Schuld ohne Reue. Günther Drutschmann
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Название: Schuld ohne Reue

Автор: Günther Drutschmann

Издательство: Автор

Жанр: Короткие любовные романы

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isbn: 9783954889181

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СКАЧАТЬ Gang. Papa hatte die Mahlzeit vorzeitig aufgehoben. Normalerweise durfte kein Kind aufstehen, wenn die Eltern nicht die Erlaubnis dazu gaben. Die Kinder halfen Anna beim Abräumen des Tisches und gingen danach ins Kinderzimmer. Hier nahm sich Peter die Geschwister vor, vor allem Minchen.

      »Wenn Papa etwas sagt, haben wir zu gehorchen, du auch Minchen, auch du Wolfi, auch wenn du ein Schreihals bist. Minchen lass die Faxen. Das reizt Papa nur und wir bekommen es alle ab. Reiß dich zusammen.«

      Minchen nickte, auf Peter hörte sie. Anna kam ins Zimmer und sah sofort die Situation. Sie nickte Peter aufmunternd zu, ihrem Großen, der auch ihr Lieblingskind war.

      »Fertigmachen zum Bettgehen«, ertönte es jetzt von ihr und die Kinder begannen die gewohnten Rituale.

      Der Probenraum des 1903 gegründeten Post-Männerchors lag nicht weit von Michaels Wohnung entfernt, im Gebäude des Hauptpostamtes. Vor dem weitläufigen Haus traf er seinen Schwiegervater Bernhard Bläsius, den pensionierten Postillion und beide gingen nach kurzer Begrüßung in den Probenraum. Hier waren schon mehrere Sangesbrüder versammelt, man begrüßte sich und schwatzte noch etwas herum.

      Der Dirigent erschien und mahnte alle, ihre Plätze einzunehmen. Jeder wusste, wohin er gehörte. Der Chor war ungefähr hundert Mann stark, davon heute ungefähr sechzig anwesend und hatte in der Region einen guten Ruf. Es dauerte eine Weile, bis alle auf ihren Stühlen saßen. Michael besaß eine gute Baritonstimme, er saß neben seinem Schwiegervater, mit dem er sich sehr gut verstand. Durch den Postmännerchor, dem er 1904 sofort nach seinem Eintritt in den Postdient beitrat, hatte er Anna kennengelernt. Michael und Bernhard verstanden sich von Anfang an gut und so ergab es sich, dass sie auch privat miteinander verkehrten.

      »Meine Herren, darf ich um Ruhe bitten. Wir haben nicht viel Zeit und noch viel zu tun.«

      Dirigenten in aller Welt und zu allen Zeiten sprechen so.

      »Wir wollen die Stücke probieren, die wir anlässlich des Kaiserbesuches vortragen wollen. Ihr wisst, wir haben die hohe Ehre, dem Kaiser eine Probe unseres Könnens vorzustellen.«

      Michael war in diesem Augenblick stolz, diesem Chor anzugehören, erstens weil er gerne sang, zum anderen, weil er dem geliebten und verehrten Kaiser sehr nahe sein würde. Welch eine große Auszeichnung .

      Nach einigen Lockerungsübungen begannen sie, das Programm durchzusingen. Aber schon beim ersten Lied stockte es. Der Dirigent schüttelte missbilligend den Kopf.

      »Männer, was singt ihr da? Singt ihr nach Noten oder nach was. Richtige Noten, aber nicht in der richtigen Reihenfolge. Der Kaiser wird sich alle Haare bei dem Singsang ausreißen.« Dies war natürlich stark übertrieben, aber bei allen Dirigenten der Welt so üblich.

      Die Chormitglieder waren nicht überrascht, sie kannten das Repertoire ihres Chefs.

      Was wurde nun geübt? Gutes deutsches Liedgut, von der Heimat, dem Walde, dem guten Mond, der so stille geht, das Ännchen von Tharau und vieles mehr. Lassen wir den Chor in Ruhe weiterüben, damit sie den hochverehrten Kaiser mit ihrer Sangeskunst erfreuen können.

      Nach ungefähr zwei Stunden war die Probe beendet. Der Chor zerfiel nun in viele Einzelgruppen, die noch etwas herumstanden und redeten. Langsam löste sich die Versammlung auf. Ein Teil des Chores ging nicht nach Hause, sondern in das nahegelegene Vereinslokal »Zur Kiste«, ein gutbürgerliches Speiselokal mit einer Schwemme. Dort traf man sich nach kurzem Weg gerne zu einem Glas Bier.

      »Na Michael«, fragte sein Schwiegervater, »wie geht es so auf der Post und zuhause?«

      Sie saßen mit vier oder fünf Sangesbrüdern an einem Tisch, jeder ein Glas Bier vor sich, außer Michael, der lieber Viez trank. Die Zigarren qualmten.

