Viva la carpa! Als die Mafia den Aischgründer Spiegelkarpfen haben wollte. Werner Rosenzweig
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СКАЧАТЬ style="font-size:15px;">      »Liebe Frau, müsse nix so ssreien. Tomasz und Jagoda lange tot. Machen nix mehr. Wollen keine Geld mehr. Ruhen in Frieden in tiefe Erde. Hat Daniel doch mit seine Bagger tiefes Loch gemacht. Ganz tief, draußen in Nähe von Fissweiher. Dort, unter hohe Baum. Vergesse Tomasz und Jagoda, unterssreibe Kaufvertrag und alles gut. Dann Giovanni versswinde wieder ganz ssnell.«

      Beppo Neugebauer hing in seinem Stuhl. Kalter Schweiß stand ihm nun auf der Stirn und der Oberlippe, obwohl die Quecksilbersäule draußen immer noch bei achtundzwanzig Grad stand. Siebenundzwanzig Jahre alte Erinnerungsfetzen tauchten wieder auf und setzten sich in seinem Gehirn wie ein Puzzle, ein riesiges Puzzle, zu einem Ganzen zusammen. Tomasz Grabowski machte damals einen riesigen Aufstand, als seine Frau weder zum Abendessen noch während der folgenden Nacht auftauchte. Er schrie herum und gebärdete sich wie wild. Er warf den Eheleuten vor, sie hätten Jagoda in irgendeinem Raum eingesperrt, um ihr Angst zu machen und sie von ihrer Geldforderung abzubringen. Nur allmählich gelang es Beppo und Maria Neugebauer ihn zu beruhigen. »Tomasz, wir haben keine einhunderttausend Mark, das musst du uns glauben«, sprach er damals auf den Polen ein, »aber wenn ihr mit der Hälfte zufrieden seid und sofort verschwindet, könnte daraus ein Handel werden.« Er erinnerte sich, wie Tomasz Grabowski ins Grübeln kam, überlegte und mit sich selbst rang.

      »Jagoda auch muss zustimmen«, meinte der Pole nach einer Weile. »Wo sie ist?«

      »Nein«, lehnte Maria Neugebauer energisch ab, »Jagoda ist ein rachsüchtiges, geldgieriges Weib. Du musst eine Entscheidung für euch beide treffen und außerdem wollen wir, dass du uns einen Abschiedsbrief hinterlässt. Wie sollen wir sonst den anderen polnischen Arbeitern verständlich machen, wo ihr abgeblieben seid? Mitten in der Nacht, ohne Ankündigung einfach abzuhaun? Werden die uns das glaubn? Pass auf, wir diktiern dir den Brief, dann unterschreibst du, ich geb dir das Geld und ihr verschwindet sofort. Auf Nimmerwiedersehn.«

      Eine halbe Stunde später lag der von Tomasz Grabowski handschriftlich verfasste und von ihm unterschriebene Abschiedsbrief auf dem Küchentisch, dort, wo jetzt dieser schäbige Kaufvertrag lag.

      »Nun ihr gebt mir fünfzigtausend Deutsche Mark und dann mich führt zu meine Frau«, forderte der Pole, nachdem er den Kugelschreiber zur Seite gelegt hatte. Es waren seine letzten Worte. Maria Neugebauer stand hinter ihm und ließ den Spaten, mit aller Kraft, die in ihr steckte, auf den Kopf des Gastarbeiters niedersausen. Das Werkzeug spaltete ihm den Schädel. Dann rief Beppo Daniel Krumm an. Der rückte am nächsten Morgen in aller Frühe vor Sonnenaufgang mit seinem Liebherr-Bagger an. Die Sonne machte sich rar an diesem Tag. Die Novembernebel verschluckten die außergewöhnliche Bestattungsszene, dort im Uferbereich des Karpfenweihers, unter der stattlichen Eiche. Nur der Motor des Liebherrs kündete hinter der dichten Nebelwand von Aktivitäten nahe am Gewässer. Es gab keine Zeugen. Erst als um die Mittagszeit die Herbststrahlen der Sonne die nebelige Suppe aufgelöst hatten, sah man Beppo Neugebauer und seine Frau Maria, wie sie in der Nähe eines Karpfenweihers einen riesigen Holzstoß errichteten. Kaminholz für die kommenden Winter. Tiefe Reifenspuren hatten die Grasnarbe rund um den Holzstoß aufgewühlt. Daniel Krumm und sein Liebherr waren längst verschwunden, genau wie Jagoda und Tomasz.

      Beppo Neugebauer kehrte in seiner Gedankenwelt aus der Vergangenheit in die Wirklichkeit zurück. Er sah seiner Frau Maria in die Augen. Die schien immer noch weit entrückt zu sein. Zumindest reagierte sie nicht. Sie saß einfach nur wortlos da und starrte auf den Fußboden. Dann wanderte sein Blick wieder auf den Kaufvertrag, auf dem Küchentisch.

      »Eh, was isses jetzt?«, vernahm er die Stimme des Südländers, »musse ich jetzt gehe zu policia oder unterssreibe Vertrage?«

      »Ham Sie einen Kugelschreiber einsteckn?«, hörte sich Beppo Neugebauer fragen.

