Название: Gott - Offenbarung - Heilswege
Автор: Hans-Joachim Höhn
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783429060213
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17 Zum Folgenden vgl. ausführlich H.-J. HÖHN, Der fremde Gott. Glaube in postsäkularer Kultur, Würzburg 2008. Zum Ganzen siehe auch die Problemskizze von J. WERBICK, Gottesglaube und Gotteslehre nach dem „Tod Gottes“, in: Ders., Vergewisserungen im interreligiösen Feld, Berlin 2011, 33–59.
18 Vgl. A. BENK, Gott ist nicht gut und nicht gerecht. Zum Gottesbild der Gegenwart, Düsseldorf 2008.
19 Zur Rekonstruktion der höchst vielschichtigen Umsetzung dieser Option siehe Ch. TAYLOR, Ein säkulares Zeitalter, Frankfurt 2009.
20 F. NIETZSCHE, Die fröhliche Wissenschaft, Aphorismus 84 (KSA 3, 439). Vgl. bereits MEISTER ECKHART, Predigt 16: „Aber manche Leute wollen Gott mit den Augen ansehen, mit denen sie eine Kuh ansehen und wollen Gott lieben wie sie eine Kuh lieben. Die liebst du wegen der Milch und des Käses und deines eigenen Nutzens. So halten’s alle jene Leute, die Gott um äußeren Reichtums oder inneren Trostes willen lieben; die aber lieben Gott nicht recht, sondern sie lieben ihren Eigennutz“ (in: Ders., Deutsche Predigten und Traktate. Hg. v. J. Quint, Zürich 1979, 227).
21 J. WERBICK, Gott verbindlich. Eine theologische Gotteslehre, Freiburg/Basel/Wien 2007, 48.
§ 2 Streitlust:
Theologie im Format des Plädoyers
Auch wer sich in der Kunst der Bestreitung übt, ist dem Ideal der Ausgewogenheit verpflichtet und muss daher ausdrücklich Gegenstimmen zulassen und ihnen zu ihrem Recht verhelfen. Es geht hier nicht um Rechthaberei, denn wo eine Partei Recht hat, sollte ihr auch Recht gegeben werden – selbst wenn es die Gegenseite ist. Alles andere führt zu überflüssigem Theologengezänk. Darauf ist von Anfang an zu achten. Streit, ja – Streiterei, nein! Aber dennoch lebt die Kunst der Bestreitung davon, dass man engagiert Partei für das eigene Anliegen ergreift. Diesem Engagement entspricht als Diskurs- und Sprachstil das Plädoyer. Wer ein Plädoyer hält, weiß darum, dass eine Sache zur Entscheidung ansteht. Darum wird mit aller Entschiedenheit und Eindeutigkeit vorgetragen, was für einen bestimmten Ausgang des Streites spricht. Das Plädoyer zielt auf einen Konsens, wo noch ein Dissens besteht. Es wirbt für eine Überzeugung, die noch nicht von allen geteilt wird. Es steht am Ende eines Prozesses der Wahrheits- und Rechtsfindung, aber es beansprucht nicht das letzte Wort. Nach der Beweisaufnahme, der Anhörung der miteinander streitenden Parteien, der Einvernahme von Zeugen und Sachverständigen richtet das Plädoyer einen Appell an Richter und Geschworene, die darüber zu befinden haben, was Recht ist und wer im Recht ist. Ein solches Plädoyer drängt darauf, dass sich seine Adressaten alle Argumente noch einmal durch den Kopf gehen lassen und sich dann ein eigenes Urteil bilden.22 Vorher werden Staatsanwalt und Verteidiger alles in die Waagschale werfen, wovon sie überzeugt sind. Dabei müssen sie alle Register ziehen, an Lebenserfahrung, den abwägenden Verstand und die prüfende Urteilskraft ebenso appellieren wie darauf setzen, dass man sich manche Hinweise auch zu Herzen gehen lassen sollte. Bei einem Plädoyer darf es durchaus temperamentvoll zugehen, an argumentativer Schärfe sollte es ohnehin nie fehlen und pointierte Zuspitzungen sind allemal erlaubt.
Wer ein Plädoyer hält, lässt dies in Sprache und Stil frühzeitig erkennen. Bereits die Grammatik des Vortrages macht deutlich: Hier spricht jemand in der ersten Person Singular. In der Theologie galt dies lange Zeit als unstatthaft. Man argwöhnte, hier wolle sich jemand selbst in den Vordergrund schieben, statt einem Gedanken oder einem Argument Raum zu geben. Wer sich prätentiös als Vordenker ausgibt, schafft ein erstes Indiz dafür, in Wahrheit und Wirklichkeit keiner zu sein. Große Denker erkennt man daran, dass sie hinter ihrem Denken zurücktreten. Sie wollen Nachdenklichkeit erzeugen und dazu beitragen, dass die Angesprochenen ins Nachdenken kommen. Sie setzen darauf, dass die vorgetragenen Gedanken so einleuchtend sind, dass diejenigen, die ins Nachdenken gekommen sind, sie sich am Ende zu eigen machen können. Nicht mit ihrer Persönlichkeit wollen sie imponieren; ihnen geht es vielmehr darum, Bedenkenswertes zu exponieren. Gleichwohl führt kein Weg daran vorbei, dass sich bei einem Plädoyer für die Denkbarkeit des Glaubens auch der Wortführer einer solchen Rede exponieren, d. h. der Nachfrage und Kritik aussetzen muss.
