Название: Wehre dich deiner Haut
Автор: Sigrid Uhlig
Издательство: Автор
Жанр: Публицистика: прочее
isbn: 9783961455898
isbn:
Die Mitarbeiterin des Netzanbieters behauptete, dass es in der nächsten Zeit keine besseren Angebote geben werde und wollte unbedingt den Vertrag abschließen. Erna ließ sich nicht drängen.
Am nächsten Tag marschierte sie mit ihrem Vertrag zum Geschäft des Netzanbieters. Ein junger Mann hörte sich ihre Sorgen an. „Haben sie Zeit mitgebracht?“, fragte er. Erna nickte.
Der junge Mann telefonierte, fütterte den Computer mit Daten, stellte Erna Fragen und bediente zwischendurch auch noch Kunden. Als sie nach längerer Zeit das Geschäft verließ, hatte sie einen neuen Zweijahresvertrag zu den bisherigen Konditionen.
Zwei Tage nach ihrem Umzug, sie hatte morgens in der alten Wohnung gerade den Antwortbeantworter abgehört, wurden Telefon und Internet abgeschaltet. Abends funktionierte es in der neuen Wohnung wieder einwandfrei.
Drei Menschen freuten sich sehr darüber: Erna für den vorbildlichen Service; im Geschäft des Netzanbieters der junge Mann und seine etwa gleichaltrige Kollegin, die gerade zum Schichtwechsel erschienen war, über Ernas Lob.
ABZOCKER
Ein Blick auf die Uhr bestätigte Erna, dass die Post da gewesen sein musste. Sie ging zum Briefkasten. Zurück in ihrer Wohnung sah sie flüchtig die Werbeprospekte durch, als ihr ein Brief daraus entgegenfiel. Der Absender war ein Notar- und Rechtsanwaltsbüro.
„Was wollen die denn schon wieder?“, fragte sich Erna. Während sie den Brief in ihren Händen drehte, schweiften ihre Gedanken zurück. Von einer befreundeten Familie hatte sie eine Einladung in eine Stadt erhalten, die sie noch nicht kannte. Die Fahrstrecke suchte sie sich am liebsten aus dem Kartenmaterial selbst heraus. Für diese Stadt besaß sie keine. Sollte sie extra wegen einer einmaligen Fahrt eine Stadtkarte kaufen? Als passionierte Autofahrerin war Erna Mitglied in einem Autoclub. Dieser hatte aus Sicherheitsgründen das Einlogg-System geändert und seitdem kam sie damit nicht mehr klar.
Irgendwann hatte sie eine Adresse gehört, bei der man sich Karten kostenlos aus dem Internet ausdrucken kann. Nach dem Öffnen des Programms erschien ein kleines Fenster, nicht größer als das Display des Handys und zeigte Wortfetzen an. Es gab keinen Link, um das Fenster zu vergrößern oder den kompletten Text sichtbar zu machen. Erna beendete das Programm und rief es erneut auf. Die Anzeige war die gleiche. Die Vertragsbestimmungen konnten mit „Ja“ oder „Nein“ bestätigt werden. Bei „Nein“ wäre das Programm beendet gewesen, bei „Ja“ sollte die E-Mail-Adresse eingetragen werden.
„Vielleicht bekomme ich die Vertragsbedingungen komplett angezeigt, wenn ich auf „Ja“ drücke“, dachte Erna und folgte den nächsten Schritten. Sie erhielt eine Kundennummer und ein Passwort. Vergebens versuchte sie mehrmals an die Vertragsbedingungen zu kommen. Erna gab die Kundennummer und das Passwort ein. Das System zeigte ihr an, dass das Passwort falsch sei. Wieder erschien: „Das Passwort ist falsch, überprüfen sie die Schreibweise.“ Sie verglich die Angaben, konnte aber keinen Fehler entdecken. Daraufhin brach sie das Programm ab. Bei einem erneuten Einwahlversuch zum Anbieter verweigerte ihr das System den Zugriff. Damit war für Erna die Angelegenheit erledigt. Sie rief bei der Familie an und ließ sich genau erklären, wie man innerhalb der Großstadt ans Ziel kommt.
Wochen waren vergangen. Erna hatte eine, für sie bisher unbekannte Gegend in Deutschland kennengelernt. Mit den Fotos waren schöne Erinnerungen verbunden, der Kartenanbieter aus dem Internet vergessen. Doch dieser hatte Erna nicht vergessen. Per E-Mail erhielt sie eine Rechnung über 59,95 Euro. „Wofür eigentlich?“, fragte sie sich. Eine Leistung war nicht erbracht worden. Für diesen Betrag hätte sie mehrere Karten kaufen können. Sie reagierte nicht darauf.
