Название: Frausein zur Ehre Gottes
Автор: Hanna-Maria Schmalenbach
Издательство: Bookwire
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783862567843
isbn:
1.3.2 Das Selbstverständnis des Auslegers im hermeneutischen Prozess
In engem Zusammenhang mit der beschriebenen Problematik um die Autorität der Heiligen Schrift als Gottes Wort und Menschenwort steht ein weiterer wichtiger Einflussfaktor in der Auseinandersetzung um die schriftgemäße Rolle der Frau: das Selbstverständnis des Auslegers im hermeneutischen Prozess. Einerseits rechnet jeder ernsthafte Ausleger mit der Erleuchtung durch den Heiligen Geist, die dem an Christus Gläubigen zugesagt ist (1Kor 4,14–16), andererseits weiß er um seine Menschlichkeit, die seine Objektivität einschränkt und ihn die Schrift durch einen Filter von vielerlei Vorprägungen verstehen lässt.
In diesem Spannungsfeld bewerten verschiedene Ausleger ihre Funktion und Position im hermeneutischen Prozess unterschiedlich und damit auch das Gewicht ihrer Auslegung. Einige betonen die sichere Führung durch den Heiligen Geist und leiten dementsprechend aus der Autorität der Schrift die Autorität und Zuverlässigkeit ihrer Auslegung ab. Die eigene Voreingenommenheit wird bei dieser Sicht als entsprechend unbedeutend bewertet.35 Unterschiedliche Auslegungen werden in diesem Kontext leicht zur Frage von Wahrheit gegen Irrtum, Gehorsam gegen Ungehorsam oder „Geistlichkeit“ gegen „Ungeistlichkeit“, was gerade bei der emotional aufgeladenen Diskussion um die Stellung der Frau die Auseinandersetzung verschärft (Liefeld 1989, 113). Auf der anderen Seite des Spektrums betonen Ausleger die menschlichen Grenzen der Objektivität. Sie gehen davon aus, dass der menschliche Ausleger so sehr von seinem theologischen und soziokulturellen Erbe geprägt wird, dass es eine einzige endgültige, autoritative Interpretation der Heiligen Schrift gar nicht gibt (Larkin 1988, 99–100; Groothuis 1994, 154).36
Bei der Fragestellung nach Wesen, Rolle und Funktion der Frau müssen solche menschlichen Faktoren in besonderer Weise erwartet werden (Johnston 1986, 34–35). So werden zum Beispiel bereits das Geschlecht des Auslegers und seine jeweiligen Erfahrungen mit Vertretern des anderen Geschlechts stets präsente Einflussfaktoren auf sein Verständnis der entsprechenden Schriftstellen sein. Eine fast ebenso einflussreiche Komponente wird das Konzept des Auslegers über Autoritätsstrukturen sein, das wiederum eng zusammenhängt mit der Geschichtsepoche und dem sozialen Umfeld, das ihn geprägt hat. Auch die eigene Gemeindetradition wird ein Einflussfaktor sein. David Scholer kommt gerade im Zusammenhang mit dem „Frauenthema“ zu dem Schluss: „Die Vorstellung von einer wahrhaft objektiven Bibelauslegung ist ein Mythos“ (Scholer 1986, 215).
1.3.3 Die Bewertung des Beitrags von Natur- und Humanwissenschaften zu theologischen Fragestellungen
Ein weiteres Spannungsfeld, das die Diskussion um ein schriftgemäßes Frauenbild beeinflusst, ist die grundsätzliche theologische Einschätzung des Wertes von natur- und humanwissenschaftlichen Erkenntnissen zur Klärung von theologischen und biblischen Fragestellungen. Gerade zur „Frauenfrage“ wurde angesichts der Herausforderung durch den Feminismus in den letzten Jahrzehnten viel wissenschaftlich geforscht, vor allem im Bereich der Neurobiologie, Soziologie, Entwicklungspsychologie und Anthropologie. Während viele konservative Theologen davon ausgehen, dass die Ergebnisse solcher Forschungen den biblischen Befund als Hilfsmittel aus dem Bereich der natürlichen Offenbarung klären helfen können (Erickson 1998, 75; Clark 1980, 372ff; Kuen 1998, 238 ff; Neuer 1993, 15), haben andere an dieser Stelle Bedenken und befürchten eine grundsätzliche Unterminierung der Autorität der Heiligen Schrift (McQuilkin 1984, 219–221; Larkin 1988, 129).37 Der Anthropologe und Missionswissenschaftler Paul G. Hiebert plädiert für eine Integration wissenschaftlicher Einsichten und theologischer Überlegungen, da man nur so der Komplexität des menschlichen Lebens gerecht werde, allerdings immer unter der Bedingung, dass die Heilige Schrift der Maßstab bleibe, an dem alle Erkenntnisse gemessen würden (Hiebert 1985, 17.27). Wenn dies bei der Fragestellung um Wesen, Stellung und Rolle der Frau gelingt, sollten die Erkenntnisse der Human- und Naturwissenschaften hier meines Erachtens nicht gefürchtet werden, sondern als wertvoller Beitrag zur Klärung von scheinbaren Widersprüchen in der Schrift gewertet werden.38
