Название: Stolz ohne Vorurteil
Автор: Jana Zöller
Издательство: Bookwire
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783736504141
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Kann ich tolerant sein – trotz Vorurteilen?
Nicht tolerant zu sein und Vorurteile zu haben, ist nicht das Gleiche, hat aber einiges miteinander zu tun. Was heißt es, tolerant zu sein? Der Duden sagt dazu, dass jemand »in Fragen der religiösen, politischen oder anderen Überzeugung bereit ist, eine andere Anschauung, Einstellung, andere Sitten, Gewohnheiten und anderes gelten zu lassen«. Ein Vorurteil hegt jemand hingegen, wenn er »ohne Prüfung der objektiven Tatsachen eine voreilig gefasste, meist von feindseligen Gefühlen gegen jemanden oder etwas geprägte Meinung« hat. Das heißt: Je mehr Vorurteile ein Mensch hat, desto weniger tolerant ist er. Ob sich jemand stark oder weniger stark von Vorurteilen leiten lässt, hängt dabei von verschiedenen Faktoren ab. Von seinen Ängsten zum Beispiel. Denn je mehr Ängste ein Mensch hat, desto mehr »helfen« ihm die Vorurteile, einer vermeintlichen Gefahrensituation aus dem Weg zu gehen. Außerdem spielt es eine Rolle, ob ein Mensch gelernt hat, seine Gedanken und sein Verhalten zu reflektieren oder nicht.
Besonders oft haben wir außerdem dann Vorurteile, wenn das Verhalten anderer unseren Lebensbereich direkt berührt und wir uns angegriffen fühlen. Das bedeutet im Umkehrschluss: Ich kann spendabler mit meiner Toleranz sein, wenn mich die Andersartigkeit eines Menschen nicht betrifft. Wenn zum Beispiel meine Freunde Lisa und Marc am liebsten Aktivurlaub machen, während ich am liebsten faul am Strand liege, dann ist mir das egal. Schwierig wird es, wenn wir gemeinsam Urlaub planen. Dann hinterfrage ich ihre Vorlieben und nehme vielleicht an, dass Lisa und Marc auch im Urlaub pausenlos etwas zu tun haben müssen, weil sie nicht in der Lage sind, einfach mal abzuschalten (was sie im Übrigen sind – sie ziehen ihre Erholung nur aus den Bergen, während ich auch gerne mal beim Blick aufs Meer entspanne).
Darüber hinaus haben wir Vorurteile an den Stellen, wo wir uns mit anderen Menschen vergleichen. Und das machen wir leider permanent. Indem ich akzeptiere, dass ein anderer Mensch eine (andere) Religion hat, sehr dünn ist oder sein Kind anders erzieht als ich, muss ich mir unweigerlich die Frage stellen, ob meine eigene Haltung die »richtige« ist. Dafür bleibt im Alltag oft keine Zeit. Da ist es leichter, die Eigenart eines anderen als schlecht zu bewerten, als zu hinterfragen, ob man sich selbst anders verhalten sollte.
Wenn wir aber alle Vorurteile haben, gibt es dann keine wirklich toleranten Menschen? Ich glaube, dass es keinen Menschen gibt, der zu hundert Prozent tolerant ist. Aber das wäre auch nicht gut. Intoleranz kann nämlich tatsächlich wichtig sein. Wenn ich es beispielsweise nicht dulde, dass ein Kollege einen anderen mobbt. Und zusätzlich sollte Toleranz nie bedeuten, dass man sich selbst überall unterordnet und keine eigene Meinung mehr vertritt. Die Grenze zwischen Verständnis für andere zu haben und sich selbst zu verleugnen ist dabei manchmal fließend. Natürlich muss man nicht jeden Menschen und sein Verhalten leiden können. Aber tolerant sind wir dann, wenn wir uns über jemand anderen erst informiert haben, bevor wir ihn dauerhaft »abstempeln«. Wenn wir die Hintergründe für sein Verhalten kennen, können wir entscheiden, ob wir es nachvollziehbar und sogar akzeptabel finden oder eben nicht. Und vor allem sind wir dann tolerant, wenn wir nicht gleich ganze Personengruppen verurteilen, denn es wird kaum eine geben, wo ein Vorurteil wirklich auf jede Person zutrifft.
Vorurteile können verletzend sein und sogar zu Diskriminierungen führen. Wenn zum Beispiel ein Mensch mit arabischem Aussehen eine Wohnung oder einen Job nicht bekommt, nur weil er »anders« aussieht und ihm der Vermieter oder Arbeitgeber deswegen per se nicht traut. Im schlimmsten Fall können Vorurteile sogar richtig gefährlich werden. Über die deutsche Geschichte muss ich an der Stelle wenig erzählen – hätte Hitler an seinen Vorurteilen gearbeitet, wären vermutlich Millionen von Menschen am Leben geblieben. Und vor einigen hundert Jahren wären viele Frauen nicht verbrannt worden, wenn man sie nicht aufgrund ihrer ausgezeichneten Kräuterkenntnisse für Hexen gehalten hätte. Auch heute sind Vorurteile überall dort gefährlich, wo sich Menschen aufgrund ihrer Voreingenommenheit radikalisieren. In vielen europäischen Ländern bekommen rechtsextreme Parteien immer mehr Zuwachs. Und egal, welche Ausprägungen Andersartigkeit hat – ob es sich um Herkunft, Religion oder sexuelle Orientierung handelt –, es wird propagiert, dass es nur ein Ideal gibt und kein Platz für Menschen ist, die jenseits dieser Norm stehen. Dabei wird oft mit den Ängsten der Menschen gespielt. Mit der Angst vor Andersartigkeit, die durch Vorurteile entsteht.
