Название: Schuld ohne Reue
Автор: Günther Drutschmann
Издательство: Автор
Жанр: Короткие любовные романы
isbn: 9783954889181
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»Außerdem haben sie keine Vorurteile gegen uns Juden«, meinte Jaakov, »sonst wäre sie nicht ins Judenviertel gezogen.«
»Aber wir sind doch keine reinrassigen Juden mehr«, lachte Rachel, «schau dich nur an. Die Religion spielt in deiner und meiner Familie keine Rolle mehr. Dein Vater ist ein reicher Mann, dein älterer Bruder wird einmal das Geschäft erben und du bist ein aufstrebender Rechtsanwalt mit einem Doktortitel. Wir gehen nicht in die Synagoge und viele unserer Bekannten und Freunde sind Nichtjuden.«
»Familie Trotz hingegen ist sehr religiös«, murmelte Jaakov, »sie gehen jeden Sonntag in die Kirche. Aber er ist auch konservativ eingestellt, liebt den Kaiser und das preußische System, das sieht man ihm an.«
»Und du«, fragte Rachel. »Was bist du?«
»Ein wenig anders wie er, und das ich auf der bürgerlichen Stufe höher stehe. Ich denke auch konservativ mit einem Einschlag von Liberalität und bin stolz auf unser Land. Mit dem Kaiser habe ich es nicht so, er ist mir etwas zu aufgeblasen. Ich bin in erster Linie Deutscher und dann erst Jude. Allerdings wünschte ich mir als Bürgerlicher mehr Einflussmöglichkeiten in Staat und Gesellschaft. Dass bei uns der Adel und das Militär den Ton angeben, gefällt mir nicht. Vielleicht sympathisiere ich etwas mit den Ideen von Karl Marx. Die Arbeiterfrage scheint mir wichtig und ich sehe darin Sprengstoff für die Zukunft.«
Sie aßen einen Augenblick schweigend weiter.
»Diese Köpenick Geschichte gefällt mir nicht«, begann er wieder, »ich bin auch für Gehorsam, aber nicht um jeden Preis. Wohin soll das führen. Das Militär hat bei uns sowieso zu viel zu sagen. Dabei ist die politische Lage nicht so rosig, wie das auf den ersten Augenblick aussieht. Wir sind von Bündnissen umzingelt und ein Krieg scheint auf längere Sicht nicht ausgeschlossen. In England und Frankreich bestimmt die Politik die Richtung, bei uns ist das umgekehrt, die Politik überlässt das Primat dem Militär. Das beste Beispiel ist das Flottenprogramm. Weil dieser verrückte Tirpitz den Kaiser beeinflusst, haben wir England als Bündnispartner verloren. Das wird einmal fatale Folgen haben.
Militärs sind immer für den Krieg und sie kennen nur Befehl und Gehorsam. Darauf ist ihr System aufgebaut, aber blinder Gehorsam führt in die Katastrophe. Und dieser Hauptmann hat uns doch gezeigt, wie schwach und brüchig das System letztendlich ist. Alles auf blinden Gehorsam aufbauen, wie die Lemminge einem Führer nachlaufen und in den Untergang.«
»Übertreibst du nicht ein bisschen Jaakov«, schmunzelte Rachel, »es war ein Schelmenstreich sonst nichts.«
»Bei uns haben der Adel und das Militär das Sagen. Aber rings um uns herum verändern sich die Gesellschaften. Wir leben nicht mehr wie zu Bismarcks Zeiten. Er konnte Kriege beginnen und beenden, ohne das viel Schaden angerichtet wurde. Er hatte klare Ziele und wusste was er wollte. Unsere heutigen Regierenden haben das nicht. Sie wollen erhalten und nichts verändern. Aber die Gesellschaft verändert sich, auch bei uns. Hoffentlich werden wir nicht einmal in einen Strudel hineingezogen, der uns böse zu schaffen machen kann.«
»Jaakov, Jaakov, du und die Politik«, lächelte Rachel, »sage das nicht Vater, er wird dich streng rügen.«