1.3.4 Die Einschätzung der Beziehung zwischen Gemeinde und Gesellschaft
Da die Frage nach Wesen und Rolle der Frau zugleich geistliche und gesellschaftliche Dimensionen hat, spielt im Hintergrund von hermeneutischen Entscheidungen zu diesem Thema auch die Einschätzung des Auslegers zur Position und Funktion der Gemeinde Jesu in ihrem sozio-kulturellen Umfeld eine nicht geringe Rolle. Bis zur Wiederkunft Christi steht seine Gemeinde in dem von Jesus selbst vorgegebenen Spannungsfeld „in der Welt“ (Joh 17,11), aber „nicht von der Welt“ (Joh 17,16). Einige Ausleger betonen nun das „In-der-Welt-Sein“ der Gemeinde. Ihnen ist das gemeinsame Menschsein von Christen und Nichtchristen als verbindendes Element wichtig, und sie halten den Kontakt und Austausch zwischen Gesellschaft und Gemeinde für fruchtbar, ja lebensnotwendig, um die Funktion der Gemeinde als Licht und Salz in dieser Welt zu gewährleisten. Andere dagegen betonen das „Nicht-von-der-Welt-Sein“ der Gemeinde und warnen vor den schädlichen Einflüssen des Zeitgeistes, die aus der säkularen Gesellschaft in sie eindringen. Von einigen wird die Gemeindestruktur als „Sozialordnung Gottes“ im Gegensatz zu der selbstbestimmten Sozialordnung der säkularen Gesellschaft (Clark 1980, 276) gesehen, von anderen wird die Gemeinde mehr als religiöse Institution der Gesellschaft eingeordnet (Hiebert 1985, 23). Was die Rolle der Frau angeht, neigen dementsprechend einige dazu, sich mit den Fragestellungen und Trends ihrer Gesellschaft diesbezüglich, also auch mit den Anliegen der feministischen Bewegung, ernsthaft auseinander zu setzen mit der Bereitschaft, sich auch selbst in manchem hinterfragen zu lassen. Andere bekämpfen alle Überlegungen der säkularen Gesellschaft hierzu als antibiblisch und Gefahr für die Gemeinde Jesu Christi. Für beide Vorgehensweisen gibt es in der Literatur reichlich Beispiele.39 Eine zunehmende Zahl von theologischen Forschern raten der Gemeinde Jesu, sich in der Frauenfrage der Herausforderung durch die Gesellschaft nicht sofort und grundsätzlich zu verschließen, da sie in ihrem Ursprung nicht nur aus antigöttlichen Quellen stamme, sondern gerade auch von kritischen Denkern und geistlichen Pionieren aus ihren eigenen Reihen ausgegangen sei (Bilezikian 1987, 421; Groothuis 1994, 159; Lees 1984, 11–12; Johnston 1986, 32).
1.3.5 Die Bewertung der Tradition
In der Auseinandersetzung um die schriftgemäße Rolle der Frau spielt auch das Verhältnis der Ausleger zur kirchlichen und gesellschaftlichen Tradition keine unerhebliche Rolle. So wird einerseits das traditionelle Frauenbild der Kirche als biblische Tradition, die über die Jahrhunderte gleichgeblieben sei und sich in Kirche und Gesellschaft bewährt habe, mit der Ordnung Gottes gleichgesetzt, die nicht irren kann (Culver 1989, 25–49).40 Auf der anderen Seite wird mit dem Blick auf die Kirchengeschichte die Irrtumsfähigkeit der kirchlichen Tradition aufgezeigt und vor einem unbiblischen Traditionalismus gewarnt, der das eigentliche Konzept der Heiligen Schrift zur Rolle der Frau verdunkele (Groothuis 1994, 38; Pierce 1993, 345).
1.4 Grundfragen zu Geschlechtsunterschieden
Außer den theologischen Spannungsfeldern spielt auch die wissenschaftliche Diskussion der Geschlechterunterschiede eine nicht zu unterschätzende Rolle im Hintergrund der Auseinandersetzung um die schriftgemäße Rolle der Frau. Vor allem in den Humanwissenschaften wird seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts intensiv über das Verhältnis zwischen dem biologischen und dem sozialen Geschlecht geforscht. Dabei bestand von je her Einigkeit darüber, dass das biologische Geschlecht das Sozialverhalten in irgendeiner Form beeinflusst. Wie stark und normativ dieser Einfluss jedoch ist, wurde und wird sehr unterschiedlich beurteilt. Während man bis fast zur Mitte des 20. Jahrhunderts von einem unlösbaren СКАЧАТЬ