Название: Ikigai. Dein Grund, morgens aufzustehen
Автор: Frank Bonkowski
Издательство: Автор
Жанр: Общая психология
isbn: 9783961400959
isbn:
Wir sind unser ganzes Leben
auf der Suche nach unserem Ikigai.
Rob Bell
1. Was liebst du?
Kurz, nachdem ich bei der Bethel Baptist Church in Sechelt, Kanada, meinen ersten Vollzeitjob als Pastor angetreten hatte, traf ich auf den 82-jährigen Stuart, der im Großen Saal der Kirche auf einem wackligen Stuhl stand, um die Glühbirnen zu wechseln. Als ich ihm helfen wollte, sagte er nur freundlich: „Nein, lass mal, ich kümmere mich gerne um unser Gemeindehaus. Da weiß man am Ende des Tages, dass man etwas Produktives gemacht hat.“ Später habe ich herausgefunden, dass Stuart eine der erfolgreichsten Lebensmittelketten Kanadas aufgebaut hat, die er für eine ordentliche Stange Geld an den Milliardär James Peterson verkaufte. (In dessen Biographie werden Stuarts Können und seine Ausstrahlung übrigens ausführlich beschrieben.)
Mehr als all diesen Erfolg liebte Stuart es, in seiner kleinen Gemeinde zu handwerkeln. Er hätte in feinen Klamotten auf teuren Partys mit wichtigen Managern und Politikern zusammen abhängen können, aber er hatte entdeckt, dass er das einfache Leben mit ehrlicher Arbeit und einfachen, ehrlichen Menschen mehr liebte. In diesem Kapitel möchte ich von Menschen erzählen, die das leben, was sie lieben.
Mamas Küche und Gaddafis Tisch
Auf einer Tagestour in Kalabrien entdeckten wir, auf der Suche nach einem Restaurant, einen ganz besonderen Ort. Wir waren einem Pfeil auf einem alten Schild gefolgt, aber als wir auf dem Parkplatz ankamen, sah es zunächst gar nicht aus, als ob man in diesem „Restaurant“ etwas zu essen bekäme. Wir gingen durch einen großen Saal, und meine Kinder versuchten mich davon zu überzeugen, zurück zum Auto zu gehen, weil sie es peinlich fanden, in einem fremden Haus herumzulaufen und die Bewohner zu fragen, ob das ein Restaurant sei.
Doch dann öffnete sich uns eine Tür zu einem Garten, und dort sahen wir Leute an Plastiktischen sitzen und Rotwein trinken. Jemand begrüßte uns auf Italienisch − wir waren tatsächlich in einem Restaurant gelandet. In einem ganz besonderen sogar, auf einem großen Bauernhof nämlich, wo die Oliven und der Wein, die dort serviert wurden, selbst angebaut worden waren.
Im Garten stand ein riesiger Grill, auf den der italienische „Papa“ gerade Reisig schmiss. Bis zum Essen dauerte es noch, weil es erst 20 Uhr war und wir noch viel zu früh dran waren.
Wir wurden zwar gefragt, was wir haben möchten, aber bekommen haben wir dann doch etwas ganz anderes − nämlich das, was „Mama“ gerade kochte bzw. was „Papa“ gerade grillte. Aber das war in Ordnung, weil dort einfach alles unglaublich gut schmeckte. Zum Nachtisch gab es Geburtstagskuchen, weil der Enkel gerade 13 geworden war und am Nachbartisch mit seinen Kumpels feierte.
Als wir langsam loswollten und ich merkte, dass ich doch ganz schön viel Rotwein getrunken hatte, kam „Papa“ mit gegrilltem Fisch vorbei, den er eigentlich für die 22-Uhr-Gäste vorbereitet hatte. Den mussten wir natürlich auch noch probieren. Und dazu gab es seinen selbst angebauten Weißwein. Er zeigte auf sich, dann den Wein, und ich verstand, dass er mächtig stolz auf sein Werk war. Also, „Salute“ und nochmal „Hoch die Gläser“.