Was will dieses Buch?
Ziel dieses Buches ist es nicht, dass du vorurteilsfrei wirst – das wird vermutlich auch dem weltbesten Ratgeber nicht gelingen. Das Buch soll dich stattdessen stolz machen – stolz darauf, dass du genau wie jeder andere Mensch anders und einzigartig bist. Du sollst nicht stolz darauf sein, keine Vorurteile zu haben, aber stolz darauf, dass du anderen zunehmend offener begegnen kannst und dir deine Vorurteile zumindest immer häufiger bewusst werden. Wie das gelingt, möchte ich dir in diesem Buch zeigen. Es soll helfen, die eigenen Vorurteile zu erkennen. Das ist der erste Schritt, um sie zu verändern und auch mit anderen darüber zu sprechen, um mehr Akzeptanz untereinander zu schaffen.
In den folgenden Kapiteln erzähle ich dir Geschichten und Fakten über Menschen, die häufig Vorurteilen ausgesetzt sind. Ich habe sie oder ihre Geschichten entweder durch meine Arbeit als Journalistin kennengelernt oder im Privatleben. Teilweise haben die Begegnungen auch meine eigenen Vorurteile abgebaut und mich umdenken lassen. Ich möchte dir zeigen, dass Wissen und Aufklärung die beste Waffe gegen gefährliche oder verletzende Vorurteile sind. Wenn dir diese Geschichten nur ab und zu einen Denkanstoß geben, dann wird es dir auch bei anderen Menschen leichter fallen, erst einmal hinter die Fassade zu schauen, bevor du ihnen mit Vorurteilen begegnest. Das lohnt sich zum einen für deine Mitmenschen. Denn das Schöne ist, dass auch einzelne kleine Situationen das Leben eines anderen verändern können. Wenn sich ein Schüler zum Beispiel einen beleidigenden Kommentar bei einem übergewichtigen Mitschüler spart oder ein Obdachloser mit Respekt behandelt wird. Aber es lohnt sich zum anderen auch für dich selbst: Du wirst überrascht sein, um wie viele positive Begegnungen dich das reicher macht.
Wichtig ist mir dabei: Selbstverständlich sind diese Geschichten nur Beispiele aus meinen Erfahrungen und meiner Recherche. Ich möchte damit zeigen, dass nicht alle Menschen in die vorgefertigten Schubladen passen und dass viele Vorurteile ungerechtfertigt sind. Das heißt aber nicht, dass du vielleicht bei dem einen oder anderen Thema trotzdem einen Menschen kennst, der exakt dem Klischee entspricht.
Außerdem zähle ich der Einfachheit halber in diesem Buch nur eine Geschlechtsform auf, das heißt, wenn ich von Studenten spreche, dann meine ich selbstverständlich Studentinnen und Studenten beziehungsweise alle Studierenden.
Auch wenn es mir leidtut, dass das nötig ist: Viele Namen von Betroffenen habe ich in diesem Buch verändert, um sie zu schützen. Denn auch wenn ich mir Toleranz für sie wünsche, ist sie leider in den Köpfen vieler Menschen noch nicht vorhanden.
Zum Ende dieses Buchanfangs noch ein Zitat von Albert Einstein: »Es ist leichter, einen Atomkern zu spalten, als ein Vorurteil.« Aber es ist nicht unmöglich. Auch wenn wir dazu keine Atomphysiker werden müssen: Lasst uns anfangen, unsere Energie sinnvoll zu nutzen, sonst fliegt sie uns irgendwann um die Ohren.
1. Kapitel Die Kanaken – Oder: Warum nicht nur der Döner zu Deutschland gehört, sondern auch der Dönermann
Weißt du, was ein Kanake ist? Na klar, ein Schimpfwort für Türken. Steht sogar im Duden. Allerdings ist die Verwendung als Schimpfwort nur an zweiter Stelle genannt, denn zuerst steht die eigentliche Bedeutung, die eine ganz harmlose ist: Ein Kanake ist ein Ureinwohner der Südseeinseln. Das Wort entstammt vermutlich dem Hawaiianischen. Es wurde zunächst in verschiedenen europäischen Regionen positiv zweckentfremdet als Begriff für alle ausländisch aussehende Menschen und in Deutschland erst mit dem Anwerbeabkommen in den Siebzigerjahren im negativen Sinn für Gastarbeiter benutzt. СКАЧАТЬ