»Er würde mir am liebsten eine Tracht Prügel versetzten, wenn er das noch könnte«, lachte Jaakov, »Kinder haben nicht gegen die geheiligte Ordnung zu stehen. Wir wurden im Obrigkeitssinne erzogen, er duldete keinen Widerspruch. Wer nicht gehorchte, wurde ordentlich durchgeprügelt, mein Bruder und ich bekamen einige Kostproben davon.«
»Und du?«, fragte Rachel, »wirst du deine Kinder auch so durchprügeln, sollten sie anderer Meinung sein als du?«
»Nein«, entgegnete er mit Bestimmtheit«, das werde ich nicht tun. Ich denke nicht wie Vater und seine Generation. Wie ich schon sagte, ich bin auch für Autorität und Gehorsam, aber alles mit Maß und Ziel. Im Studium kam ich mit den Ideen von Karl Marx und Engels in Berührung und war in einem Kreis liberaler Studenten. Ich glaube nicht, dass Prügel einen Menschen besser macht und ein Kind schon gar nicht. Spricht nicht dieser Sigmund Freud von frühkindlichen Traumen. Was für eine Gesellschaft ist das, in der die Kinder schon früh durchgeprügelt werden, was wird aus ihnen?«
»Liebe und Geborgenheit gepaart mit Verständnis sind wichtiger als Prügel und blinder Gehorsam«, pflichtete Rachel ihm bei, »und außerdem bin ich dafür, dass wir Frauen das Wahlrecht bekommen. Darin bin ich mit Frau Trotz von unter uns einig, sie sieht das auch so.«
»Jaja, ihr Frauen«, schmunzelte Jaakov, »da seid ihr euch einig. Aber Unrecht habt ihr nicht. Warum sollten Frauen nicht das Wahlrecht bekommen, wenn sie schon studieren dürfen oder als Lehrerinnen und Erzieherinnen tätig sind. Aber in unserer derzeitigen Gesellschaft werdet ihr lange darauf warten müssen. Oder glaubst du wirklich, dass diese aristokratischen preußischen Eisenfresser euch das gewähren würden?«
»Sicher nicht«, lachte Rachel, »willst du Kaffee und einen Cognac?«
»Gerne lieber Schatz und eine Zigarette dazu«
Er umfasste sie und gab ihr einen Kuss.
Das Jahr 1913
1.
Die Küche war blitzeblank. Kindergeschrei drang aus irgendeinem Zimmer der Wohnung.
Anna stürmte in die Küche und murmelte:
»Es kocht, oh je, oh je.« Dann lüftete sie den Deckel.
Michael blätterte seine Zeitung um und hieb sie mit der Hand glatt. Ein Geräusch, das stets anzeigt, wie sehr der Mensch doch Herr seiner Zeitung ist.
Die Schranktüre des Küchenschranks knarrte, als sie geöffnet und wieder geschlossen wurde.
Teller klapperten und fanden erst Ruhe, als sie ihren Platz auf dem Tisch fanden. Besteck schepperte. Michael legte seine Zeitung zusammen und schaute auf die Uhr. Dann sah er Anna an.
«Na, wie ist es? Es dauert heute ziemlich lange, bis wir zu Abend essen können.«
Anna stach mit einem Messer in die Kartoffeln und meinte lakonisch.
»Du bist heute zu früh vom Dienst erschienen.«
Michael schlug seine Zeitung wieder auf und meinte nur. »Hm, hm.«
Er hatte einen ausgeprägten Ordnungssinn. Die Mahlzeiten mussten pünktlich erfolgen, er hasste Nachlässigkeiten. Das war gegen die heilige Ordnung.
Die Kinder stürmten in die Küche, der fünfjährige Peter als ältester der Kinderschar voran, ihm folgend die vierjährige Wilhelmine, genannt Minchen und der dreijährige Wolfgang, genannt Wolfi. Im Schlafzimmer der Eltern schlief der Jüngste der Schar, der gerade geborene Franz.
Anna setzte die Kinder auf ihre Stühle und ermahnte sie, brav zu sein. Michael schaute stirnrunzelnd auf die Unruhe neben sich und die Kinder verstummten langsam. Nur Minchen hampelte noch etwas herum. Michael war stolz auf seine gut geratenen Kinder, sowie er stolz auf seine Familie war.
»Minchen, hampele nicht so herum und sitz stille«, ermahnte er sie stirnrunzelnd.
Minchen schien das nicht zu stören und turnte weiter auf ihrem Stuhl herum. Michael stand wortlos auf, ging zu ihr hin und verabreichte ihr zwei kräftige Ohrfeigen, das es nur СКАЧАТЬ