Mörderisches Bayreuth. Werner Rosenzweig
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Название: Mörderisches Bayreuth

Автор: Werner Rosenzweig

Издательство: Автор

Жанр: Триллеры

Серия:

isbn: 9783862223695

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СКАЧАТЬ einer Parallelreihe bemühte sich auch Behringer um zwei Gläschen Sekt.

      Wie es genau kam, konnte hinterher niemand mehr nachvollziehen. Irgendjemand hatte seiner Ungeduld körperlichen Ausdruck verliehen, und zwar heftigst. Der Anfangsschubser setzte sich wie eine Tsunamiwelle nach vorne fort. Menschen, die anstanden, wurden auf ihren Vordermann geschoben, gerieten ins Taumeln, stiegen sich auf die Füße. Auch Heiko wurde überrascht und nach vorne gestoßen. Vor ihm stand wiederum ein grauhaariger, runder Zwerg im festlichen Smoking, der gerade bezahlt hatte und drei volle Sektkelche in seinen Wurstfingern jonglierte. Übereilig wollte er der hinter ihm schwankenden Menschenschlange entkommen. Fast hätte er es geschafft, doch dann stolperte ihm Heiko in den Rücken.

      Die Schwalbenschwänze des Zwergs flatterten, der Sekt schwappte über und der kleine, runde Dicke ging wie in Zeitlupe zu Boden. Schon klirrten Scherben.

      Die Menge verharrte und sah auf den zappelnden Zwerg, der verzweifelt versuchte, sich wieder aufzurappeln. In seinen Händen hielt er drei kaputte Stiele, denen die Glastulpen fehlten. Wie ein fetter Mistkäfer lag er auf dem Rücken und zappelte mit Armen und Beinen in der Luft herum. Sein Gesicht war eine einzige wütende Grimasse. Dann schmiss er mit Elan die drei Glasstiele den Scherben seiner Sekttulpen hinterher, kam endlich wieder auf die Füße und ging mit hochrotem Kopf in Kampfstellung.

      Heiko sah sich plötzlich den geballten Fäusten des kugeligen Herrn gegenüber und wusste nicht, ob er lachen oder einen beschämten Kratzbuckel machen sollte. Er entschied sich für eine Entschuldigung.

      Den grauen Zwerg in Boxerpose schien die muskulöse Erscheinung des blondgelockten jungen Manns hinter ihm nicht einzuschüchtern. Der überragte den Kleinen um mehr als Haupteslänge und bat zum wiederholten Male um Verzeihung.

      Als der Zwerg lospolterte, hörte Behringer, der die ganze Szene ebenso aufmerksam wie amüsiert beobachtet hatte, einen astreinen mittelfränkischen Dialekt, wie man ihn in der Gegend um Erlangen sprach. Der Kleine – etwa seine Größe, aber noch wesentlich fülliger – gebärdete sich wie ein spanischer Kampfstier, schnaubte, spuckte und bedrohte noch immer mit erhobenen Fäusten den athletisch gebauten Mann hinter ihm: „Edz schau abber, dass di rollsd, du Bobblschnalzer. Sunsd hau i der a Schelln runder, dassd mansd die Kieh schelln mit ihre Gloggn am Berch! Kannsd ned aufbassn, wusd hiesabbsd, alder Rodzbobbl? Wersd mer scho so a Breißnzibfl sei, maan i!“

      „Entschuldigung, ich kann nichts dafür“, meinte der so Bedrohte und Beschimpfte gutmütig, „man hat mich von hinten gestoßen.“

      „So, vo hindn gschdoßn? Dees könnd a jeder Debb behaubdn!“, ließ der Mittelfranke noch immer seiner Wut freien Lauf und tänzelte wie ein Gummiball um den kräftigen Hünen herum. „Was wolld ihr Breißn eigendli do bei uns in Franggn? Abber sei froh, dassd ka Bayernsau ned bisd, sunsd hädder der die Goschn scho längsd bolierd. Und edz roll di, Saubreiß, elendicher!“

      Heiko hatte kein einziges Wort verstanden. Er konnte noch nicht einmal die Sprache des Zwergs identifizieren. Nicht, dass er sich durch den Wicht bedroht gefühlt hätte, aber dennoch war es ihm peinlich, den kleinen Runden zu Fall gebracht zu haben.

      Behringer schmunzelte. „Popelschnalzer“ – ein fränkisches Schimpfwort, das selbst der Hauptkommissar zum ersten Mal gehört hatte.

      Mit dem ganzen Theater hätte er fast seinen Einsatz an der Bar verpasst. Er war an die Spitze seiner Schlange vorgerückt und an der Reihe, bezahlte ein Vermögen für zwei winzige Sektpfützen und suchte dann seine Gisela in der wogenden Menschenmenge.