Wir sind inzwischen öfter auf diesem Hof gewesen, und eines Abends wurde uns Francesca vorgestellt, die 20 Jahre in Köln gearbeitet hat, bevor sie einen älteren Herrn, Giovanni, heiratete und wieder zurück nach Italien zog. Giovanni ist ein Jugendfreund von „Papa“, dem Besitzer. Mit ihr als Übersetzerin wurde die Kommunikation deutlich einfacher. Am nächsten Abend, an dem ein besonderer Fisch serviert wurde, aßen wir nicht mehr an einem eigenen Tisch, sondern gemeinsam mit der Familie und deren Freunden. „Papa“, von dem wir nun wussten, dass er Bonifazio heißt, erzählte, wie er jahrelang in Libyen gearbeitet und dort mit Gaddafi an einem Tisch gesessen hatte. Nachdem er genug Geld verdient hatte, ist er nach Hause gekommen und hat sich seinen ganz eigenen Traum erfüllt: Er hat in seinem Heimatdorf eine Farm gekauft und mit seiner Frau Liza ein Restaurant eröffnet. Inklusive Hotelbetrieb. „Hier könnt ihr sehr günstig übernachten. Wollt ihr mal unsere Zimmer sehen?“
Zwei Monate später wohnten wir für ein paar Tage dort, und ich bekam mit, dass das, was uns so leicht und spielerisch erschien, harte Arbeit ist. Bonifazio lief morgens schon um 5 Uhr durch den Garten, und das, nachdem am Tag zuvor eine Party mit 20 hungrigen Gästen stattgefunden hatte, die erst kurz vor 2 Uhr morgens nach Hause gegangen waren. Seine Frau Liza tat mir immer ein bisschen leid. Ich habe sie fast nie woanders als in ihrer Küche angetroffen. Das hat auch meine Frau gesehen und sie einmal darauf angesprochen. Da strahlte die alte Dame aber nur: „Mi piace cucinare - Ich liebe es zu kochen. Ich könnte das den ganzen Tag lang tun.“
Wenn man außerhalb der Saison dort ist, kann es passieren, dass man mit einem 82-jährigen Witwer, einem pensionierten Priester, einem schüchterneren Junggesellen und einem Mann, der in einer einsamen Berghütte lebt, am Tisch sitzt. Da wird gelacht und getrunken und gefeiert, und irgendwann merkt man, dass die Menschen an diesem Tisch die einzige Familie sind, die sie haben. Das macht diese Party heilig und unglaublich wichtig.
Liza und Fazio haben das gefunden, was sie lieben. Das kann irre anstrengend sein, aber sie leben ihren Traum.
Matsche, Kunst und viel zu viel zu tun
Meine Tochter Jubilee hat es schon als Kind gemocht, im Matsch zu spielen und Dinge aus der schleimigen Masse zu formen. Später waren es Bleistifte, Ölfarben, Musikinstrumente und Graphic Tablets.
Jubilee liebt es, sich künstlerisch auszudrücken.
Wie so viele Künstler hat sie depressive Phasen, und es ist ihre Kunst, die sie in solchen dunklen Momenten begleitet, tröstet und ihren Gefühlen Ausdruck verschafft.
Dass sie später mal Kunst studieren würde, war uns allen klar, obwohl natürlich viele Argumente dagegen sprechen. Zum Beispiel Frage #4: „Kann man damit Geld verdienen?“ Irgendwann fiel die Entscheidung, dass sie an die Universität Calgary in ihrem Heimatland Kanada gehen würde. Kanadische Kunsthochschulen sind nicht unbedingt günstig, also musst du nebenbei eine Menge arbeiten. Die Anforderungen sind unglaublich hoch, weil Kunst in Kanada einen hohen Stellenwert besitzt. Deshalb schiebt meine Tochter im Moment häufig 7-Tage-Wochen.
Heute Morgen kam eine WhatsApp, gegen 5 Uhr ihrer Zeit. Ein Bild von einem vollgestapelten Schreibtisch: Arbeitsblätter, angefangene Bilder, Laptop, Graphic Tablet. Darunter die Worte: „Hab gerade meinen ersten All-Nighter hinter mir.“
Ich: „Sieht aus, als ob du eine Menge zu tun hast im Moment.“ (06:16)
Jubilee: „Ja, und das ist nur ein Bruchteil. Das College ist unglaublich stressig. Ohne den ganzen Druck würde es noch mehr Spaß machen.“ (06:17)
Ich: „Du bereust aber nichts, oder?“ (06:18)
Jubilee: „Ich bin mir absolut sicher, dass ich am richtigen Ort bin.“ (06:19)
Wenn du das findest, was du liebst, kannst du mehr Stress aushalten, als du jemals für möglich gehalten hättest.
Charley, der Busfahrer, und meine Suche nach Kartoffelchips
Vor etlichen Jahren musste ich, für meine Verhältnisse viel zu früh, auf einem Flugplatz sein, um von Vancouver nach Calgary zu fliegen. Ich war schon damals ein richtiger Morgenmuffel, der vor 9 Uhr und ohne genug Espresso eigentlich nicht zu genießen war.
An СКАЧАТЬ