Die Seele. Johanna Haberer
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Название: Die Seele

Автор: Johanna Haberer

Издательство: Автор

Жанр: Религия: прочее

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isbn: 9783532600825

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СКАЧАТЬ erkennen wir die Überlegenheit unserer Zivilisation und Technik, und überall sehen wir die religiösen Völker des Ostens noch ein Gut genießen, das uns fehlt und das wir eben darum höherstellen als jene Überlegenheiten. Es ist klar, dass kein Import aus Osten uns hier helfen kann, kein Zurückgehen auf Indien oder China, auch kein Zurückflüchten in ein irgendwie formuliertes Kirchenchristentum. Aber es ist ebenso klar, dass Rettung und Fortbestand der europäischen Kultur nur möglich ist durch das Wiederfinden seelischer Lebenskunst und seelischen Gemeinbesitzes. Ob Religion etwas sei, das überwunden und ersetzt werden könne, mag Frage bleiben. Dass Religion oder deren Ersatz das ist, was uns zutiefst fehlt, das ist mir nie so unerbittlich klar geworden wie unter den Völkern Asiens.5

      Hesse schreibt diese Worte nieder am Vorabend des ersten Weltkriegs. Die Industrialisierung hat sich in Europa ausgebreitet, die Ingenieurskunst einen rasanten Fortschritt angeschoben. Der Kohleabbau, die Stahlproduktion, die aufstrebende Automobilindustrie und die Waffenindustrie werden zu Motoren der wirtschaftlichen Entwicklung. Deutschland ist hochgerüstet, ebenso die anderen europäischen Länder. Es raucht und stampft in den Zentren der Industrie.

      Das Milieu der Arbeiter hat sich in politischen Parteien definiert und es regt sich der Zweifel bei europäischen Intellektuellen, ob mit der anwachsenden Macht der Maschinen nicht auch die Seelen der Menschen verloren gehen könnten. Hesse beschreibt die Seele als einen Ort, in dem Zweifel, Sorge und Hoffnung wohnen und er träumt vom Wiederfinden der „seelischen Lebenskunst“ und des „seelischen Gemeinbesitzes“. Im Westen vermisst er eine „geschirmte, gepflegte und vertrauensvolle Religiosität“. Der erste Weltkrieg mit seinen Millionen Toten scheint dann wie ein Beweis für den gigantischen kollektiven Verlust, der mit dem Erlöschen der Seele einhergeht.6

      Ein knappes Jahrzehnt später, 1922, rechnet der linke Autor Ernst Toller in seinem Stück „Die Maschinenstürmer“ mit dem Maschinenzeitalter ab. Der Plot verlegt die Debatte ins Jahrhundert zuvor: Die Textilarbeiter Nottinghams sollen 1815 im Aufkommen des Frühkapitalismus durch Maschinen ersetzt werden. Zwei Arbeiterführer mobilisieren die Massen: Jimmy Cobbett predigt Verhandlungen und einen politischen Weg, um die Arbeitsverhältnisse zu verändern. John Wible dagegen setzt auf Gewalt und Zerstörung der Maschine. Ein wahnsinniger Ingenieur, dessen Seele über dem Bau der Maschinen zerstört wurde, tritt auf und verkündet die Macht der Maschinen über die Menschen.

      Ingenieur auf der Brücke mit irrer Gebärde:

      Hihuhahaha. Ich aber sage euch, die Maschine ist nicht tot … Sie lebt! Sie lebt …

      Ausstreckt sie die Pranken, Menschen umklammernd krallend die zackigen Finger ins blutende Herz …

      Hihuhahaha … Hihuhahaha

      Gen die umfriedeten Dörfer wälzen sich stampfende Heere …

      Hindorren die Gärten, verpestet vom schweflichen Hauch

      Und es wachsen die steinernen Wüsten, die kindermordenden

      Und es leitet ein grausames Uhrwerk die Menschen

      In freudlosem Takte …

      Ticktack der Morgen … Ticktack der Mittag … Ticktack der Abend …

      Einer ist Arm, einer ist Bein … einer ist Hirn …

      Und die Seele, die Seele ist tot …

       Alle in magischer Andacht:

      Und die Seele, die Seele ist tot …

       Stille

       Ingenieur lacht

       Alle:

      Er lacht! Er ist besessen!

