Spieltage. Benjamin Markovits
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Spieltage - Benjamin Markovits страница 11

Название: Spieltage

Автор: Benjamin Markovits

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Oktaven

isbn: 9783772544231

isbn:

СКАЧАТЬ ich hätte nie gedacht, dass Hadnot auch nur die kleinste Chance hatte, vor ihm zu bleiben. Nur tat er genau das. Kaum hatte Karl die Mittellinie überschritten, stemmte Hadnot ihm den Bauch entgegen, und Karl war nicht mehr in der Lage, seine langen Beine einzusetzen. Ein gewisses Maß an Festhalten, Am-Hemd-Ziehen, Knie-Blockieren gehörte mit zum Plan des Amerikaners, und ein strenger Schiedsrichter hätte ihn schon nach zehn Minuten vom Platz gestellt. Aber es gab keinen Schiedsrichter, und Henkel hatte nicht den Mumm, auch nur einen von Hadnots Tricks abzupfeifen. Man hätte alles oder nichts abpfeifen müssen, und alles ist in der Regel zu viel.

      Charlie versuchte, das alles auf seine Art wettzumachen. Einmal, beim Gegenangriff, sah er Hadnot rückwärts nach hinten trippeln und schickte Karl mit einem hohen Pass direkt an den Rand des Korbs. Hadnot drückte Karls Beine weg – er landete jenseits der Grundlinie auf dem Hintern – und ging sofort zu ihm, um ihm hochzuhelfen. The Kid war von der Brutalität des Fouls viel zu benommen, um sich zu rächen. Er hatte sich an meine Verteidigungsweise gewöhnt, die mehr oder weniger auf dem Prinzip der Beschwichtigung beruhte: Ich lass dich treffen, wenn du mir nicht wehtust. Vielleicht gefiel es Henkel, dass Karls Konfliktbereitschaft getestet wurde. Nur wich Karl vor körperlicher Gewalt genauso schnell zurück wie ich, wenngleich Hadnots Beispiel jeden von uns zu ein paar übermotivierten, regelwidrigen Aktionen anregte.

      Hadnot hatte mir gesagt, ich solle Milo zur Not mit den Knien von der Grundlinie fernhalten, und genau das tat ich. «Junge, Junge», klagte Milo jedes Mal mit theatralischer Miene, als würde er etwas Verdorbenes riechen. Bis ich ihn dann direkt über seinem Knie erwischte, dort, wo die Oberschenkelmuskeln sich verjüngen. Er sackte in sich zusammen, kam humpelnd wieder hoch und streckte die Arme nach meiner Kehle aus. Charlie hatte gemeint, ich solle ihn «kaltmachen». In Wahrheit schloss ich die Augen und hob abwehrend die Hände, nur fanden die sein verschwitztes Gesicht, und ich drückte es weg. Das Ganze dauerte nur eine Sekunde. Wir droschen aufeinander ein; vielleicht kam dabei mein Finger in sein Auge. Zum Glück ging Charlie dazwischen und trennte uns, obwohl Milo sich mit großer Geste widersetzte und von Olaf und Plotzke zurückgehalten werden musste. Den restlichen Abend konnte er nur noch herumhinken und schlechte Würfe abliefern.

      Von den ersten vier Spielen gewannen wir drei, obwohl Hadnot in der zweiten Stunde müde wurde und Charlie sich jetzt die Bürde des Punktens auferlegte. Darmstadt schaffte es nicht, ihn außerhalb des Freiwurfraums zu halten. Krahm, der großen Übereifer und spitze Ellbogen besaß, und Arnold, der einfach nur grobschlächtig war, foulten ihn so viel sie konnten, nur reichte das nicht aus. Charlie hatte die Gabe, in einem Wald aus Armen und Beinen unsichtbar zu werden. Der Trick war dabei nicht Geschwindigkeit. Er bewegte sich einfach zwischen den Rhythmen der anderen und erwischte die Abwehr immer auf dem falschen Fuß. Es ist der Ball, der den Pulsschlag des Spiels bestimmt; man wird da ganz leicht zum Sklaven. Einem Schauspieler vergleichbar, der eine Zeile Blankvers ganz normal klingen lassen kann, hatte Charlie die Kunst der Natürlichkeit gemeistert.

      Sogar sein Jumpshot, diese merkwürdig irreguläre Erfindung, traf jetzt. «Einer nach dem anderen», sagte er, wenn wieder mal ein Ball reinsegelte. «Das reicht mir völlig: einer nach dem anderen.»

      Wenn er nicht selbst punktete, versorgte er Olaf und Plotzke mit Lay-ins und Dunks. «Selbstlos» – noch so etwas, das er rief, nach jedem erfolgreichen Pass. Eine seltsame Art der Bescheidenheit, jedenfalls ein weiterer Seitenhieb. Wir beendeten den Abend mit einem Unentschieden. Hadnot bückte sich und zog sich die Hose über die Knie.

