Am Sonntag geht Gott angeln. Dirk Grosser
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Название: Am Sonntag geht Gott angeln

Автор: Dirk Grosser

Издательство: Автор

Жанр: Религия: прочее

Серия:

isbn: 9783532600528

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СКАЧАТЬ Leute, die wohl aus Versehen hier waren, auf einem Sammelsurium von Küchen- und Schaukelstühlen, Sesseln und Melkschemeln versammelten. Offenbar teilten alle Mitglieder der Familie O’Laoire die Vorliebe ihres weitgereisten Sohnes Seán für afrikanische Temperaturverhältnisse. Während sich mein T-Shirt langsam, aber sicher in eine Salzkraterlandschaft verwandelte, saßen die lustigen Iren in Strickpullis um das munter prasselnde Feuer und fühlten sich pudelwohl.

      Vielleicht musste ich mir bewusst machen, dass das Herdfeuer der irische Inbegriff schlechthin für Gastfreundschaft war – schließlich taucht dieser Begriff in jedem dritten irischen Segenswunsch auf – und so wurde das Feuer angefacht, weil ein Gast da war, und nicht etwa, weil es kalt war. Da musste man einfach durch!

      Es gab Scones, Tee, Bier und ein freundliches Lachen aus jeder Ecke. Padraig, der steinalte Nachbar, den ich nie in etwas anderem als seinem ölverschmierten Blaumann sah, gab zahnlos eine Geschichte nach der anderen zum Besten, die alle köstlich zu amüsieren schienen. Obwohl er angeblich Englisch sprach, verstand ich allerdings nicht ein einziges Wort.

      Aber bald begannen auch andere zu erzählen und es entspann sich ein Hin und Her aus Mythen, Märchen und Geistergeschichten. Die Túatha Dé Danann schwebten durch den Rauch des Feuers, Fionn mac Cumhaills Weissagungskünste wurden gepriesen, Airmeds Umhang hüllte uns ein, und immer wieder wurde Bezug genommen auf Merkmale der Landschaft: „Westlich von Sligo steht ein Stein … Auf dem Hügel hinter dem Haus meines Großvaters … Auf dem Feld von Connor O’Douglan … An der Westküste von Inis Mór …“ So begannen viele Sätze, die irgendwann nach Stunden ineinander verschwammen, fast zu einem Hintergrundgeräusch wurden, das mich in vereinter Kraft mit dem einen oder anderen Stout und der saunaartigen Hitze einlullte. Ich fühlte mich der Zeit entrückt, hörte Seán von Brans nicht enden wollender Reise erzählen, dachte kurz, er spräche über mich, und fühlte mit einem Schlag den Unterschied zwischen den verwurzelten Menschen hier und meiner eigenen Rastlosigkeit und fehlenden Zugehörigkeit.

      Ich stand etwas schwindelig auf und ging nach draußen, wo mich ein glitzernder Sternenhimmel erwartete, der mich sonst stets faszinierte und beflügelte, mich heute aber einfach noch verlorener fühlen ließ als sonst schon.

      „Wir sind alle hier“, sagte Seán plötzlich neben mir, und ich erschrak, als hätte mir eine Banshee auf die Schulter geklopft. „Wir alle auf diesem kleinen blau-grünen Ball, der mit 107.000 km/h durchs All rast. Verrückt, oder?“

      Solche Zahlenbeispiele hat Seán ständig auf Lager, da schlägt der Mathematiker in ihm diabolische Doppel-Salti.

      Und nichts macht ihm mehr Freude, als bei seinen Vorträgen die Zuhörer mit entsprechenden Infos zum Staunen und mich als seinen Übersetzer zur Verzweiflung zu bringen. Schon mal die Drake-Gleichung zur Schätzung der Anzahl intelligenter Zivilisationen innerhalb unserer Galaxie aus dem Englischen übersetzt, die ein irischer Schnellsprechkünstler mit hartem Akzent herunterrasselt, während 150 Zuhörer Sie anstarren, als wären Sie völlig verrückt geworden? Ich schon – und ich kann die Formel mittlerweile sicherheitshalber auswendig.

      Was Seán jedoch mit all diesen Zahlen und Formeln wirklich sagen will, ist stets, dass wir auf einem absolut erstaunlichen Planeten zu Hause sind. Dass alles ineinandergreift, aufeinander abgestimmt ist, von Wundern durchwirkt und uns jeden Tag als Geschenk dargebracht wird. Wenn ich alles, was er mir beibrachte, auf eine Aussage verkürzen wollen würde, würde sie wohl „Mach die Augen auf!“ lauten.

      Wenn wir alle auf diesem kleinen blau-grünen Ball unterwegs waren, dann waren wir alle hier zu Hause. Wir alle konnten den Geschichten des Landes unter unseren Füßen lauschen, auch wenn es die Iren in dieser Disziplin zur Meisterschaft gebracht hatten.

      Ich spürte, dass die Geschichten und Mythen, auch wenn ich sie durcheinanderbrachte, sie nicht ordnen konnte, etwas in mir berührten. Etwas sehr Altes, eine Erinnerung, die nicht nur meine eigene war. Es schien mir so, als ob in mir ein Brunnen sei, in den jede Geschichte sich wie ein Eimer hinabsenkte, um das kostbare Wasser nach oben zu transportieren. Ich konnte noch keinen Blick auf dieses Wasser werfen, doch ich vermutete, dass ich in ihm mein eigenes Gesicht gespiegelt sehen würde.

      Diese Geschichten, die Seáns Familie erzählte, waren keine Unterhaltung, sie dienten einem ganz anderen Zweck: Sie ließen den Zuhörer das grundlegend Menschliche in sich selbst entdecken. Etwas, das ihn mit all den Helden, Kriegern, Göttern und Göttinnen, Abenteurern und Irrfahrern verband.

      Ich sagte nichts, schaute nur nach oben, während der Schwindel und die Hitzewallungen langsam vorübergingen. Die Sterne über mir, die dahinrasende Erde unter mir. Selbst Seán schwieg ganz unirisch. Weitere Familienmitglieder strömten aus dem kleinen Haus, verabschiedeten sich und verschwanden in die Nacht. Seán klopfte mir auf die Schulter und ging zurück ins Haus.

      Ich stand noch eine Weile dort, betrachtete den großen Wagen, das einzige Sternbild, das ich zweifelsfrei identifizieren konnte. Dann ging auch ich ins Haus, legte mich in ein viel zu kurzes, knarrendes Bett und träumte von einer schwarzen Amsel, die auf meinem Arm saß und mir dann ihren Schnabel tief in die Brust stieß …

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