      »Auf der Post geht es gut. Ich bin seit vier Wochen nicht mehr im Außendienst. Mein Chef ist endlich damit einverstanden, dass ich als Anwärter für den einfachen Postdienst im Beamtenverhältnis vorgesehen bin. Ich mache jetzt mehrere Praktika im Innendienst, um zu sehen, wo ich am besten einzusetzen bin. Zurzeit bin ich im Telegraphenamt. Ist nicht schlecht, aber mir schwebt eine Schreibtischarbeit vor.«

      »Recht hast du«, sagte sein Tischnachbar, »der Schreibtisch ist immer das Beste. Sie haben sich lange Zeit gelassen, bis sie dich weiterförderten.«

      »Das bin ich auch ein bisschen Schuld. Wenn ich die Beamtenlaufbahn einschlagen will, verdiente ich am Anfang weniger als Angestellter. Die Ehre, dem Staat zu dienen, verlangt das von mir. Ich habe inzwischen eine große Familie und deshalb zögerte ich die Entscheidung auch etwas heraus. Natürlich wollte mich mein Chef auch nicht gehen lassen.«

      »Als Beamter hast du aber mehr Vorteile«, mischte sich sein Schwiegervater ein, »du bis unkündbar, bekommst später eine Pension und wirst dann auch mehr verdienen. Du hast gute Chancen für den mittleren Dienst.«

      »Soweit bin ich noch lange nicht«, schmunzelte Michael, »wenn alles gutgeht, werde ich zum ersten April nächsten Jahres als Postschaffner in das Beamtenverhältnis übernommen. Hoffentlich kein Aprilscherz«

      Die Runde lachte, fast alle waren im Beamtenverhältnis.

      »Bis zum mittleren Dienst wirst du aber noch viel büffeln müssen. Der Weg dahin ist lang und beschwerlich«, meinte ein anderer Sangesbruder.

      »Michael schafft das schon«, kam ihm sein Schwiegervater zu Hilfe.

      »Ich nehme etwas Unterricht bei einem alten Lehrer, der früher Annas Lehrer war. Du kennst ihn Bernhard, es ist der Lehrer Wagner. Er hilft mir vor allem in Deutsch und gibt mir den letzten Schliff, aber auch in Geschichte, Staatsbürgerkunde und Geografie.«

      Die anderen nickten. Da saßen sie nun in der Schwemme der Kiste, ein rustikal eingerichteter großer Schankraum, Angehöriger der Post, stolz auf ihre Stellung, bei der Behörde zu arbeiten, im Staatsdienst, einen Zipfel der Krone des Kaisers mittragend. Der Biedersinn stand ihnen im Gesicht geschrieben. Auf der Jakobsleiter der Ämterhierarchie saßen sie auf verschiedenen Stufen und waren zufrieden mit ihrem Los. Dass sie politisch nichts zu sagen hatten, störte sie nicht. Sie sahen diese Ordnung als gottgegeben an und lebten in der Überzeugung, dass in Berlin schon das Richtige gemacht werde. Der Politik, die das Kaiserreich in den letzten Jahren steuerte, stimmten sie zu. Auf die Arbeiterschaft und die Sozialdemokratie sahen sie herablassend, diese standen außerhalb des Gesellschaftssystems. Der Glanz und das Gloria des preußischen Militärsystem, dieses absoluten Obrigkeitssystem, das keinen Widerspruch duldete, wurde von ihnen mitgetragen, kritiklos hingenommen. Sie gehorchten gerne, war dieser Gehorsam doch mit solch schönen Attributen wie Ehre und Vaterland, mit blinkenden Uniformen und schillernder Wehr, mit schönen Orden, Fahnen und Glockenklang versüßt. Jeder hatte seinen Platz und so gut es geht auszufüllen. Sie hielten diese Ordnung für unerschütterlich und sie selbst Garanten dieser Stabilität. Das diese Ordnung im Inneren brüchig war, sahen sie nicht, dass in Berlin ein gefährlicher außenpolitischer Kurs der Isolation gesteuert wurde, bemerkten sie ebenfalls nicht.

      Alle Reformversuche der letzten Jahre wurden von einer ultrakonservativen Adelskaste verhindert. Reichskanzler von Bethmann-Holweg hatte ernsthaft versucht, liberalere Töne in die Gesellschaft zu bringen, so zum Beispiel die Abschaffung des Drei-Klassenwahlrechts in Preußen. Alles vergebens, die ultrakonservativen Kräfte wussten jeden noch so kleinen Absatz zu verhindern.

      Es gibt ein schönes Bild aus jenen Tagen. Es zeigt den Kaiser mit seinen Söhnen auf dem Weg zum Kirchgang. Es liegt so viel Aufgeblasenheit und Arroganz in diesem Bild, schaut, uns gehört Deutschland, wir haben hier das Sagen und können machen was wir wollen. Unsere СКАЧАТЬ