Warum leiden?. Stefan Kiechle
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Название: Warum leiden?

Автор: Stefan Kiechle

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: Ignatianische Impulse

isbn: 9783429060053

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СКАЧАТЬ nicht hin, wenn seine Geschöpfe aus Gier einander umbringen?

      Was ist die rechte Haltung, in dieser guten und doch so ambivalenten Welt zu leben? Ignatius nennt sie »Indifferenz«: Was mir gegeben wird, nehme ich gerne an, was nicht, das lasse ich los; ob mein Leben lang ist oder kurz, gesund oder krank, reich oder arm, ist weniger wichtig. Ich erstrebe nur, was mir zum »Ziel« hin hilft, also zum Dienst und zum Lob Gottes. »Indifferent« meint bei ihm nicht »gleichgültig« – das wäre der moderne Begriff –, sondern »gleichförmig«: dem gegenüber, was mir – letztlich von Gott – zugedacht oder zugemutet wird. Der Indifferente ist frei von ungeordnetem persönlichem Begehren und daher verfügbar für den Dienst, der auf ihn zukommt. Indifferent zu werden ist ein lebenslanger Weg, der auf Erden nie beendet sein wird. Vor einer Entscheidung soll ich mich »indifferent machen« (EB 23), also gegenüber den konkreten Alternativen aktiv diese Haltung einnehmen; zugleich ist es eine allgemeine Grundhaltung, in der ich ein Leben lang wachsen und reifen soll. Das Ideal ist hoch – für die meisten unerreichbar? Warum ist es so schwer, indifferent und frei und verfügbar zu werden?

      Die Welt ist gut geschaffen. Der Mensch ist Spitze der Schöpfung und Ebenbild Gottes, was ihm seine Größe und Würde verleiht, ihn aber auch dazu verführt, die geschöpflichen Grenzen zu überschreiten und sein zu wollen wie Gott, also mehr zu begehren, als ihm zusteht. Dies ist eine Quelle des Leidens. Der Mensch soll sich um Indifferenz bemühen, also um die innere Freiheit, nur das anzunehmen, was ihm zugedacht ist, und dieses zu nutzen auf sein Ziel hin, zufrieden und verfügbar.

       Von der Freiheit des Menschen

      Das Stichwort der Freiheit fiel schon. Wovon und wozu ist der Mensch frei? Kann er sich zum Bösen oder zum Guten entscheiden? Ist er wirklich frei?

      Wichtige Strömungen der gegenwärtigen Naturwissenschaft, vor allem der Neurobiologie, bestreiten in hohem Maß die Freiheit des Menschen. Alles Verhalten – ich vereinfache stark – sei determiniert, jede Entscheidung eine feststehende chemische Reaktion des Gehirns. Die Wissenschaft habe zwar noch nicht ganz herausbekommen, dass und wie und warum das so ist, aber sie stehe kurz davor, diese These restlos zu beweisen. Sofort sei die klassische und eigentlich banale Gegenfrage gestellt, wer das erforscht und aus welchem Geist und ob nicht der Forscher im Forschen eigentlich frei agiere oder wer oder was ihn dazu determiniere, was eigentlich sein »Beweisen« sei, wenn nicht eine freie Bewegung des Denkens, die er auch sein lassen könnte. Wie dem auch sei, ich kann und will dies hier nicht vertiefen, sondern mich auf die theologisch-spirituellen Aspekte beschränken.

      Mit der Bibel, mit der christlichen Tradition, mit den geistlichen Meistern wohl aller Religionen, mit jeglichem Rechtsdenken und übrigens auch, ganz einfach, mit der alltäglichen Erfahrung gehe ich davon aus, dass es ein gewisses Maß an Freiheit im Verhalten gibt, folglich eine sittliche Verantwortung, folglich ein Böses und Sünde und Schuld. Die bohrende Frage nach dem durch Böses verursachten Leiden hat also ihr Recht – und ihre Pflicht. Der Mensch hat oft – natürlich nicht immer – eine freie Wahl, sich so oder anders zu entscheiden, diese gute Tat zu tun oder zu lassen und ebenso jene böse Tat zu tun oder zu lassen. Er hat dafür eine Verantwortung und ein Gewissen – das selbstverständlich zu bilden ist und das irren kann. Am Ende des Lebens wird er Rechenschaft über seine Taten ablegen müssen. Ignatius kennt in den Exerzitien zwei Etappen oder Stufen des persönlichen Weges zur Freiheit: In der »ersten Woche« geht es um die – formal freie – Entscheidung zwischen Gut und Böse. Diese Entscheidung ist aller-dings nicht wirklich frei, denn das Böse darf man ja nicht wählen. Würde man das Böse wählen, missbrauchte man seine Freiheit, anstatt sie zu gebrauchen; man würde sie verwirken und verlieren, denn mit der Wahl des Bösen ist man gebunden und verloren an das Böse und an seine zerstörerische Gewalt – die literarische Figur dazu ist Goethes Faust. Wer aus Gier und mit unsittlichen Mitteln große Summen Geldes rafft, um danach »frei« shoppen zu gehen und seiner Lust zu frönen, ist eben nur in Anführungszeichen »frei«, denn sittlich hat er seine Würde und damit sein Menschsein längst aufgegeben. Freiheit ist immer Freiheit zum Guten – ohne diesen gefüllten Freiheitsbegriff kann man sich der Frage des Bösen nicht nähern. Diese erste »Stufe« des Weges will nicht zu Entscheidungen führen, sondern die immer geforderte Entschiedenheit zum Guten stärken!