Nach vier Wochen erschien die erste Mahnung mit der immer gleichlautenden Unterschrift: „Ihr freundliches Team von Gute und Sichere Fahrt.“ Wieder verweigerte ihr das System den Zugriff. Sie konnte nur antworten, wenn sie von der Firma über ihre E-Mail-Adresse angeschrieben wurde. Wer verbarg sich hinter „Ihr freundliches Team von Gute und Sichere Fahrt? Wo war der Firmensitz und welche Bankverbindungen hatten sie?“ Diese Fragen stellte Erna, teilte aber gleichzeitig mit, dass sie nicht bereit wäre zu bezahlen, da sie keine Leistungen erhalten hatte. Das falsche Passwort wurde nicht überprüft, die Vertragsbedingungen ihr nicht zur Kenntnis gegeben. Die Bearbeitung schien ein Computer zu machen, denn sie erhielt immer wieder den gleichen Text, ohne das ihre Beanstandungen auch nur mit einem Wort erwähnt wurden.
Es nervte. Erna wollte ihre Ruhe haben und machte einen entscheidenden Fehler. Sie schrieb die Firma per Post an und erklärte, was bisher alles schief gelaufen war, in der Hoffnung, nicht mehr belästigt zu werden.
Nun ging der Terror erst richtig los. Die Mahnungen, die sie erhielt, waren nur so gespickt mit Drohungen. Sollte sie nicht bis zum angegebenen Termin den Betrag nebst Mahngebühren bezahlt haben, würde man ein Inkassobüro mit der Eintreibung beauftragen, was den zu zahlenden Betrag erheblich in die Höhe trieb. Des Weiteren würde die Schufa benachrichtigt, also niemals mehr ein Kauf auf Kredit möglich sein. Das war nun ein Punkt, mit dem man Erna nicht im Geringsten imponieren konnte, da sie nicht auf Pump kaufte.
Eine erste, zweite und dritte Mahnung des Inkassobüros folgten. Auch hier wurde auf ihre Beanstandungen nicht reagiert. Man präsentierte eine Unzahl von Paragrafen, um sie damit zu beeindrucken. Schließlich drohte man ihr mit einer gerichtlichen Pfändung.
Das Inkassobüro war ein Notar- und Anwaltsbüro. Erna war enttäuscht. Nach ihrer Meinung waren Anwälte, Notare, Justizbehörden und die Polizei dazu da, für Recht und Ordnung in der Gesellschaft zu sorgen. Wie konnten sie da eine Firma vertreten, deren Einnahmen auf Betrug und Erpressung basierten?
Im Internet fand sie die Adresse des zuständigen Finanzministeriums. Sie schrieb ein Hilfeersuchen und teilte es dem Inkassobüro mit. Das Finanzministerium hüllte sich in Schweigen. Vom Inkassobüro hatte sie mehrere Monate nichts gehört. Nun hielt sie den bereits erwähnten Brief in den Händen. Welche Mitteilung beinhaltete er? Kehrte nun endlich Ruhe ein oder musste sie ihre Zeit weiter mit dem Beantworten der Mahnungen vergeuden? Manchmal spielte sie mit dem Gedanken, zu bezahlen. Doch dann überlegte sie sich, dass die Betrüger nur auf solche Reaktionen warteten. Mit ihrer Zermürbungstaktik hätte der Erfolg sie zu weiteren Betrügereien ermuntert. Ernas Verstand siegte: „Nein“, und nochmals „nein“, ohne Leistung keine Bezahlung.
Im Umschlag lag eine Mahnung mit den üblichen Drohungen und der Kopie eines Gerichtsurteils. Einige Stellen waren geschwärzt. Erna besah das Blatt Papier genau und war sich nicht im Klaren, ob sie sich über so viel Unverschämtheit ärgern oder in lautes Gelächter ausbrechen sollte. Solche Kopien konnte sich jeder auf dem Computer selber herstellen. Erna antwortete, dass eine Bezahlung für sie nicht infrage käme und das Gerichtsurteil auf ihren Fall nicht zuträfe.
Einige Tage waren vergangen. Auf der Ratgeberseite der Tageszeitung stand ein Artikel über die Machenschaften der Firma und des Inkassobüros. Es wurde darauf hingewiesen, trotz des beigefügten Gerichtsurteils nicht zu bezahlen.
Man hatte die Masche, ohne großen Aufwand viel zu verdienen, nicht nur bei Erna, sondern auch bei vielen anderen Bürgern versucht.
NACHAHMER
„Wenn die Tageszeitung mehr als 20,00 Euro im Monat kostet, bestelle ich sie ab“, nahm sich Erna vor.
Nun war es so weit. Sie schaute auf den Kontenauszug. Ihr war nicht bewusst, darüber irgendeine Information erhalten zu haben und behielt sie.
Etwa СКАЧАТЬ