Название: Das schwarze Korps
Автор: Dominique Manotti
Издательство: Автор
Жанр: Современная зарубежная литература
isbn: 9783867549806
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Jung, schön, beinahe mein Zwilling. Lass ihn reden, aus einem noch unbekannten Grund steht ihm der Sinn danach.
»… und ich habe die gleiche Kundschaft. Ich werde bei den französischen Unternehmern vorstellig, die von Ihnen bezuschusst werden …
Die rechte Gerade kommt mit voller Wucht, unterbricht beim Aufprall auf Kinn und Unterlippe Owens Luftzufuhr, der benommen umkippt. Es hagelt Tritte in sein Kreuz.
»Hoch mit dir, los.«
Er schafft es mit großer Mühe, sich aufzusetzen, dann hinzustellen, aufgeplatzte Lippe, Blut rinnt über seinen nackten Oberkörper. Überleben. Bauer ist hinter ihn getreten und umschließt Owens Hals mit seinen langen, knochigen Händen.
»Wir mögen den gleichen Job machen, aber wir sind nicht in der gleichen Position.«
Angespannt hält Owen still. Die Schlagader pulsiert schnell und kräftig unter Bauers Fingern, der langsam zudrückt, pulsiert immer kräftiger, in immer größeren Abständen, dann ein Krampf, und das Leben pulsiert nicht mehr, der Körper wird schlaff, sehr schwer, Bauer drückt noch einen Moment lang zu, lässt dann los. Owen sackt zu Boden.
Bauer sieht zu, wie langsam wieder Leben in ihn kommt. Geht in die Hocke, packt den Kopf an den Haaren, bringt ihn nah vor sein Gesicht, streift den blutverschmierten Mund mit seinen Lippen, flüstert: »Ich gebe dir genau eine Chance, dein Leben zu retten. Von mir aus kaufe ich dir deine Lügenmärchen ab. Aber das hat seinen Preis. Verrate mir die Organisation, die dich nach Paris gebracht hat. Jetzt.«
6. Juni 1944, abends
Bei Einbruch der Nacht enden die Kämpfe. Die Alliierten halten die Strände und haben 155 000 Mann mitsamt Ausrüstung an Land gebracht. Sie sind nirgends weiter als eineinhalb Kilometer auf französischen Boden vorgedrungen. Keine der als Ziel für den ersten Landungstag festgelegten Positionen wurde erreicht.
An jedem ersten Dienstag im Monat hält Dora Belle Salon in den Räumen ihres Stadtpalais an der Place des États-Unis. Ihre Gesellschaften sind nicht so literarisch und vornehm wie die von der Wehrmacht frequentierten Salons, etwa der von Florence Gould. Aber die üppigen Buffets in einer Zeit, in der quasi Hunger herrscht, die große Schönheit der Gastgeberin, einer der führenden Stars der Continental, der großen, mit deutschem Kapital betriebenen französischen Filmproduktionsfirma, die Verfügbarkeit zahlreicher junger Damen und die Anwesenheit des Pariser SS-Führungsstabs (eins seiner Mitglieder, SS-Hauptsturmführer Bauer, ist seit fast vier Jahren Doras Liebhaber) locken doch stets eine kleine Schar von Unternehmern, Journalisten, Staatsbeamten, Filmleuten und angehenden Sternchen an, die für eine Information, einen Passierschein, ein Fleischgericht oder eine kleine Nebenrolle zu allem bereit sind.
René Deslauriers trifft gegen neun bei Dora Belle ein, passiert das Portal, einen gepflasterten Hof, eine Außentreppe, und betritt das Entree, einen Rotundenraum ganz aus buntem Marmor. In der Mitte, auf einem runden weißen Steintisch mit einem Fuß aus gemeißelten Akanthusblättern, steht ein bis zur Decke reichendes Orchideengesteck, aus dem sich einige der geflochtenen Ranken gelöst haben und herunterhängen. Weiß und Blau, die Farben von Doras Kleid an diesem Abend. Wie jeden Monat ein Geschenk von Lafont. Lafont, der schon wieder. Er schenkte Dora Belle einen weißen Bentley, als Bauer sie zu seiner offiziellen Geliebten machte, und überhäufte sie bei jeder ihrer Feiern mit Orchideen, was Deslauriers wie ein protziger und geschmackloser Luxus erschien. Ein verbrecherischer Luxus. Eine sehr unliebsame Person. Unbewusst verzieht er das Gesicht. Er überlässt Hut und Handschuhe der charmanten jungen Frau, die sich um die Garderobe kümmert, und betritt den ersten der drei ineinander übergehenden Salons, Zwischentüren weit geöffnet, durch Kristalllüster hell erleuchtet, die Fensterreihe indes mit dicken grünen Vorhängen lichtundurchlässig gemacht. In jedem Salon an der den Fenstern gegenüberliegenden Wand ein üppig mit Viktualien beladenes Buffet, Gänseleber, kalter Braten, Käse, Kuchen, Obst. Champagnerflaschen stapeln sich in Kühlbehältern hinter den Buffets, und auf dem nackten Boden unter den Tischen sind Cognacflaschen verstaut. Ein Orchideenstrauß auf jedem Tisch erinnert an den im Entree.
