu retten, was noch zu retten ist. Versteckt oder vergrabt alles, was von Wert ist!«
7 Hütte, einfaches Haus.
8 Die Ruhr: Schwere Durchfallerkrankung, oft mit blutigem Stuhl.
Kapitel 3
Seit fast drei Tagen versteckte sich Katharina im Dachboden des Apothekerhauses und hoffte, so den Übergriffen der Kaiserlichen zu entkommen. Die Besatzer zogen plündernd durch die Stadt. Was sie gebrauchen konnten, stahlen sie, und in den Wirtshäusern wurde gesoffen, ohne zu bezahlen. Frauen wurden auf offener Straße Opfer lüsterner Landsknechte. Wer sich gegen sie stellte, bezahlte mit seinem Leben.
Neben Soldaten und Verwundeten strömte auch Trossvolk nach Nördlingen. Allen musste Quartier gegeben werden. Bei den Riesingers wurden einige Marketenderinnen und Hübschlerinnen aufgenommen. Der Apotheker war fest davon überzeugt, dass Schillinger das mit Absicht so eingefädelt hatte, gab es doch in der letzten Zeit einige Unstimmigkeiten zwischen ihnen beiden.
Elfriede brachte dem Apothekermündel täglich mehrmals zu essen und versorgte sie.
»Wenn es stimmt, was die Leute sagen, kommt heute noch Erzherzog Ferdinand nach Nördlingen. Ich hoffe sehr, dass er dem Treiben hier ein Ende setzt.«
»Das wird auch langsam Zeit! Hier oben ist es alles andere als gemütlich«, murrte Katharina.
Unter dem Dach des Patrizieranwesens war ab der Mittagszeit eine fast unerträgliche Hitze und die kleinen Fenster an den Giebelseiten des Hauses ließen nur wenig Licht in den Raum. Von den Dachbalken hingen Spinnweben, die wie graue Tücher wirkten. Alles war mit einer dicken Staubschicht überzogen. Aus Langeweile begann Katharina, Kisten und Säcke zu durchstöbern, die vor längerem achtlos abgestellt worden waren. Sie enthielten Tuchballen aus vergangenen Tagen, andere Kleidung ihrer längst verstorbenen Stiefmutter.
Nicht mehr lange, dann würden sie mir vielleicht passen, dachte sie sich. Ein Kleid nach dem anderen betrachtete sie und hielt es vor ihren Körper, um abzuschätzen, wie es an ihr wirkte. Auf dem Boden der Kiste blieb ihr Blick auf einem Buch haften.
Der Einband war aus dunkelbraunem Leder gefertigt und an den Ecken mit schweren Metallbeschlägen versehen. Um es aufzuschlagen, musste ein Riegel geöffnet werden. Es war unverschlossen. Katharina setzte sich unter eines der kleinen Fenster und fing an zu blättern.
›Freitag, 3. Februar 1612: Wenn ich ihn sehe, schlägt mein Herz schneller. So also fühlt sich die Liebe an.
Mittwoch 11. Juli 1612: Heute ist es passiert. Josef war so einfühlsam und trotzdem wild und stürmisch. Das würde ich mir von Benedikt auch wünschen …‹
Was zur Hölle waren das für Aufzeichnungen? Und wer war Josef?, fragte sie sich.
›Benedikt hat mir ja schon lange nicht mehr beigewohnt. Er war so außer sich, als er erfuhr, dass ich mich ausgerechnet einem Hofmeister hingegeben habe. Ich kann von Glück reden, dass Benedikt es für sich behalten hatte. Sonst hätte man mich wohl mit der Schandgeige um den Hals aus der Stadt gejagt. Es tut mir leid, Benedikt. Es war ein Fehler von mir …‹
Katharina blieb der Mund offen stehen. Daher also der Familienstreit.
Als sie weiter im Buch blätterte, fiel eine einzelne Seite heraus. Ein Brief an meinen Stiefvater. Vom Augsburger Stadtmedicus?
›Mein СКАЧАТЬ