      »Anche i pesci del re hanno spine. Wie sage in Deutss? Auch pesci des Königs abe Gräten. Hier, Herr Neugebauer, abe echte Montblanc-Kugelssreiber. Dürfe behalten. Als Andenke.«

      *

      Oben auf dem Lauberberg, unweit von Höchstadt an der Aisch und nahe der Ortschaften Lappach und Sterpersdorf, streckte die kleine Kapelle ihre spitze Kirchturmspitze in den wolkenlosen, blauen Augusthimmel. Das Kirchlein gehört zur Pfarrei St. Vitus der Gemeinde Sterpersdorf und ist dem Heiligen Antonius geweiht. Heutzutage ist der Lauberberg ein beliebtes Ausflugsziel, steht doch oben auf der Kuppe, gleich neben dem kleinen Gotteshaus, auch ein bewirtschaftetes Anwesen, welches bereits in der siebten Generation seinen Gästen regionale Gaumenfreuden offeriert. Aber nicht nur wegen der fränkischen Leckerbissen machen sich die Ausflügler auf den Weg zum Lauberberg hoch, nein, die Gegend hat auch einen gewissen Mythos an sich und ist sagenumwoben. Eine gewisse Sybilla Weis, eine Seherin, soll hier vor langer Zeit ihr Unwesen getrieben haben. Vor mehr als sechshundert Jahren soll sie schon prophezeit haben, dass Weibsleute irgendwann lange Hosen tragen werden, dass Eisenungeheuer durch das Land brausen und dass Wagen ohne Zugtiere fahren. Im nahen Ailsbach soll sie gelebt haben, die Seherin, und ständig soll sie sich auf dem Lauberberg herumgetrieben haben. Heute pilgern Menschen zu ihrer Grabstätte, droben auf dem Lauberberg, gleich neben der Antoniuskapelle, um sich anschließend den Genüssen hinzugeben und die Aussicht auf das Aischtal zu genießen. Eine Steinplatte, umgeben von einem dahinrostenden Eisenzaun, erinnert an Sybilla Weis.

      Auch heute, am 20. August versammelte sich eine große Menschenmenge um ihre letzte Ruhestätte. Es waren allerdings keine Wallfahrer. Die meisten trugen grüne Uniformen und dazu passende Mützen auf ihren Schädeln. Andere hatten sich von Kopf bis Fuß verkleidet. Eingemummt. Nur ihre Gesichter schauten aus den weißen Ganzkörperanzügen heraus, welche sie trugen. Einer von ihnen, der, der die ganze Zeit den Ton angab und Anweisungen erteilte, war Dr. Thomas Rusche, Forensiker und Rechtsmediziner. Nur wenige der Anwesenden waren normal gekleidet. Gerald Fuchs, Kommissar der Mordkommission Erlangen, und seine attraktive Assistentin Sandra Millberger gehörten zur letzteren Spezies. Die beiden standen etwas abseits und warteten darauf, dass die Verkleideten von der Spurensicherung ihre Arbeit beendeten. Noch war es nicht so weit. Noch fotografierten die Vermummten den toten Mann mit dem riesigen Loch in der rechten Schläfe. Der lag rücklings auf der Steinplatte von Sybilla Weis’ Grabstätte. Einer der SpuSi-Mitarbeiter drehte den leblosen Körper um und las laut vor, was in die Steinplatte eingemeiselt war. »Grabstätte: Jener frommen adeligen Frau, welche laut Volkssage vor mehr als sechshundert Jahren in einem Schlosse bei Ailsbach wohnte und von da oft und gern auf die von ihr reichlich ausgestiftete Lauberbergkapelle pilgerte.«

      »Das hilft dem Toten auch nicht weiter«, kommentierte Dr. Rusche und kroch unter dem rot-weißen polizeilichen Absperrband hindurch. Der Rechtsmediziner ließ es sich in der Regel nicht nehmen, ein Mordopfer direkt am Tatort einer ersten groben Untersuchung zu unterziehen. »Es hilft mir, wenn ich es später auf meinem Seziertisch habe«, war schon immer seine Überzeugung, »ich habe dann eine bessere Vorstellung davon, worauf ich bei der Autopsie besonders achten muss.« So rückte er bei Mordfällen, wann immer es ihm möglich war, mit den Mitarbeitern der Spurensicherung aus.

      »Weiß man schon, wer der Tote ist?«, war die erste Frage des Kommissars, als der Rechtsmediziner näher kam.

      »Nein, noch nicht. Der Tote hat keinerlei Dokumente bei sich, weder Ausweis noch Führerschein, noch sonst irgendetwas. Alle Taschen sind leer. Die SpuSi hat ihm Fingerabdrücke abgenommen. Vielleicht ist er ja aktenkundig.«

      »Ermordet oder Suizid?«

      »Aufgesetzter Kopfschuss. Die Grabplatte, auf der die Kollegen von der SpuSi noch tätig sind, ist allerdings nicht der Tatort. Kaum Blutspuren. Die Leiche wurde hier nur abgelegt. Deshalb tippe ich eher auf Mord. Ist aber nur eine rein vorläufige Vermutung. Zudem fehlt die Tatwaffe.«

      »Was können Sie uns sonst noch sagen? Gibt es irgendwelche Auffälligkeiten?«, schaltete sich Sandra Millberger in das Gespräch ein. Ungeduldig zupfte sie an ihren Haaren, die sie in einem hübschen Pagenschnitt СКАЧАТЬ