Название: Team XXZ7 gibt nicht auf
Автор: Peter Drescher
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежная деловая литература
isbn: 9783961451036
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Eine kleine Kammer. Vor einer abgeblätterten Wand, an der eine Zeichnung zu erkennen ist, steht eine eisenbeschlagene Truhe.
„Ja, guckt nur, guckt.“ Herr Machades langer Bart wippt.
Wir schieben uns heran.
„Herrliche Wandmalerei“, haucht Machade, „ich schätze, die ist ganz alt, vielleicht 14. Jahrhundert.“
Wir sagen nichts. Machade scheint zu bemerken, dass uns die Wandmalerei nicht gerade vom Hocker reißt. Eifrig erklärt er: „Die Wandmalerei ist ein großes Rätsel.“ Machade zeigt auf einen Fleck rechts oben auf der Zeichnung. „Ich denke, wir stehen hier vor einem großartigen geschichtlichen Zeugnis.“ Er lachte geheimnisvoll auf und stiert dann auf die Truhe, so dass uns kribblig wird.
„Lieber Herr Machade“, schleimt Jule, „das ist eine interessante Truhe. Kann man die öffnen?“
Herr Machade schaut zu Boden. Einesteils ist er wohl der Ansicht, dass uns das nichts angeht, andererseits – wir spüren das – juckt es ihm in den Fingern. Er wuchtet tatsächlich den Deckel auf. Es glitzert und funkelt. Wir kriechen fast in die Truhe rein, jedenfalls mit den Augen. Sehen verzierte silberne Kerzenständer, sehen Ringe, glänzend, edelsteinbesetzt, erblicken schillernde Halsketten.
Links liegt ein altes, verrußtes, abgebrochenes Brett. Ich presse mich noch ein Stückchen weiter heran, das Brett ist schmal und geschwungen. Wie ein Schlangenkopf mit Krone. Ich drehe das Brett herum, auf der Rückseite sind Buchstaben ins Holz geritzt, ich buchstabiere: „W – U – Z.“
„Schluss, Kinder“, schimpft Schlossgeist, nimmt mir mit unfreundlichem Blick das Brett weg, legt es behutsam in die Truhe zurück, klappt sie zu. „Nochmals: Stillschweigen bewahren!“ Er scheucht uns zur Tür. Draußen fällt mir ein, dass wir gar nicht nach dem Raubritter Genollek gefragt haben.
Auf dem Rückweg hat es uns die Sprache verschlagen. Die Mädchen denken bestimmt an den prächtigen Schmuck in der Truhe, und der Professor stößt aus: „Das muss wissenschaftlich erforscht werden.“
5
BILLERBACHS MITTELPUNKT IST EINDEUTIG DER FRÜHLINGSPLATZ MIT DEM SPRINGBRUNNEN. An der linken Seite des Platzes befindet sich der Supermarkt, rechts steht eine stuckverzierte Villa. Daneben das Café Sorgenfrei. Fast alle Erwachsenen arbeiten im Werk und in der Grube. Als Baggerfahrer, Bergmänner, Fabrikarbeiter, Energieerzeuger. Das schweißt zusammen.
Bei dem Wort zusammenschweißen muss ich unwillkürlich an unseren Barbaratag denken. Die Barbara soll eine heilige Frau gewesen sein. Ja und, was hat das mit Billerbach und zusammenschweißen zu tun? Klar, das hat was damit zu tun, denn am Barbaratag finden sich alle Einwohner zu einer mächtigen Sause zusammen. Die heilige Barbara, erklärt mir Mutter, ist geschichtlich gesehen Freund und Helfer der Bergleute. Darum wird in Billerbach ein Barbaratag gefeiert. Schon Tage vorher stellt der Bauhof auf dem Frühlingsplatz lange Reihen Tische und Bänke auf und eine Bühne und eine Hüpfburg. Kioske werden errichtet für Bier und Zuckerwatte und für Spielzeug. Eine Rummelplatztruppe baut ein großes und ein kleines Karussell auf. Und dann, am Sonntag, zieht jeder bei uns, der laufen kann, zum Frühlingsplatz. Das ist so, als ob eine große Familie zusammenkommt. Backe an Backe auf den langen Bänken. Der mickrige Herr Hagedorn spendiert Bier und für alle Kinder Fanta. Der Baggerfahrer Ollfried mit dem goldenen Eckzahn singt wie in jedem Jahr mit Schmalz in der Stimme das Lied „Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt“, und Frau Müchelschmitt lacht und lacht. Großer Zusammenhalt.
Habe ich etwa behauptet, dass alle unsere Väter im Braunkohlenwerk arbeiten? Halt, das stimmt nicht ganz, es gibt Ausnahmen. Jules Vater zum Beispiel beschnattert neuerdings als Staubsaugervertreter die Hausfrauen, und Tims alter Herr ist ganz ohne Arbeit. Ich begegne ihm manchmal, sitzt knittrig unterm Sonnenschirm vor dem Schluckspecht, neben sich eine große Zeitung und eine Büchse Bier.
