Kontakt als erste Wirklichkeit. Группа авторов
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СКАЧАТЬ in hohem Maße einem ständigen Austausch zwischen dem Individuum und einer soziokulturellen Umwelt, die nicht zuletzt aus anderen Subjekten besteht. Jedes menschliche Wesen wird soziobiologisch wie mental in Gattungsbeziehungen hineingeboren und entwickelt sein Selbst im Rahmen dieser Beziehungen: durch narzisstisch, libidinös oder aggressiv gefärbte Bindungen, durch Akte der Identifizierung und Abgrenzung, durch soziales Feedback und andere reflexive Mechanismen, durch Anpassungszwänge und Widerstandsleistungen hindurch.

      Ein Ursache-Wirkungs-Verhältnis im Sinne einer schlichten Kausalität existiert im Seelischen nicht. Die menschliche Psyche wird nicht hergestellt. Der einzelne Mensch ist nicht das Produkt seiner Natur, aber auch nicht das Produkt von Umständen. Er ist überhaupt kein Produkt – weder das genetisch programmierte Ergebnis bestimmter Sequenzen auf der Doppelhelix noch das Ergebnis in der Tiefe des Unbewussten wirkender Triebkräfte. Andererseits entstehen individuelle seelische Strukturen, die als Ensemble auf der mentalen Hinterbühne wirken und die Persönlichkeit ausmachen, auch nicht aus eigener Schöpfungskraft: Das Subjekt generiert sich nicht selbst und schon gar nicht aus freien Stücken (wie etwa in der romantischen Idee vom Selbstentwurf gedacht). Paradoxerweise individuiert sich der Einzelne gerade dadurch, dass er sich seine lebensgeschichtlich kontingenten Erfahrungen mit sich selbst und anderen intrapsychisch aneignet.

      Im Prozess seiner Individuierung verwandelt der Mensch die von den Biowissenschaften unterstellte »Kausalität der Natur« in eine »Kausalität des Schicksals«, und zwar auf dem Wege der Selbstaufklärung, die ihn dazu nötigt, Verantwortung für seine eigene Biografie zu übernehmen (vgl. Habermas 2005, im Anschluss an Kant und Hegel). In diesem Sinne könnte man den psychoanalytischen Prozess als eine nachholende Aneignung der eigenen Lebensgeschichte durch den Patienten begreifen, der zuvor mit seinem Leben hadert und die Verantwortung dafür an seine genetische Ausstattung, an die mangelhafte Erziehung durch seine Eltern, an die Schwächen der gesellschaftlichen Bildungssysteme, an seine ökonomische Unterprivilegierung oder an die sozialen Verhältnisse im Allgemeinen abgeben mochte.

      Gewiss ist der zunächst relativ hilflose Säugling in einem elementaren Sinne von Pflege und Versorgung abhängig. Aber von Geburt an besteht er darauf, Rückmeldungen auf seine Lebensäußerungen zu erhalten – und zwar nicht nur in Gestalt der Befriedigung seiner unmittelbaren Existenzbedürfnisse (Nahrung, Wärme, Sicherheit), sondern auch Antworten, die ihm eine Rückmeldung zu den Wirkungen seiner eigenen Aktivitäten bieten, signifikante Reaktionen seiner Bezugspersonen im Sinne einer Bestätigung, eines Echos oder einer Spiegelung. Dieses Bedürfnis nach Reflexion im Anderen begleitet das werdende Subjekt und bleibt ihm lebenslang erhalten. Als Wunsch nach intersubjektiver Anerkennung gehört es offenbar zu unserer mentalen Grundausstattung und schlägt in einer Ökonomie der Aufmerksamkeit so manche lebensweltliche Kapriolen. So hat sich in den interaktiven Formaten des Fernsehens oder in den sozialen Netzwerken im Internet eine panoptische Kultur etabliert, die an dieses Grundbedürfnis, von anderen gesehen zu werden, andockt – gelegentlich bis zur Auflösung jeglicher Schamgrenze (vgl. Altmeyer 2003).

      Was Freud noch als Stufen der Libidoentwicklung unter dem Begriff der »Triebschicksale« zu erfassen suchte, würden wir heute eher als »Beziehungsschicksale« begreifen: Interaktionserfahrungen, die sich in die Psyche des Individuums auf reflexivem Wege einschreiben. Denn erst in der Interaktion mit seiner sozialen Umwelt gewinnt der Mensch eine Ahnung davon, wer er ist. Durch seine Beziehungen hindurch erwirbt er ein Verhältnis zu sich selbst und zur Welt. Es ist die psychische Sedimentierung seiner Beziehungserfahrungen, die die eigene Persönlichkeit formen. Bis ins hohe Alter bleibt der Mensch auf diesen Kontakt zu anderen angewiesen, wenn er seelisch gesund bleiben will.

      Wenn solche intersubjektiv vermittelten seelischen Bildungsprozesse aus der Bahn geraten oder gar entgleisen, sprechen wir von psychischer Störung oder Krankheit. Dann finden wir auf der klinischen Ebene die intersubjektive Dimension auch in der Psychopathologie. In aller Regel gilt: Wo die Beziehungen zur sozialen Umwelt gestört sind, erkrankt auch die Seele, und wo die Seele erkrankt, sind auch die Beziehungen zur sozialen Umwelt gestört.