      In der Dusche fing Arnold an zu singen. Etwas Italienisches, eine Arie aus einer Eiswerbung, die im deutschen Fernsehen lief. Nackt sah er ganz rosig und drall aus, sehr groß und zur gleichen Zeit sehr jung. Wir machten Witze über seinen Gesang, obwohl er mehr oder weniger das zum Ausdruck brachte, was jeder von uns empfand. Eine Rückkehr der Zuversicht. Hadnot, die Beine nach wie vor bandagiert, stand kerzengerade und mit geschlossenen Augen unter dem Wasserstrahl. Ich konnte sehen, dass er eine Glatze bekam; seine Haare klebten ihm nur vereinzelt auf der Stirn. Krahm fing an, im Takt der Musik zu klatschen. Er hatte lange Arme und lange Finger und sah aus wie eine Marionette; die Knochen seines Gesichts und seines restlichen Körpers besaßen eine hölzern-mechanische Korrektheit. Die vom ersten Team waren schon zum Großteil gegangen. Nur Olaf war noch in der Dusche – um mich zu beschützen, witzelte er, falls Milo noch da war. Als wir uns dann abtrockneten, fragte er mich, ob wir noch was trinken gehen sollten. Er könne nach dem Training nicht gleich schlafen und würde immer viel zu lange wachbleiben, auf dem Bett vor dem Fernseher liegen und sich die Zwei-Uhr-Wiederholungen der Mitternachts- Talkshows ansehen.

      «Willst du dich auch anschleimen?», fragte ich, bevor wir zusammen in die kühle, klare Nacht hinausgingen, umgeben vom Leuchten der Straßenlaternen.

      9

      Eine Woche vor Saisonbeginn gab Henkel uns den Freitagabend frei. Manchmal entließ er uns früher ins Wochenende, wenn wir (wie er sagte) «brav» gewesen waren. In Wahrheit, erzählte mir Olaf einmal, wohnte seine Familie in Regensburg, zwei Autostunden entfernt, und er konnte es selbst kaum erwarten, nach Hause zu kommen. Er hatte erst vor Kurzem mit dem Spielen aufgehört. Regensburg war in der dritten Liga, deren Vereine sich meist nur ein bis zwei Vollzeitprofis leisten können. In seiner Glanzzeit hatte Henkel in der Bundesliga gespielt; aber mit vierzig merkte er, dass er noch andere Ambitionen hatte, und nahm dort einen Job als Spielertrainer an, um auch im Management-Bereich tätig werden zu können. Landshut war dann der nächste Schritt auf der Leiter – und dazu das erste Jahr, in dem er nicht mehr selbst spielte. Seine Frau und die beiden jungen Töchter blieben zurück, für den Fall, dass die Dinge nicht so klappten wie geplant. Der Verein besorgte ihm eine Wohnung unweit der Halle, in der Neustadt, wie dieses Viertel hieß, und fünf Nächte pro Woche wohnte er dort. Was auch sein Beharren auf dem Abendtraining erklärte: Er hatte sonst nichts zu tun.

      Ich nutzte die freien Nachmittage manchmal, um nach München zu fahren. Mit dem Fahrrad brauchte man zehn Minuten bis zum Bahnhof, über den Fluss und durch das Flachland am Stadtrand, wo der Kampf zwischen Bauernhöfen, Vorstadtsiedlungen und Industrieanlagen noch nicht entschieden war. Irgendwann entdeckte ich eine Route, die mich durch Felder mit hochstehendem Getreide führte; mit das Schönste an meinen Ausflügen in die Großstadt war diese kurze Fahrt auf zwei Rädern. Die Straße führte weitgehend bergab, und ich konnte ganz nach Belieben das Zusammenspiel neuer Muskeln in meinen Beinen trainieren oder sie einfach baumeln lassen. Für dieses Jahr meines Lebens besitze ich wenig Nostalgie, aber was davon vorhanden ist, wird meist durch Züge geweckt. Nicht durch ihren Geruch oder ihren Anblick – eher beim dazugehörigen Warten. Ich erinnere mich ganz genau an mein Gefühl, wenn ich damals die Fahrkarte kaufte und am Bahnsteig wartete: einsam, erwartungslos, fröhlich.

      Nichts, so dachte ich, könnte mir in München widerfahren, das den stetigen, langsamen Rhythmus meiner Tage verändern würde, wenngleich ich meine Fahrten in die Stadt natürlich in der Hoffnung machte, dem wäre vielleicht doch so.

      An diesem Freitag hatte Olaf mich zum Abendessen bei seinen Eltern eingeladen. Er war schon nach dem Morgentraining hingefahren, und ich folgte ein paar Stunden später, nachdem ich etwas zu Mittag gegessen und mich kurz hingelegt hatte. Es hatte die ganze Woche geregnet, warmer Sommerregen, der alles klamm und klebrig werden ließ, aber der Nachmittag war schon trockener und auch ein wenig kühler. Weiße Schwaden hingen über den Bäumen und sahen mehr nach Himmel als nach Wolken aus. Im Fahrradraum stand das Wasser und spiegelte den grauen Tag; ich schloss mein Rad inmitten einer bunten Vielzahl von Speichen ab. Ein Mann mit Schnurrbart und Krawatte stand am gepflasterten Eingang zum Bahnhof und bediente einen langen Schlauch, der das Wasser aus dem Fahrradraum heraus auf die Straße pumpte. Er unterbrach die Tätigkeit kurz, um mich vorbeizulassen.

      Der Zug war voller als sonst, aber ich fand einen freien Platz an einem Tisch, entgegen der Fahrtrichtung. Ich wollte nicht über Nacht bleiben und hatte nichts dabei außer mein Buch, ein von Klebeband zusammengehaltenes Exemplar von Three Men on the Bummel aus der Stadtbücherei. Außerdem, zusammengelegt in der Tasche meiner Jeans, СКАЧАТЬ