„Die brauchen nicht mehr so viele Kohlearbeiter“, erläuterte mir Tim, „das macht meinen Vater kaputt.“
Außerdem existiert noch der Stab der Lehrer und Rentner.
Am Tag nach dem diesjährigen Barbarafest ist so ein prima Wetter, dass sich unsere Truppe am See versammelt. Diesmal hat sich Ralf Breidenbarth hinzu gesellt. Wir haben so ein komisches Gefühl – Ralf möchte zu uns gehören. Wir sind erst einmal vorsichtig, kennen ihn ja gar nicht richtig, wissen nur, dass er seit einigen Wochen bei seinen Verwandten, den Happs in der Veilchenstraße wohnt. Ralf ist sehr zurückhaltend, kommt aus einem blitzeblanken Dörflein in den Bergen. Sein Vater ist, wie er uns stockend erzählt hat, „davongelaufen“, die Mutter liegt in der Klinik.
Wir also am See. Der Raubritter Genollek geht uns noch immer nicht aus dem Kopf. Tim ist ganz zappelig, möchte dieser geheimnisvollen Sache unbedingt nachspüren und fährt auf einmal in die Höhe. „Ob Emma etwas darüber was weiß?“
„Psst“, Jule legt einen Finger auf den Mund und weist mit einem Kopfnicken auf Ralf. „Topsecret.“
Plötzlich dringt aus Richtung Frühlingsplatz Krach zu uns, wird immer lauter und wir rennen hin. Noch stehen die Tische und Bänke und die zwei Karussells. Aber was ist das, ein helmbedeckter Mann wummert mit einer gigantischen Bohrmaschine an der steinernen Brüstung des trockengelegten Brunnens herum. Brocken stieben nach links und nach rechts. Herr Bodeslawski, unser Bürgermeister, beugt sich vor, den Mund verkniffen. Starrt zu dem Mann mit dem Helm und dem Bohrer, schnauft auf, wendet langsam und guckt zum Cafe, das halb wie ein Märchenschloss, halb wie eine Lagerhalle aussieht. Über dem breiten Eingang prangt eine steinerne Rose mit einem künstlerischen Blumenkranz drum rum. Ein Ungetüm von Raupenfahrzeug bellt auf, verbeißt und verkeilt sich in die Terrasse von Sorgenfrei. Im Hintergrund lauert ein Lastkraftwagen. Dessen Motorhaube erinnert mich an die lange Nase meines Onkels Helmut. Frauen stehen da, bekommen kein Wort hervor. Nur die schmächtige Frau Müchelschmitt spuckt Gift und Galle. „Schauderhaft, wie im Krieg!“ Einige Schritte entfernt hat Tims Vater eine Art Beobachterposten bezogen. Sein Blick ist irgendwie leer, die Verwüstung muss ihm an die Nieren gehen.
Jule wühlt sich durch den Schutt. „Was machen Sie?“, schreit sie den Mann in der Fahrerkabine der Raupe an. Der hört nichts, jedenfalls zeigt er keine Reaktion.
„Ihr Hundesöhne!“, gellt es auf einmal über den Platz. Wir drehen uns um. Etwas abseits ist Frau Warsönke auf einen Klappstuhl geklettert und winkt wie wild.
Emma Warsönke ist die älteste Einwohnerin Billerbachs. Schon ihr Großvater hat in der Grube, im Schacht „Henriette“ gearbeitet. Sie ist in Billerbach nicht wegzudenken. Emma ist hilfsbereit, sie macht Babysitter, hat, als sie dazu noch in der Lage war, freiwillig den Frühlingsplatz gekehrt, und sie passt auf, dass die Angestellten im Gemeindeamt nicht, wie sie sagt, “übermütig“ werden. Sie getraut sich auch, den Bürgermeister offen zur Rede zu stellen, wenn sie es für erforderlich hält. In der letzten Zeit ist sie aber ruhiger geworden. Jetzt steigt die alte Frau in der dunkelblauen Kittelschürze ungelenk vom Klappstuhl. Wäre bald hingefallen. Lea und Jule springen herbei und setzen sie auf den Stuhl. Emma Warsönke reißt den Mund auf, will etwas sagen, senkt den Kopf. Sie weint. Die Mädchen streichen ihr über die Schultern.
Der Helmmann tobt mit seinem großen Bohrer gnadenlos umher. Viehisches Getöse. Langsam fährt der Laster mit der Onkel-Helmut-Motorhaube heran. Was jetzt? Ich zottele zum LKW, bin dicht dran, das Auto muss stoppen. Der Fahrer steckt seinen Kopf aus dem Fenster. „Junge, pass bloß auf.“
Die Frauen rücken näher, Proteste werden laut. Frau Müchelschmitt schimpft wie ein Rohrspatz.
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