       Ruf:

      Besessen vom Geist der Maschine!7

      Doch Toller belässt es nicht bei der oberflächlichen Dämonisierung der Technik. Er lässt die Hauptfigur Cobbett, den nachdenklicheren der beiden Arbeiterführer sagen: „Nicht gegen die Maschine, gegen die Ausbeuter müsst ihr kämpfen. Nicht mit dem Knüppel, sondern mit dem Kopf. Es leben andere Feinde, gewaltiger als das Gerüst von Eisen, Schrauben, Drähten, Holz, das man Maschine nennt.“

      Das Zeitalter der industriellen Revolution und die damit verbundenen umwälzenden Veränderungen der Lebensverhältnisse, haben bereits vor zweihundert Jahren ein Nachdenken darüber initiiert, was den Unterschied ausmacht zwischen der beseelten und der unbeseelten Materie. Dabei stellt sich zwangsläufig die Frage, ob es so etwas wie eine Seele gibt und was sie denn sei.

      Man hatte sich in der Aufklärung von den Dogmen der christlichen Kirche verabschiedet, die – im Katholizismus – einen Dualismus von Leib und Seele behauptet, der Seele eine eigene Entität und Substanz zusprach und ihr als einer Art göttlicher Funke den Vorzug vor dem Leib gab.

      Man hatte sich mit Immanuel Kants Erkenntniskritik verabschiedet vom Versuch, der Seele im philosophischen Denkgebäude einen Platz zuzugestehen. Nach Kants Überzeugung sind Begriffe wie Welt, Gott oder eben Seele Vorstellungen, die nicht auf repräsentative Objekte bezogen werden können.

      Damit war der Anfang gemacht, den Seelenbegriff in der akademisch-universitären Sprache zum Verstummen zu bringen: Zu unpräzise, zu vieldeutig, zu vorbelastet schien das Wort „Seele“. In einer philosophischen Welt der präzisen Logik und Kausalität war die Vorstellung von der Seele undeutlich, kontraproduktiv, anarchisch und subversiv. In der Welt der empirischen Wissenschaften wurde die Rede von der Seele bald zur verstaubten und belächelten Ruine einer abendländischen Denktradition.

      In seinem berühmten Essay „Über das Marionettentheater“, der 1810 in vier Folgen in den Berliner Abendblättern erschien, beschäftigt sich der Dichter Heinrich von Kleist mit dem Einfluss der Seele auf die menschliche Erscheinung. Die unbewusste natürliche Schönheit wird gefeiert gegenüber der künstlich eingeübten Geste. Der fiktive Autor des Essays tritt in einen Dialog mit einem bekannten Schauspieler, der häufiger beim Besuch eines Marionettentheaters gesehen worden war. Die beiden unterhalten sich über die Schönheit des Unbewussten und die Seele als Link zwischen der unbelebten Materie und Gott am Beispiel des Tanzes:

       Ich fragte ihn, ob er glaube, dass der Maschinist, der diese Puppen regiere, selbst ein Tänzer sein, oder wenigstens einen Begriff vom Schönen im Tanz haben müsse? Er erwiderte, dass wenn ein Geschäft, von seiner mechanischen Seite, leicht sei, daraus noch nicht folge, dass es ganz ohne Empfindung betrieben werden könne. Die Linie, die der Schwerpunkt zu beschreiben hat, wäre zwar sehr einfach und – wie er glaube in den meisten Fällen grad …

       Dagegen wäre diese Linie wieder, von einer anderen Seite, etwas sehr Geheimnisvolles. Denn sie wäre nichts anderes als der Weg der Seele des Tänzers; und er zweifle, dass sie anders gefunden werden könne, als dadurch, dass sich der Maschinist in den Schwerpunkt der Marionette versetzt, d. h. mit anderen Worten, tanzt.8

      So unterstellt Kleist, dass auch bei einem technisch komplexen Vorgang so etwas wie „Seele“ im Spiel ist. Und dass der Tanz der Puppen Ausdruck der Seele des Marionettenspielers ist. Wenn Kleist recht hat und der Marionettenspieler in all seinen mechanisierten Geschöpfen selber tanzt, so bedeutet das heute, dass auch in Computerprogrammen die Seele des Programmierers erkennbar wird und in den größten Netzwerken der Welt ein Psychogramm ihrer Schöpfer zu finden sein muss.

      Es geht bei der Rede von der Seele also um ein wirksames Nicht-Etwas. СКАЧАТЬ