Zügellos. Dominique Manotti
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Название: Zügellos

Автор: Dominique Manotti

Издательство: Автор

Жанр: Современная зарубежная литература

Серия:

isbn: 9783867549769

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СКАЧАТЬ Dienstag, 5. September 1989

      Schon früh um sieben ist Daquin an seinem Arbeitsplatz im Drogendezernat am Quai des Orfèvres. Ein abgelegenes Büro am Ende eines Flurs im obersten Stock mit Fenster zum sehr ruhigen Innenhof. Hell, geräumig, mit zweckmäßigem Nullachtfünfzehnmobiliar, das seinem kompletten Team als Sitzungszimmer dient. Daquin holt Akten aus den Holzschränken, die zwei ganze Wände einnehmen, legt sie auf seinen Schreibtisch, blättert darin. Momente einsamer Arbeit, Gedächtnis auffrischen, Ideen entwickeln, Fährten skizzieren. Versuchen, gründlich und intelligent vorzugehen. Kokain und Pferde. Nicht viel zu finden. Hier und da ein bisschen. Der Patriarch der Ochoa-Familie in Medellín ist ein erfolgreicher Züchter kolumbianischer Pferde. Dünn … Die Rennbahnen als Geldwaschanlage. Bekannt … Doping von Rennpferden mit Kokain- und Amphetaminderivaten … Ein Jockey … Viele Gerüchte, aber nichts wird publik. Und dann natürlich Romeros Akte über die Ermordung von Paola Jimenez. Daquin legt die AFP-Meldung vom 21. August 1989 über die Beschlagnahme von 53 Kilogramm Kokain durch das OCRTIS dazu. Wahrscheinlich das Schlusswort in dieser Sache.

      Er verwahrt die paar Unterlagen, die er für sich behalten will, in einer seiner Schubladen und stellt den Rest zurück an seinen Platz. Ordentlich. Akten sind die Grundlage der Macht. Er setzt sich mit dem Rücken zum Fenster, Füße auf die Schreibtischkante, und denkt einige Minuten nach.

      An der gegenüberliegenden Wand, neben der Tür zum Flur, hängt eine riesige Pinnwand aus Kork. Im Laufe einer Ermittlung füllt sie sich mit Adressen, Telefonnummern, Nachrichten, Terminen, Karten, Plänen. Daquin steht auf, mistet aus, wirft oder sortiert Veraltetes weg, schafft Platz für die kommenden Tage. Unter der Pinnwand eine Anrichte, obenauf eine hochmoderne Espressomaschine, drinnen Vorräte an ungemahlenem Kaffee und Mineralwasser, Tassen, Gläser, diverse Spirituosen und ein Plastikkorb für das schmutzige Geschirr. Hier herrscht tadellose Ordnung. Daquin macht sich einen Espresso. Ein paar Minuten Ruhe. Lässt den Blick schweifen. Ein vertrauter Ort, er fühlt sich wohl.

      Kurz vor elf rührt sich etwas im Inspektorenbüro nebenan. Schlag elf kommen sie lärmend durch die Zwischentür, legere Jacken, Jeans, Turnschuhe, außer Lavorel, der stets in Blazer und dunkler Hose oder im Anzug erscheint. Romero, gutaussehender Latino, attraktiver Frauenheld, arbeitet seit neun Jahren mit Daquin zusammen. Lavorel, früher bei der Abteilung für Wirtschaftsdelikte, gehört nach zunächst sporadischer Zusammenarbeit seit vier Jahren fest zum Team. Mit seiner Nickelbrille wirkt der rundliche und langsam kahl werdende Blondkopf wie ein Bürokrat. Aber Romero und er sind Brüder im Geiste. In Stadtrandsiedlungen geboren und aufgewachsen, der eine in Marseille, der andere in Paris, sind beide in ihrer Jugend knapp an der Kriminalität vorbeigeschrammt und stolz, das nicht vergessen zu haben. Romero findet in seiner Arbeit als Inspektor ein geradezu sinnliches Vergnügen. Und Lavorel, der sich aus seiner Tätigkeit in der Abteilung für Wirtschaftsdelikte eine Vorliebe fürs Aktenstudium bewahrt hat, betrachtet seinen Beruf als eine Form der Rache: Er will, soweit er es kann, die Ungerechtigkeit der Justiz wettmachen, die die Mächtigen verschont und die Schwachen zermalmt, und es den Reichen heimzahlen. Die beiden anderen Inspektoren, Amelot und Berry, sind zwei junge Burschen in ihrer ersten Anstellung. Nach Abschlüssen in Geschichte und Politik haben sie, als sie keine Arbeit fanden, diverse Auswahlverfahren für den öffentlichen Dienst durchlaufen und landeten irgendwann bei der Polizei, ohne bisher den Unterschied zwischen ihrem Beruf und dem des Postbeamten so recht verstanden zu haben. Daquin nennt sie die Chorknaben.