      3. Im klinischen Fokus der zeitgenössischen Psychoanalyse: Die psychotherapeutische Beziehung

      Was für das normale Seelenleben gilt, hat Gültigkeit auch für jene seelischen Erkrankungen, mit denen wir es in aller Regel im Behandlungszimmer zu tun haben. Sie werden nicht länger als isolierte Normabweichungen im Rahmen eines bestimmten Krankheitsmodells verstanden, sondern als Resultat einer gestörten Beziehungsgeschichte, die in neurotischen und psychotischen Symptomen, Borderline-Strukturen oder anderen Persönlichkeitsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten mit Krankheitscharakter ihren Niederschlag gefunden hat. Solche Einsichten verändern unser Verständnis der psychotherapeutischen Situation ebenso wie unser Selbstverständnis als Therapeuten.

      Vereinfacht gesagt steht klinisch nicht mehr der intrapsychische Konflikt des Patienten im Zentrum, den der Therapeut qua Deutung aufzulösen hat, sondern die Beziehung zwischen Patient und Therapeut, in der sich das problematische Verhältnis des Patienten zur Welt und zu sich selbst entfaltet. In der Dynamik von Übertragung und Gegenübertragung, aber auch in den vielfältigen Enactments, die den therapeutischen Prozess begleiten, erkennen wir Beziehungsangebote des Patienten, in die wir uns unvermeidlich verwickeln lassen und die wir eben deshalb gemeinsam mit ihm bearbeiten können.

      Zwar bleibt die psychotherapeutische Beziehung auch in dieser Neujustierung asymmetrisch, weil Analytiker und Analysant nach wie vor in unterschiedlichen Rollen am analytischen Prozess beteiligt sind. Sie bekommt aber eine egalitäre Färbung, weil der Analytiker der Wechselseitigkeit in der Beziehung mehr Aufmerksamkeit widmet, z. B. lässt er den Patienten an seinen therapeutischen Überlegungen teilhaben. Indem er seine Deutungen als probatorisch deklariert, anstatt sein Wissen mehr oder weniger autoritativ anzuwenden, verringert sich das Machtgefälle. Dass er sich – anders als in der klassischen Psychoanalyse – mehr im »Hier und Jetzt« bewegt und stärker als Person, als emotional engagierter und mitfühlender Teilnehmer zu erkennen gibt, verändert auch die Atmosphäre in der psychoanalytischen Situation.

      Diese Entwicklung hat freilich auch eine Kehrseite. Bestand das Ziel der Kur früher darin, den Patienten in die Lage zu versetzen, am Ende der Behandlung seine wirkliche Lebensgeschichte möglichst wahrhaftig zu erzählen, haben sich einflussreiche Schulen der Psychoanalyse im letzten Vierteljahrhundert von der Leitidee einer lebensgeschichtlichen Rekonstruktion zunehmend entfernt: In der psychoanalytischen Moderne wird eher konstruiert als rekonstruiert. Wo Übertragung einst als Widerstandsphänomen gegen unerträgliche Erinnerungen galt, geraten tatsächliche Erinnerungen unter Verdacht, im Dienste des Widerstands gegen die Übertragungsbeziehung zu stehen.

      In der auf Melanie Klein und Winfried Bion zurückgehenden Schule der Objektbeziehungstheorie geht es nahezu ausschließlich um die Beziehungsdynamik in der analytischen Situation: »History is rumor« (Bion). Es verwundert deshalb nicht, dass wir in manchen ihrer Falldarstellungen mehr über die Feinheiten des therapeutischen Mikrokosmos erfahren als über die wirkliche Biografie des Patienten. Und in den narrativen Ansätzen, die sich auf die phänomenologisch-hermeneutischen Traditionen der Philosophie berufen, wird gemeinsam mit dem Patienten bloß noch eine kohärente Geschichte erzeugt, ein Narrativ, das ohne Bezug zur außersprachlichen Wirklichkeit auszukommen meint.

      Im amerikanischen Intersubjektivismus wiederum neigt man epistemologisch einem radikalen Konstruktivismus zu, der Subjektivität und Intersubjektivität so stark in den Blick nimmt, dass Objektivität in Gestalt von lebensgeschichtlicher Vergangenheit und äußerer Realität weitgehend ausgeblendet wird. Dabei genügt ein »schwacher« Konstruktivismus (vgl. Cavell 2006), um den seelischen Paradoxien im Sinne Winnicotts erkenntnistheoretisch gerecht zu werden. Was Winnicott als lebenslange Aufgabe des Einzelnen betrachtete, nämlich innere und äußere Realität voneinander getrennt und doch in Verbindung zu halten, gilt auch für die psychoanalytische Situation: Wie der Säugling eine objektive Außenwelt vorfindet, die er subjektiv dennoch erfinden muss, wird die tatsächliche Vergangenheit des Patienten unter Mitwirkung des Therapeuten СКАЧАТЬ