Mit kritischen Nachfragen ist zu rechnen, da bei einem solchen Plädoyer nicht der Glaube, sondern die Vernunft Regie führt. Ihr genügen religiöse Zeugnisse nicht, wenn sie nicht auch denkerisch überzeugen können. Und sie lässt sich nur auf Überzeugungen ein, die sich in Argumentationen übersetzen lassen. Nur was argumentativ vertretbar ist, kann zustimmungsfähig sein. Die Vernunft drängt darauf, dass man sich in der Theologie darüber Gedanken macht, was man unter den Bedingungen der Moderne vernünftigerweise glauben kann.23 Was ist in der Gegenwart glaubwürdig und rational vertretbar als Basis und Kern des christlichen Glaubens? Was ist daran strittig und über welche Inhalte lohnt ein Streit?
1. Theologisches Leitmotiv:
Zum Glauben kommen – Vernunft annehmen
Dass Anliegen, Inhalt und Ziel des christlichen Glaubens mit den Mitteln der Vernunft immer wieder neu verständlich zu machen sind, leuchtet vielen Gläubigen nicht sogleich ein. Für sie ist das, was der Glaube vertritt, eine Selbstverständlichkeit: Es versteht sich für sie von selbst, dass Gott existiert, dass er allmächtig ist und darum die Naturgesetze außer Kraft setzen und in die Abläufe der Welt eingreifen kann (wovon er bei Offenbarungsakten oder Wundern angeblich auch Gebrauch macht). Religiöse Menschen sind bisweilen unfähig zu verstehen, warum sie mit ihren Überzeugungen auf Unverständnis stoßen. Sie können für das Unverständnis ihrer säkularen Zeitgenossen kein Verständnis aufbringen, da sie ja überzeugt sind, für etwas Selbstverständliches einzustehen.
Auftrag der Fundamentaltheologie ist es darum auch, gegenüber den Glaubenden verständlich zu machen, warum sie von ihren säkularen Zeitgenossen nicht verstanden werden. Im Gegenzug hat sie einsichtig zu machen, dass und warum sich Glaubende von ihren Kritikern missverstanden fühlen. Bisweilen begegnet den Christen bei ihren Kritikern spiegelbildlich ein Verhalten, das man sonst ihnen vorwirft. Auch Kritik kann borniert sein, auch Verfechter der Aufklärung pflegen bisweilen die Selbstprofilierung über die Beschwörung von Klischees und Vorurteilen, auch bei ihnen trifft man auf Rechthaberei, Polemik und Bluff. Es ihnen mit gleicher Münze heimzuzahlen ist kontraproduktiv. Wo theologische Streitlust aufkommt, wo die Theologie ihre Streitkräfte einberuft, darf sie diese mit nichts anderem ausstatten als mit den Waffen diskursiver Argumentation.24
Eine Fundamentaltheologie, die nicht mehr die Kraft aufbringt zur systematisch-kritischen Reflexion einer Glaubenspraxis, die gegenüber Zweifeln und Kritik Rede und Antwort stehen kann, bleibt den Glaubenden etwas Entscheidendes schuldig. Kritische Nachdenklichkeit ist eine Maßnahme der Prophylaxe. Sie dient der Verhinderung von negativen Konsequenzen gedankenloser Praxis. Gerade angesichts der Herausforderungen der Gegenwart können sich Christen keine Glaubenspraxis leisten, die unbedacht oder kopflos vorgeht. Dabei ist es unumgänglich, dass der Glaube bei Zeiten zur Vernunft kommt. Vernunft ist dadurch definiert, dass es ihr um alles geht, „was recht ist“. Damit es auch in Glaubensangelegenheiten mit rechten Dingen zugeht, braucht es ein Optimum des Glaubens und ein Maximum an Vernunft. An beidem muss die Theologie gleichermaßen interessiert sein.
Allerdings erheben sich gegen ein solches Vorgehen bereits zu Anfang gravierende Einwände: Sind die Glaubwürdigkeit und die Verantwortbarkeit des Glaubens und seiner Vermittlung deckungsgleich? Kann man hier wirklich der Vernunft trauen? Welches Format von Rationalität verdient das in die Vernunft СКАЧАТЬ