      Daquin macht Espresso, alle setzen sich. Er berichtet kurz von seiner Nacht im Kommissariat des 16. und der Sitzung mit dem neuen Chef des Drogendezernats.

      »Wir werden also etwas Zeit darauf verwenden, uns im Rennstall Meirens diesen Senanche anzusehen. Vielleicht ist er ein Gelegenheitsdealer, der sich seinen Stoff in Holland besorgt. Wenn dem so ist, kriegen wir das schnell raus. Teilt euch die Arbeit auf. Ich meinerseits werde mich bei verschiedenen Abteilungen umhören, ob es irgendwo laufende Ermittlungen gibt, die uns etwas angehen könnten. Erste Bilanz in einer Woche hier.«

      Daquin braucht eine Weile, bis er zwischen Banlieues und Autobahnzubringern die Einfahrt zum Reitzentrum von La Courneuve findet. Ein weitläufiges Gelände mit Ställen, Reithallen, Dressurplätzen und ein paar Bäumen, begrenzt durch eine Autobahn, Sozialwohnungsblöcke und einen Landschaftspark. Ein kurioses Gefühl, fern der Natur im Grünen zu sein. Daquin parkt den Dienstwagen vor einem flachen Holzbau mit sechs Boxen, vor denen ein Mann in blauem Arbeitsoverall mit einem Braunen beschäftigt ist. Daquin bleibt im Wagen, beobachtet ihn. Seine Handgriffe sind präzise, er hat sie vermutlich hunderte Male exakt so ausgeführt. Das Pferd macht mit, lebhaftes Ohrenspiel, es antizipiert jede Bewegung des Mannes und hat Spaß an der Sache. Die beiden haben sichtlich einen Draht zueinander, sie arbeiten ruhig und vertrauensvoll, wie ein Paar. Nicht ganz wie das Arbeitsklima im Drogendezernat. Diese Partie ist noch nicht gewonnen. Der Mann scheint zu wissen, dass er beobachtet wird, schert sich jedoch nicht darum. Ohne Eile beendet er die Pflege des Pferdes und führt es in seine Box. Daquin steigt aus dem Wagen.

      »Le Dem? Ich bin Commissaire Daquin.«

      Ein mittelgroßer junger Mann, kantiges Gesicht, brauner Bürstenschnitt, hellblaue Augen, träger Blick.

      Sie setzen sich an die Bar des Reitzentrums, die um diese Zeit trostlos und leer ist, vor sich zwei Tassen lauwarmen löslichen Kaffee mit Milch.

      Ihn aus der Deckung zwingen, damit ich nicht im Blindflug unterwegs bin. Ihm sagen, was er ohnehin weiß, und dann je nach Stand der Dinge weitersehen.

      »Ich bin mit Einverständnis Ihrer Vorgesetzten hier, weil ich Ihnen vorschlagen möchte, einer Versetzung in mein Team beim Drogendezernat zuzustimmen, nur für die Dauer einer vermutlich kurzen Ermittlung im Pferdesportmilieu und mit Aussicht auf Beförderung.«

      »Kann ich Nein sagen?«

      Daquin entscheidet sich für ein Lächeln. »So pauschal? Kein bisschen neugierig?«

      »Weil ich meine Arbeit hier liebe. Ich lebe mit meinem Pferd, ich patrouilliere mit ihm durch den Park. Ich gewährleiste die Sicherheit der Spaziergänger, ich komme ihnen wenn nötig zu Hilfe und betreibe mehr Prävention als Verbrechensbekämpfung. Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu den Kindern in der Umgebung, ich vermittle ihnen ein besseres Bild von der Polizei, nämlich das einer staatlichen Institution, die ohne Gewalt auskommt, und das ist genau mein Ding. Drogenfahndung heißt Krieg. Und Krieg führen könnte ich nicht.«

      Ein Marsmensch in einer Sozialbausiedlung. Und an den muss ich geraten.

      »Würde diese Versetzung Ihnen Probleme machen, was beispielsweise die Organisation Ihres Familienlebens betrifft?«

      »Nein, das ist es nicht, ich bin alleinstehend.« Ohne erkennbare Gefühlsregung.

      Daquin betrachtet die Tasse, die er zwischen den Fingern dreht. »Ich werde Ihnen nicht erzählen, wir seien eine gewaltfreie Truppe. Und ich verstehe gut, dass Sie eine andere Auffassung von staatlichen Institutionen haben als wir. Doch wenn Sie Ja sagen, erwirke ich am Ende dieser Ermittlung Ihre Versetzung in die Bretagne, in die Gegend, wo Sie herstammen.« Blick aus dem Fenster. An der Boxentür horcht der Braune mit gehobenem Kopf und gespitzten Ohren auf das Brausen der Autobahn. »Und mache mich dafür stark, dass Sie das Pferd mitnehmen können, mit dem Sie derzeit arbeiten.«

      Wimpernzucken. Treffer.

      »Das könnten Sie?«

      »Großes Kommissarsehrenwort.«

      Lächeln. »Ich sag Ja.«