      In der »zweiten Woche«, der nächsten Etappe des spirituellen Wegs, geht es, nachdem man sich von der Hinneigung zum Bösen nach Möglichkeit frei gemacht hat, um die Wahl zwischen mehreren guten Alternativen, also um die Wahl zwischen Gut und Besser. Diese Wahl ist frei. Es geht nicht mehr um Sittlichkeit, denn diese ist bei allen Alternativen gegeben. Es geht um die größere Hingabe – ignatianisch um das magis, das »Mehr«: um das größere Lob und den größeren Dienst, um die größere Nähe zu Gott und die größere Fülle des Lebens. Niemand zwingt zum Besseren, auch Gott nicht. Gott lädt ein dazu – der Mensch nimmt die Einladung frei und zu seinem Wohl an. Natürlich sind »erste« und »zweite Woche« nicht immer randscharf zu trennen; oft fließen sie ineinander und verschränken sich.

      Wie ist das aber mit äußeren und inneren Zwängen? Manchmal zwingen äußere Umstände, das Böse zu wählen, etwa wenn in einer Firma der Geschäftsführer bestechen muss, um Aufträge zu bekommen und so das Unternehmen und dessen Arbeitsplätze zu retten. In solchen Fällen gilt es, Güter abzuwägen – ein Thema der Moral, das ich hier nicht vertiefen kann. Doch die Frage stellt sich: Was ist, wenn man zu Bösem gezwungen ist? Wenn man sich die Hände schmutzig machen muss? Wer ist dann »schuld«? Wer verantwortet das so in die Welt gesetzte Leiden, etwa wenn Bestechung die Wirtschaft korrumpiert und die Ungerechtigkeit der Welt immer weiter grausam vergrößert? Warum lässt Gott dieses Leiden zu? Oder: Warum lässt er Umstände zu, die solches Leiden erzeugen?

      Innere Zwänge sind noch bedrückender: Persönlichkeitsstörungen führen zu unfreiem Verhalten, wenn etwa der Zwangsgestörte sich ständig waschen muss oder der narzisstisch Gestörte alles Tun seiner Gier, bewundert zu werden, unterwirft. Psychische Krankheiten engen noch stärker ein: Wer in einer Psychose zur Gewalttat schreitet, ist nicht frei, also nicht schuldfähig – die forensische Psychiatrie muss das im Einzelfall beurteilen. Warum gibt es diese Übel? Warum können so viele Menschen sich nicht wenigstens frei für das Gute entscheiden? Wo es um seelische Störungen oder um Krankheit geht, ist festzuhalten, dass es Freiheit und somit sittliche Verantwortung nur in dem »Teil« der Psyche gibt, der »gesund« ist. In diesem Teil kann man das Gewissen bilden, kann man Gut und Böse unterscheiden lernen, kann man frei wählen und dafür auch Verantwortung übernehmen. In manchen Fällen wird dieser Teil sehr klein sein oder gar nicht existieren. Auch hier stellt sich wieder die Frage, warum das so ist, warum Gott so selten diese Störungen heilt und warum viele Kranke Unsägliches leiden müssen.

       Der Mensch hat ein gewisses Maß an sittlicher Freiheit. Mit diesem soll er sich zum Guten entscheiden, tut es aber aufgrund seiner Begierlichkeit oft nicht. Äußere und innere Zwänge schränken die Freiheit ein, was aber oft nur neues Leiden verursacht. Es bleiben Fragen: Warum missbraucht der Mensch, wo er frei ist, so oft diese Freiheit und wählt das Böse? Warum ist er – umgekehrt – oft unfrei und wählt in dieser Unfreiheit wiederum Böses und erzeugt dadurch noch mehr Leiden?

       Eine Unterscheidung: das moralisch Böse – das physisch Böse

      Im Jahr 1710 – vor genau 300 Jahren – veröffentlichte der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibnitz das Buch »Essais de théodicée« zum Problem, wie man angesichts des Bösen Gott und den Glauben an ihn rechtfertigen kann. Fortan wurde das Thema immer mit dem Stichwort Theodizee verbunden. Im Anschluss an Leibnitz unterscheidet man seither zwei »Arten« des Bösen. Für unser Nachdenken wird diese Unterscheidung hilfreich sein: Das moralisch Böse (lat. malum morale) ist Tat des Menschen: Aktiv, in der Regel auch bewusst und gewollt, fügt er frei СКАЧАТЬ