Schon jede Menge Leute da. Frauen in luftigen, farbenfrohen Kleidern, Männer in dunklen Anzügen speisen in kleinen Gruppen zu Abend, an runden Tischchen sitzend, im Stehen an den Buffets oder ins Gespräch vertieft in den Fensternischen. Im dritten, hinteren Salon sitzt Otto Bauer am Flügel und spielt Schubert, dass es vor Schmalz nur so trieft. Um ihn herum, zwischen dem Klavier und den hohen Fenstern, ein paar der höchstrangigen SS-Männer in Frankreich: Knochen, Nosek, Maulaz, ein Dutzend weitere in ihren schwarzen Uniformen, jung, groß, blond, sportlich, schön, sehr schön, und alle sprechen sie Französisch mit einem entzückenden harten Akzent, die Charme-Staffel der SS. In ihrer Mitte, älter, massiger, Botschafter Abetz, heute Abend der Einzige in Zivil. Die wogenden Schubertklänge übertönen eine lebhafte Diskussion auf Deutsch. Es gilt sich zu vergewissern, dass die Argumentation in Bezug auf die Landung der Engländer und Amerikaner stichhaltig ist, und diejenigen Gruppen von Dora Belles Gästen untereinander aufzuteilen, die man sich ideologisch zur Brust nehmen muss. Wenig Raum zum Improvisieren. Deslauriers blickt auf seine Uhr. Für gewöhnlich haben sie sich um diese Zeit schon abgestimmt. Heute scheint die Aufgabe etwas schwieriger zu sein.
Im zweiten Salon thront Dora Belle inmitten einer Horde junger Männer und Frauen in einem großen Sessel, prachtvoll, üppig, rosig und blond, naturblond, der Gipfel an Raffinesse, mit Kamille gepflegt, die Haarflut zu einem losen Knoten frisiert, aus dem sich ein Kranz von Löckchen hinausgestohlen hat, in einer tief dekolletierten Robe in abgestuften Blautönen, eine Orchidee steckt über der rechten Brust und prangt auf der nackten Haut, eine weitere an der Taille. Hinter ihrem Sessel steht der hochgewachsene Domecq, der kleine Bulle von der Sitte, eher ärmlich gekleidet, Hemd und Hose khakibraun, beigefarbene Jacke. Hübscher Kerl, das dichte schwarze Haar glatt und ungekämmt, darunter ein längliches Gesicht mit ebenmäßigen Zügen, sehr gerade schwarze Brauen quer über wachen, unruhigen blassblauen Augen, die unablässig von einer Gruppe zur anderen wandern, in dieser Welt von Schwadroneuren ist er erstaunlich zurückhaltend und still. Es heißt, er sei ein Jugendfreund der schönen Dora, inzwischen ihr ständiger Begleiter und schüchterner Verehrer. Deslauriers hält ihn für einen gewöhnlichen Schmarotzer.
Er geht zu Dora Belle, um sie zu begrüßen. Nähert sich ihr immer noch verbittert. Sie war vor dem Krieg seine Geliebte, und gemeinsam führten sie das Perroquet bleu, eins der berühmtesten Nachtlokale am Pigalle, in dem damals Bauer und ein paar andere deutsche Gäste verkehrten, die sich »geschäftehalber« in Frankreich aufhielten und denen man kein Jahr später in den verschiedenen Abteilungen der Pariser SS wiederbegegnete. Im Perroquet bleu, wegen Militärkatastrophe geschlossen, hatte Bauer ihn dann auch gleich im August 1940 aufgesucht. Zunächst, um ihn um Rat zu fragen: Er kenne doch so viele Leute … Dann, um ihn als Hilfskraft für einen wirtschaftlichen Nachrichtendienst anzuwerben, den er zwecks Ausbootung der Abwehr im Stillen aufbaute. Und um ihm Dora Belle zu nehmen. Ehrlich gesagt war er selbst, Deslauriers, es gewesen, der sie ihm angetragen hatte. Für eine kurze, harmlose Affäre, dachte er, ein Freundschaftsbeweis, sonst nichts. Eine kurze Affäre, die jetzt schon vier Jahre dauerte und die jedwedes Teilen ausschloss. Bauer hat dank seinem Einfluss auf die Continental aus Dora einen Filmstar gemacht, nicht jung und nicht begabt genug, um mit den hauseigenen Stars wie Darrieux oder Delair zu konkurrieren, aber als Nebenrolle sehr gefragt, ein unverhoffter beruflicher Erfolg, der sie überglücklich macht. Und Bauer nutzt ihre Talente als Dame des Hauses und das Renommee ihres Salons, ein Mix aus gesellschaftlicher Drehscheibe des mondänen Paris und Freudenhaus, geschickt zur Pflege seiner Beziehungen mit der französischen Geschäftswelt.
Ein blutjunger Theaterkritiker, der gerade seinen ersten Artikel in Paris-Soir veröffentlicht hat, glaubt sich seiner Sache sicher und legt los: »Ich war in der Premiere СКАЧАТЬ