      Der bedrohte blonde Jüngling, der rein äußerlich einen eindrucksvollen Siegfried abgegeben hätte, stand nun neben einer stattlichen Frau etwa gleichen Alters mit extrem fülliger Oberweite und berichtete offenbar von seinem Missgeschick.

      Bevor Behringer auch seiner Gisela vom Aufruhr an der Bar erzählen konnte, ertönten die Fanfaren der sogenannten Pausenmusiker vom Balkon des Festspielhauses. Das Zeichen, dass die Inszenierung in einer Viertelstunde beginnen würde. Unruhe kam in die Menge. Einige der Gäste leerten ihre Gläser auf einen Zug. Damen kramten Eintrittskarten aus ihren Handtaschen hervor, um sich zum wiederholten Male zu vergewissern, wo genau sie gleich sitzen würden. Raucher eilten schnell noch einmal ins Freie, um für die nächsten zwei Stunden auf Vorrat ein paar Schnapper an ihren Glimmstängeln zu genießen.

      *

      Noch vor dem Ende des dritten Akts stürzte Behringer wie von Furien gejagt aus dem Festspielhaus. „Bloß weg hier!“, hechelte er höchst verärgert.

      „Etz wart halt!“, rief ihm Gisela außer Atem hinterher und eilte ihrem Mann nach.

      Eigentlich hatte Benno schon nach dem zweiten Akt den Ort des Schreckens schnellstens verlassen wollen. „Dees werd bestimmt no besser“, hatte Gisela gemeint und ihm so lange gut zugeredet, bis er auch nach der zweiten Pause wieder Platz genommen hatte. Aber nichts war besser geworden. Als die Kulisse zuletzt den Berliner Alexanderplatz und damit die „marxistische Vielfalt“ verkörpert hatte und aus der Tiefe der Bühne schwanzwedelnde, lebensgroße Krokodile gekrochen waren und eines dieser Monster das Waldvögelchen, das dort auf den Strich gegangen war, aufgefressen hatte, war für BB die Schmerzgrenze überschritten gewesen.

      „Wie kann man den Schatz der Nibelungen nur mit Rohöl und Benzin symbolisieren wollen? Und den Riesen Fafner mit einer Kalaschnikow erledigen?“, rief er jetzt immer wieder im Wegrennen. „Was hat das mit der Nibelungensage zu tun?! Eine Schande! Eine Schande ist das, was der Regisseur da inszeniert hat!“ Wie Tarzan im Unterhemd sprang der Hauptkommissar auf dem Vorplatz des Festspielhauses herum und ließ jeden Besucher, der ebenfalls die vorzeitige Flucht nach draußen ergriffen hatte, wissen, was er von dieser lächerlichen Inszenierung hielt. Nämlich nichts, rein gar nichts.

      „Aus dem Helden hat er einen Soziopathen gemacht“, steigerte er sich in seiner Rage. „Siegfried – ein Terrorist, der mit einer Kalaschnikow um sich ballert!“

      „Etz beruhich di hald widder“, versuchte es Gisela vergeblich, „bevorsd mer an Herzkaschber grigsd. Abber die Musigg war doch schee“, bemühte sie sich, dem Ganzen etwas Positives abzugewinnen, „und die Bühnabilder aa.“

      „Schee, schee“, äffte ihr Mann sie nach. „Was hilft’s mir, wenn die Bühnenbilder nicht zum Nibelungenlied passen?!“

      „Du und dei Nibelungenlied“, wiegelte Gisela ab.

      Benno schnaufte tief durch. „Das ärgert mich eben, wenn Mime Nothung in einem Steinbruch schmiedet, aus dem mich die überdimensionalen Visagen von Marx, Stalin, Mao und Lenin anglotzen. Den Siegfried hat er zu einer gescheiterten Großstadtexistenz herabgestuft!“ Er warf die Arme in die Luft und stiefelte dann los Richtung Parkplatz. „Auf jetzt“, drängte er seine Frau, „weg von hier, bevor ich meinen eigenen Mord an dem Regisseur aufklären muss! Da soll einer verstehen, warum jedes Jahr eine halbe Million Menschen die Festspiele sehen wollen. Schade um Zeit und Geld.“

      „Du bist halt a Kuldurbanause“, warf ihm Gisela vor und versuchte, mit ihm Schritt zu halten. „Alles, was nix mit Essn und Franggn zu tu hat, is nix für di. Du sollerst halt aa amol ieber dein Dellerrand nausschaua.“

      „So ein Quatsch. Was zu weit geht, geht zu weit. Der Regisseur ist ein richtiger Popelschnalzer!“

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